Wenn Ärzten Fehler passieren – «Spitze des Eisbergs»
Autor: Helena Dolderer, dpa
, Donnerstag, 30. Oktober 2025
Behandlungsfehler sind selten, können aber heftige Folgen haben. Jährlich melden sich Tausende Patientinnen und Patienten mit Vorwürfen. Fachleute prüfen sie und sprechen von einer hohen Dunkelziffer.
Ein 86-jähriger Mann bekommt ein Medikament gespritzt – und muss deswegen wiederbelebt werden. Eigentlich war das Mittel für seinen Bettnachbarn gedacht, und eigentlich hätte es geschluckt werden müssen. Solche und andere grobe Behandlungsfehler kommen in Krankenhäusern und Praxen selten vor, können aber für die Betroffenen gravierende Folgen haben.
134 Fälle solcher sogenannten «Never Events» hat der Medizinische Dienst bei seinen Überprüfungen im vergangenen Jahr ermittelt. Das geht aus dem Jahresbericht 2024 hervor, den die Gutachter der Krankenkassen in Berlin vorstellten. Dabei geht es um besonders folgenschwere und vermeidbare Behandlungsfehler. Neben der Verwechslung von Patienten, Körperteilen oder Medikamenten gehören auch Gegenstände dazu, die Ärztinnen und Ärzte nach Operationen unbeabsichtigt im Körper zurücklassen.
75 Todesfälle nach Behandlungsfehlern
Im vergangenen Jahr stellte der Medizinische Dienst in rund 3.700 Fällen Behandlungsfehler fest. In rund 2.800 dieser Fälle (76 Prozent) erlitten Patientinnen und Patienten dadurch gesundheitliche Schäden, ein Drittel davon seien dauerhaft. Zudem seien 75 Todesfälle ermittelt worden.
«Tatsächlich weisen die Begutachtungszahlen auf ein immenses Problem hin», sagte der Vorstandsvorsitzende des Medizinischen Dienstes Bund, Stefan Gronemeyer, bei der Vorstellung der Statistik. «Fachleute gehen davon aus, dass es jährlich circa 17.000 fehlerbedingte vermeidbare Todesfälle in unseren Krankenhäusern gibt.» Denn eine offizielle Statistik zu Behandlungsfehlern gibt es nicht, da diese in Deutschland nicht zentral erfasst werden. Die Dunkelziffer sei deutlich höher, sagte Gronemeyer.
Mangelnde Patientensicherheit kostet Milliarden
Der Medizinische Dienst fordert seit Jahren mehr Transparenz und eine Meldepflicht von Behandlungsfehlern. Patientinnen und Patienten sollten sich darauf verlassen können, dass sie von medizinischen Fehlern erfahren, heißt es im Bericht. Zudem müssten Gesundheitsfachkräfte die Möglichkeit haben, Zwischenfälle offen zu berichten, ohne Sanktionen fürchten zu müssen.
Für Patientinnen und Patienten könnten durch Versehen Kosten entstehen, etwa für erneute Untersuchungen oder Folgeoperationen. Doch nicht nur das: «Zusätzlich zum Leid der Betroffenen kostet unsichere Versorgung sehr viel Geld», sagte Gronemeyer. Der Medizinische Dienst schätzt die Kosten für das Gesundheitssystem auf mehrere Milliarden Euro. Eine Stärkung der Patientensicherheit müsse gesetzlich verpflichtend umgesetzt werden.
Mehr als jeder vierte Verdacht bestätigt
Insgesamt erstellte die Expertenorganisation im vergangenen Jahr rund 12.300 Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern. Mehr als jeder vierte Vorwurf bestätigte sich demnach. In diesen Fällen wurde eine medizinische Behandlung nicht angemessen, sorgfältig, richtig oder zeitgerecht durchgeführt. In mehr als jedem fünften Vorwurf war das Versehen auch ursächlich für einen Schaden.