"Ivanov" als traditionelle Neuinszenierung am E.T.A.-Hoffmann-Theater
Autor: Rudolf Görtler
Bamberg, Sonntag, 10. Februar 2013
Am E.T.A.-Hoffmann-Theater ist Anton Tschechows Drama "Ivanov" in einer angenehm traditionellen Inszenierung zu sehen. Die Geschichte aus dem untergehenden zaristischen Russland hat durchaus aktuelle Bezüge.
Wer die eben erschienene Autobiografie Eckhard Henscheids gelesen und bei dessen Schimpftiraden übers Regietheater zustimmend genickt hat: Der wird den Bamberger "Ivanov" goutieren.
Regisseurin Heidemarie Gohde ("Mirandolina") propft dem Text Tschechows von 1887/88 (hier wird der besseren Lesbarkeit halber die traditionelle Eindeutschung der Eigennamen verwendet) nicht zwangsneurotisch irgendwelche Modernisierungen auf, keine Burn-out-Manager, keine Business-Kostümchen, kein Geschrei und Getümmel. Stattdessen ist die Geschichte in Bühnenbild und - prachtvollen - Kostümen (Ausstattung: Uwe Oelkers) klar in der russischen Provinz des ausgehenden 19. Jahrhunderts verortet. So trägt der Held Ivanov eine Bauernbluse wie seinerzeit Leo Tolstoi, ein ideologisches Bekenntnis?
Mag sein. Wir erfahren es nicht. Was wir von diesem mit 35 bereits körperlich und seelisch Erschöpften erfahren, ist deprimierend genug.
Von der Gattin ertappt
Tochter Sascha (Sybille Kreß) will den depressiven Helden erlösen. Der lässt sich aus dem Stimmungstief heben und wird ausgerechnet von seiner Gattin bei einem Tête-à-Tête ertappt. Nach deren Tod will der sich selbst zerquälende Ivanov Sascha heiraten; eine Farce, wie er selber einsieht. Der Ausweg ist die Kugel in den eigenen Kopf.
Nun kann man die Geschichte dieses Ivanov durchaus lesen als eine Krankengeschichte, eine Psychopathologie, die mit Termini wie Depression oder chronisches Erschöpfungssyndrom umrissen wäre. Das könnte man; es griffe jedoch zu kurz. Ivanov war offensichtlich einmal ganz anders, befeuert von jugendlichem Elan, er wollte eine andere Welt. Allein, das "System", der vor sich hin faulende Zarismus, ließ ihm keine Chance. Er musste scheitern. Mit den entsprechenden psychischen Konsequenzen.
Nicht nur er allein. Es zeichnet das Genie Tschechow aus, dass es stets eine ganze Kohorte von Figuren zeichnet, um eine Gesellschaftsschicht zu charakterisieren. In diesem Fall ist es die zum Untergang verurteilte Gutsbesitzer-Klasse. Dabei meidet der große Humanist Tschechow bei aller satirischen Schärfe jede Schwarzweißzeichnung, blickt (meist) milde auf die armen Menschlein. Auch der sich als großer Moralist aufspielende Arzt Lwow (Felix Pielmeier) nervt in all seiner Selbstgerechtigkeit.
Heulen im Hintergrund
Die Bamberger Inszenierung wird dem Text gerecht. Das gottverlassene Provinznest wird uns durch Birken im Bühnen-Hintergrund und dezent eingespielte Geräusche (Klangcollagen Anna Schlegel) wie Pferdewiehern oder Hundeheulen sehr schön vor Augen und Ohren geführt. Die Adelsgesellschaft dreht sich immer nur um sich selbst und im Kreis: wie die langsam rotierende Drehbühne. Wir erkennen: Mit denen ist Fortschritt nicht mehr möglich.
Gerade auch die Nebenfiguren sind überflüssige Menschen, wie sie in der russischen Literatur seit Puschkin, Lermontow und Gontscharow (von dem werden in den Pausen Texte auf den Vorhang projiziert) gängige Topoi waren. Da ist der zynische Onkel Schabelski (Eckhart Neuberg), der von Paris träumt und doch eine Witzfigur bleibt. Da ist die Witwe Babakina (Ulrike Schlegel), töricht, aber reich und deshalb attraktiv. Iris Hochberger gibt die geizige Geldverleiherin Sinaida sehr schön, so wie Florian Walter ein Extralob für den verkommenen Lebedew gebührt. Thomas Jutzler muss als hyperaktiver Verwalter Borkin den agilen Kapitalisten spielen, ähnlich dem Stolz in Gontscharows "Oblomow".
Stephan von Soden in der Titelrolle gefällt als schwer depressiver Mensch durchaus - gerade einen solchen Brocken von Mann kann es treffen, wenn die Umstände denn so sind, lernen wir. Die junge Sybille Kreß als Sascha hat es mitunter schwer, auf gleicher Höhe mit erfahrenen Bühnenroutiniers wie Karin M. Schneider als der nassauernden Kupplerin Awdotja zu agieren. Dennoch gab es völlig zu Recht viel Beifall für eine rundum gelungene klassische Inszenierung.
Wer übrigens glaubt, die Probleme des russischen Landadels gingen uns nichts an, der irrt. Auch im Spätfeudalismus drehte sich alles ums Geld. Wie, wenn die berühmten "Sachzwänge", die "Alternativlosigkeit" ebenfalls in die psychische Verelendung führten?
Weitere Vorstellungen am 15.-17., 20.-24., 26./27. Februar
Karten unter Tel. 0951/873030, E-Mail kasse.theater@stadt.bamberg.de