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Jonathan Nott vergleicht Wagner mit "Dallas"


Autor: Rudolf Görtler

Bamberg, Montag, 21. Januar 2013

Der Chefdirigent der Bamberger Symphoniker Jonathan Nott spricht über Richard Wagner und die "Götterdämmerung".
Jonathan Nott Fotos: Barbara Herbst


In der kommenden Woche wird Jonathan Nott (50) die "Götterdämmerung" in einer konzertanten Aufführung dirigieren, den vierten und abschließenden Teil von Richard Wagners "Ring"-Tetralogie. In den vergangenen Spielzeiten hat er bereits die ersten drei Teile in Bamberg vorgestellt. An drei Abenden wird jeweils ein Aufzug zu sehen sein (26., 29. Januar, Karten sind noch für den 26. zu haben, ansonsten Restkarten an der Abendkasse); am 3. Februar die gesamte Oper an einem Sonntag. Der Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, als Mahler-Spezialist weltweit anerkannt, in dessen Laufbahn Opern-Dirigate ebenfalls einen gewichtigen Raum einnahmen, sprach zwischen den Probenarbeiten mit dem Orchester über "seinen" Wagner.

Wenn Sie einem popmusiksüchtigen jungen Menschen erklären müssten, warum er Wagner hören soll: Was würden Sie ihm sagen?
Diese Frage hat mich in meinem Leben schon sehr

beschäftigt. Es fing eigentlich an, als ich den "Ring" kennen lernte damals mit 22. Ich war total erstaunt zu sehen, dass erstens die Wiederholungen in dieser Tetralogie immer einen dramaturgischen Sinn haben und dass zweitens die Themen, die da behandelt werden, aktuell sind. Sehen Sie, damals gab es die TV-Serie "Dallas". Es gab nichts in "Dallas", was im Ring nicht vorhanden ist. Diese Aktualität ist besonders wichtig für jeden Sechzehnjährigen, der grübelt über Liebe, Beziehungen, Pflicht, über die Rolle von Adoption, von unerlaubter Liebe. Es wird verhandelt, alle Regeln zu brechen. Die Gesellschaft, in der man lebt, ist verrottet, ein Mythos wird angeboten, um zu zeigen, wie es immer war und wie es sein wird, wenn man nichts dagegen tut. Ich glaube, alle Möglichkeiten sind in diesem Werk vorhanden.

Kann man bei Wagner Text und Musik trennen?
Wenn man die Musik betrachtet, die leitmotivischen Elemente, dann sind die musikalischen Stoffe unglaublich einfach, allerdings unglaublich komplex zusammengebaut. Die Voraussetzungen, die man braucht, um die 15 Stunden dieses Werks durchzustehen, sind viel geringer als etwa bei Mahlers Symphonien. Dazu kommt, was ich als Urkraft eines singenden Darstellers bezeichne. Und das Epische: Denken Sie an den "Herrn der Ringe", die Größe dieser epischen Aussage. Man kommt zum Ende der Walküre und fragt sich: Was findet jetzt statt? Ich bin sicher, man könnte jeden Teenager reinsetzen und hätte viel mehr Möglichkeiten, den mit klassischer Musik zu fesseln, als mit vielen anderen Stücken.

Sie meinen also, dass Wagners Musik wie eine Art Baukasten sei, die einzelnen Elemente simpel, das Ganze hoch komplex?
Das finde ich auf jeden Fall. Zum Beispiel das Schwert-Thema ist sehr erkennbar, sehr einfach. Man gewinnt durch die Musik sofort ein Bild von diesem Schwert.

Sie sind Engländer: Haben Sie als Ausländer einen unbeschwerteren Zugang zu Wagner als Deutsche mit der Diskussion um die politische Brisanz des Wagner'schen Werks im Hinterkopf?
(lacht) Ich habe nur meinen eigenen Zugang. Es ist natürlich ein Vorteil dieses Werks: Je mehr man investiert, desto mehr entdeckt man. Der junge Wagner war ein gewalttätiger, revolutionärer Politiker, und dieses Werk soll uns als Warnung jeder Art dienen. Am Anfang dieses Manns steht diese Botschaft: Lasst uns eine bessere Welt kreieren. Der 61-Jährige sagt dann mit Schopenhauer, die Erlösung dieser Welt muss eine metaphysische sein. Wir reden dann über ewige Themen, die jeden Menschen betreffen. Die sind viel größer vielleicht als der Komponist selber. Denken wir an Wagners Kampfgenossen Bakunin und den Anarchismus, der zunächst nicht gewalttätig, sondern pazifistisch war. Solche Missverständnisse sind für mich nebensächlicher als das, was die Musik anzubieten hat. Sie ist eine Bereicherung des menschlichen Lebens und hat mich selbst ungemein bereichert.

Die politischen Implikationen des Wagner'schen Werks und seine Musik. Grundverschiedene Dinge?
Ich glaube, das kann man überhaupt nicht trennen. Das ist die mystische Kraft dieses Komponisten. Diese Musik hat so einen unglaublichen primitiven Zug, abgesehen von avantgardistischen Elementen, die es vorher in der Musik überhaupt nicht gab und plötzlich aus diesem Kopf kam oder aus einer anderen Welt oder sonstwoher. Trennen soll und kann man nicht. Interessant wird es, wenn man versucht, so ein Riesenwerk zu verstehen. Wie ist das komponiert, was ist die Botschaft, was ist hineingeflossen? Bestimmt hat Wagner nicht alles selbst analysiert, was er kreiert hat. Ein Feuerguss unglaublich effektvoller Musik.

An Wagner haben sich die weltbesten Dirigenten abgearbeitet. Fühlen Sie sich angesichts dieser Ahnengalerie beschwert? Ist es schwierig für Sie, eigene Akzente zu setzen?

Ich glaube nicht schwieriger als mit Musik aller anderen Epochen. Musik ist heute verbreiteter denn je durch unendlich viele Aufnahmen. Jeder Musikliebhaber kann seine eigenen besten Interpretationen wählen. Bei Wagner hängt das von den Sängern ab. Interpretation ist dann das Zusammenschweißen der Stimmen. Meine Aufgabe ist die Traditionen zu kennen, aber gleichzeitig einen Blick darauf zu werfen, was sehe ich da vor mir? Es ist immer möglich, bei diesen komplexen Werken etwas Neues zu entdecken.

Können Sie schon etwas zur Interpretation "Ihrer" Götterdämmerung sagen?

Die Geschichte zu erzählen, erscheint mir als die Basis. Zu erzählen mit dem Gesang, und wenn wir uns mit den Sängern treffen in dieser Woche, werden wir zusammen etwas kreieren. Eigentlich meine ich, man muss nicht wollen bei diesem Werk. Ich würde nicht so weit gehen, um etwa zu sagen, ich betone zum Beispiel die Nornen. Ich glaube, man sollte sich halbwegs treu an das halten, was da drin steht.

Das Gespräch führte Rudolf Görtler.