Kauflaune steigt Hand in Hand mit der Schuldnerquote
Autor: Matthias Litzlfelder
Nürnberg, Mittwoch, 12. Februar 2014
Die Verbraucher sind in Kauflaune. Das treibt laut GfK heuer den Konsum an. Doch was gut für die Konjunktur ist, hat Schattenseiten: Schuldnerberatungen in Franken haben alle Hände voll zu tun - und manchmal wird aus einem Kaufwütigen ein Patient.
Die Konsumexperten des Nürnberger Marktforschungsinstituts GfK haben es am Mittwoch bestätigt. Die Stimmung der Verbraucher steigt weiter. Waren diese schon im vergangenen Jahr höchst ausgabefreudig, so dürfte ihre Kauflaune 2014 noch zulegen. Die Ausgaben der privaten Haushalte werden sich laut GfK real um 1,5 Prozent erhöhen - und damit die Konjunktur ankurbeln.
Im Trend liegen Ausgaben für Immobilien, Renovierungen und Reisen, stellte die GfK fest. Die Kauflaune als Stütze der Binnenkonjunktur, als Beitrag zum deutschen Wirtschaftswachstum. Eine gute Nachricht.
Soweit die eine Seite. Doch Hand in Hand mit dem Konsumklima befindet sich in Deutschland eine andere Kurve auf dem Weg nach oben: die Schuldnerquote.
Jede Altersstufe
"Wir arbeiten immer am Limit, und das schon seit Jahren", berichtet Ute Wagner.
Eine bestimmte Klientel gibt es nicht. Ute Wagner kontaktieren querbeet alle Berufsgruppen. Und jede Altersstufe, von der Volljährigen bis zum 70-Jährigen. "Aufgrund der aggressiven Werbung werden die Jüngeren leichtsinniger", sagt Wagner. Aber es kämen auch immer mehr Ältere. Jobverlust, Frühverrentung, plötzlich können Darlehen nicht mehr gezahlt werden. Und schon schnappt die Schuldenfalle zu.
Immer häufiger kommen Rentner
Thomas Jakob, Leiter der Schuldnerberatung des Caritasverbandes für den Landkreis Haßberge, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. "Seit 1998 gibt es steigende Klientenzahlen", sagt er. 514 Fälle verzeichnete die Haßfurter Beratungsstelle im vergangenen Jahr. "Früher war eher der Versandhandel das Problem, jetzt hat sich das auf's Internet verlagert", so Jakobs Erfahrungen. Und als Gläubiger träten immer häufiger Mobilfunkanbieter auf.
Überschuldung infolge starker Handynutzung - ein Problem der jüngeren Generation. Die Älteren haben andere Sorgen. "Sie kommen mit ihrer Rente nicht mehr klar", erzählt Jakob. Sinkende Renten würden mehr und mehr zum Thema. "Da sehe ich ein erhebliches Problem auf uns zukommen", sagt der Schuldnerberater.
Von Altersarmut und damit verbundener Verschuldung berichtet auch Verena Kubin, Leiterin der Schuldnerberatung beim Caritasverband Erlangen. "Für die notwendigen täglichen Sachen wird das Geld immer weniger", so ihre Erfahrung mit den Ratsuchenden. In der Stadt Erlangen kommt noch etwas anderes erschwerend hinzu. Die Immobilienpreise sind gigantisch, es gibt kaum bezahlbaren Wohnraum. Wer dann noch in die Schuldenfalle tappt, hat ein Problem. 618 Fälle gab es im vergangenen Jahr in Erlangen und im Landkreis Erlangen-Höchstadt. Hinzu kämen noch E-Mail- und anonyme Telefonberatungen, berichtet Kubin. Die Tendenz zu höherer Verschuldung, sie sei spürbar - und habe ihre Ursachen: "Die massive Werbung mit der Null-Prozent-Finanzierung wird ein immer größeres Problem."
Ein paar Kilometer von Verena Kubins Arbeitsplatz entfernt finden diejenigen Hilfe, die mehr als Geldprobleme haben. "Pathologisches Kaufen" heißt das Krankheitsbild, das am Universitätsklinikum Erlangen behandelt wird. "Es ist sicherlich so, dass viele Patienten erst dann kommen, wenn es nicht mehr anders geht", erzählt Holmer Graap, Leitender Psychologe der Erlanger Uniklinik. "Viele versuchen, ihr Verhalten zu bagatellisieren. Aber irgendwann wachsen die Schulden über den Kopf, und der Partner sagt: So geht es nicht mehr weiter."
Es ist nur etwa eine Hand voll Fälle im Jahr, die sich in Erlangen in Behandlung begeben. Aber die Patienten kommen aus verschiedenen Bundesländern. Die Zahl der Kliniken, die sich mit dem pathologischen Kaufverhalten beschäftigen, ist bisher überschaubar. Dabei sollen einer Umfrage zufolge fünf bis sieben Prozent der Bevölkerung davon betroffen sein.
"Man geht davon aus, dass es dafür eine biologische Veranlagung gibt, neuronal nachweisbare Aspekte", erklärt Graap. Das zeige sich in einem geringen Verlustempfinden, wenn es ums Geld ausgeben geht. Verstärkt werde so eine Störung durch bestimmte Reize. Internet, Kreditkarte, Ratenzahlung: "Es ist heute nicht mehr so verpönt, Schulden zu machen", sagt Graap. Der Psychologe spricht in Verbindung mit Kauflust nicht von Sucht, sondern von einer Impulskontrollstörung. Anders als beim Alkoholiker gehe es in der Therapie nicht darum, etwas völlig zu unterbinden. Ziel sei ein normales Kaufverhalten mit Kontrolle des Patienten über sich selbst. Gespräche in der Gruppe würden helfen. Und notfalls "wird vorerst die Kreditkarte vernichtet".
Kommentar von Matthias Litzlfelder: Vernunft statt Emotion
So erfreulich die Konsumlust der Verbraucher für die Konjunktur in Deutschland ist. Ungezügelter Konsum hat seine Tücken. Denn er ist in der Regel eines nicht: nachhaltig. Wenn Produkte mit erheblichem Energieaufwand hergestellt werden, um dann nur wenig später zum Entsorgungsproblem zu werden, kann von einem Nutzen für die gesamte Gesellschaft keine Rede mehr sein. Konsum soll die menschlichen Bedürfnisse befriedigen. Das setzt einen umwelt- und sozialverträglichen Lebensstil voraus. Und es erfordert Rücksicht.
Den Marketingverantwortlichen im Handel ist das in der Regel egal. Sie erzeugen Kaufanreize um jeden Preis. Mitunter trifft ein Werbeslogan sogar den Kern des Problems. Wer "vor Glück schreit", wenn er ein paar zugesandte Schuhe auspackt, ist schon nahe dran an der krankhaften Kaufstörung. Wenn er die Schuhe dann nicht einmal trägt, sollte er über eine Behandlung nachdenken. Oder einfach mal auf den Philosophen Sokrates hören: "Wie viele Dinge es doch gibt, die ich nicht brauche!"