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Kammeroper "Fräulein Julie": Der Diener als Herr und Meister


Autor: Monika Beer

Zentrum, Montag, 28. April 2014

Drei überzeugende Sängerdarsteller retten mit ihrer Intensität die Hofer Neuinszenierung der Kammeroper "Fräulein Julie" von Antonio Bibalo, die heutig sein möchte, damit aber einen Kernpunkt des Dramas verfehlt.
Mathias Frey (Jean) und Johanna Brault (Julie) sowie einige Hofer Symphoniker in Antonio Bibalos Kammeroper "Fräulein Julie" Alle Szenenfotos: Harald Dietz/SFF Fotodesign,Hof


Geschlechterkampf und Standesunterschiede werden auf der Bühne verhandelt, seit es Theater gibt. Auch August Strindbergs "Fräulein Julie" ist ein in seiner Aussage zeitloses Stück, das als Schauspiel seit seiner Uraufführung vor 125 Jahren das Publikum bewegt. Seit 1975 gibt es das fesselnde Trauerspiel auch als Oper von Antonio Bibalo - immer noch eher eine Rarität, die das Theater Hof nach der Studio-Premiere am Sonntag nur noch drei Mal im Programm hat.

Dass die Kammeroper des aus Triest stammenden, Mitte der fünfziger Jahre nach Norwegen ausgewanderten Komponisten vergleichsweise häufig inszeniert wird, aber kein kleinformatiger Kassenschlager ist, hat in erster Linie damit zu tun, dass die Musik von Antonio Bibalo (1922-2008) für das gängige Opernpublikum kaum leichte Kost ist: Sie folgt farbig und flirrend den Grundlagen der Zwölftonmusik, mal eingängig und poetisch, dann wieder mit schroffen

Clustern, vertrackten Rhythmuswechseln und sehr sprachbetontem Gesang.

Mit musikalischer Dichte
Die Hofer Aufführung dauert - eine kleine Einführung durch den Dramaturgen inklusive - nicht ganz eineinhalb Stunden. Gespielt wird die reduzierte zweite Fassung, die sich instrumental mit Streichquartett, Kontrabass und einem Klavier begnügt, also aufs Schlagzeug verzichtet und sich auf nur eine Tonbandeinblendung mit Chorgesang beschränkt. Die von Roland Vieweg kompetent geleiteten sechs Musiker der Hofer Symphoniker sind den gegebenen Herausforderungen in überraschend hohem Maß gewachsen, dass sie es verdient hätten, im Programmheft namentlich genannt zu werden.

Dass erst recht die drei Gesangssolisten gefordert sind, versteht sich von selbst. Was Mathias Frey (Jean), Julie (Johanna Brault) und Inga Lisa Lehr (Kristin) leisten, lohnt die Fahrt nach Hof allemal: Ihnen gelingen facettenreiche sängerdarstellerische Porträts, die - was nicht selbstverständlich ist - durch die für Sänger durchaus riskante Nähe zum Publikum im Studio noch an Prägnanz gewinnen. Hier dürfen sich drei schöne, ausdrucksstarke junge Stimmen in stilistischen Bereichen erproben, die leider nicht zum Bühnenalltag gehören.

Kapriziös und schmerzerfüllt
Als Gastsolistin stellt sich die Mezzosopranistin Johanna Brault vor, der in den reinen Sprechtexten nur feine Ohren anhören, dass sie Französin ist. Das Kapriziöse der Figur hat sie gewissermaßen im Blut, aber auch den seelischen Schmerz; die gesanglichen Klippen meistert sie bravourös und stellt in ihrer Wortverständlichkeit sogar ihre deutsche Kollegin deutlich in den Schatten. Mathias Frey aus dem Hofer Ensemble führt mit sicherem Tenor und schauspielerischem Können vor, dass es für den Umschwung vom Diener zum Herrn und Meister keinen brutalen Zyniker braucht. Überhaupt sind die drei relativ normal - und am normalsten ist Inga Lisa Lehrs Köchin Kristin, die zwar weder nach oben, noch nach unten will, aber beim Kirchgang besser gekleidet ist als das adelige Fräulein im Reiseoutfit.

Letzteres zählt zu den szenischen Defiziten der Produktion (Regie: Uwe Drechsel, Ausstattung: Beata Kornatowska, Choreographie: Danuta Hujer): In den heutigen Kostümen wird eine Aktualisierung vorgenommen, die im ziemlich schultheaterhaften Raum einfach luftleer stehen bleibt. Oder soll das etwa schon Mobbing sein, wenn die durch die Mittsommernacht tanzenden Kinder auch ein Liebesgraffiti an die Wand kritzeln?
Der Standesunterschied und der Ehrverlust Julies werden nur behauptet, nicht beglaubigt. Dem hätte das Team mit mehr Mut zur Abstraktion besser beikommen können - oder mit historischer Verortung. Eigentlich schade. Denn das Hofer "Fräulein Julie" ist eine Möchtegern-Vergegenwärtigung, in die es drei Protagonisten verschlagen hat, die an Intensität nichts zu wünschen übrig lassen.