Hegelwoche in Bamberg: die Welt als Bühne, das Leben als Drama
Autor: Rudolf Görtler
Bamberg, Mittwoch, 04. Juni 2014
John von Düffel eröffnete die dreitägige Veranstaltung in Bamberg zum Thema "Theater-Wirklichkeiten" mit Reflexionen über die Welt als eine Inszenierung und die Rolle des Theaters in Zeiten primitiver Bildergläubigkeit.
Manch einem Besucher der Bamberger Hegelwoche in den letzten 25 Jahren mag der Kopf geschwirrt haben angesichts philosophischer Spezialthemen, die einer breiten Öffentlichkeit eher fremd waren - damit hat Christian Illies gründlich aufgeräumt. Seit der Bamberger Philosophie-Ordinarius die Veranstaltungsreihe leitet, verlässt seine Profession zumindest drei Tage lang energisch den universitären Elfenbeinturm und setzt thematische Schwerpunkte, die weit über Fachkreise hinaus Beachtung finden.
So auch in diesem, dem Jubiläumsjahr. Mit "Theater-Wirklichkeiten. Wie sich die Welt inszeniert" griff Illies einerseits eine alte Metapher auf und schlug andererseits eine interdisziplinäre Brücke. Sein Bamberger Kollege Friedhelm Marx, Literaturwissenschaftler und Mitveranstalter, umriss denn auch dieses Bild vom barocken Welttheater eines Calderón über Shakespeare ("Die ganze Welt ist Bühne") bis zur "transzendentalen Obdachlosigkeit" Georg Lukács'.
Wer könnte trefflicher über die Welt als Bühne reden als ein ausgewiesener Theaterfachmann? John von Düffel, 49, Dramaturg am Berliner Deutschen Theater, einer der bedeutendsten deutschen Bühnen, Autor viel beachteter Dramen und belletristischer Prosa-Werke, Professor für szenisches Schreiben, machte schnell klar, dass das Hegelwochen-Thema kein weltabgewandtes ist, sondern eins von hoher Relevanz, ja brennender Aktualität. Wer sich je über den schon fast ubiquitären Infotainment-Journalismus unserer Tage geärgert hat, über das Internet als ein Gag-Universum voller greller Erregungen - für den lieferte Düffel das theoretische Fundament wie, vielleicht, einen schmalen Ausweg.
Struktureller Unernst
Das Theater der Antike, dessen Chor eine stellvertretende bürgerliche Öffentlichkeit konstituierte, kontrastierte Düffel mit der heutigen "hochgradig medialisierten" Welt. Das Illusionstheater in der Wirklichkeit ist in vollem Gange, sagte er, es herrschten "struktureller Unernst", Entertainment, Inszenierung; der Showgedanke sei immer eingebaut - auch und gerade in der Politik und in den medial erzeugten Bildern von ihr. Von einer digitalen Show sprach Düffel pointiert, einer "großen digitalen Bespaßungslüge". Immer informierter würden wir, dabei immer erfahrungsärmer, jedes Suchbedürfnis werde sofort befriedigt: ein Infantilisierungsprozess mit dem Primat des Bildes. Das sich von der Diskreditierung als Propagandamittel erholt habe - im Gegensatz zum Wort, dem er eine Renaissance wünschte: "Ein Wort sagt mehr als 1000 Bilder." Personalisierung als "ganz normales Verfahren der Dramatisierung" präge die politische Berichterstattung. Der antike Chor als retardierendes Element sei zum medialen Mob mutiert.
Was bleibt dem Theater? Es müsse in einer Welt, in der alles Theater geworden sei, neue Wege gehen. Der Schauspieler bekomme keine Rolle mehr zugewiesen, sondern eine Aufgabe. Akteure und Publikum solle ein "Band der Empathie" verbinden und so die alten aristotelischen Tugenden der Erschütterung, des Jammerns und Schauderns zum Zwecke der Katharsis wiederbeleben.
Am Donnerstagabend geht es um 19.15 im Hegelsaal um "Medientheater - Wie wir uns in den Social Media zur Schau stellen".