"Die Stichproben waren bevölkerungsrepräsentativ nach Altersgruppen (18-24 Jahre, 25-29 Jahre und 30-35 Jahre), nach Bildungsgrad (Menschen mit gar keinem bis Realschulabschluss und mit Abitur oder Hochschulabschluss) und nach den Regionen Nord, Süd, West, Ost aufgebaut", so Plan International. Die Panelbetreiber verfügten hier "über einen Pool an teilnahmebereiten Menschen, die per E-Mail über einen Link zu Umfragen eingeladen werden können. Teilnehmende können sich Umfragen nicht selbst aussuchen, sondern werden dazu eingeladen und erfahren erst beim Ausfüllen der Fragebögen, zu welchem Thema sie sich äußern sollen".
Erstmeldung vom 12.06.2023: Gewalt an Frauen: Umfrage zeigt erschreckende Zahlen
Die Autor*innen haben die wichtigsten Ergebnisse der Umfrage nach sechs Oberthemen gegliedert: Gefühle und Gesundheit, Erscheinungsbild, Risiko und Wettbewerb, Rollenverteilung in heterosexuellen Beziehungen, Einstellung zu Frauen und Sexualität und Gewalt in der Partnerschaft. Die Resultate sind erschreckend - besonders was Gewalt von Männern gegenüber Frauen angeht.
Mehr als ein Drittel der befragten Männer (34 Prozent) haben der Aussage "Gegenüber Frauen werde ich schon mal handgreiflich, um ihnen Respekt einzuflößen" zugestimmt. Für jeden dritten Mann sei es "akzeptabel", wenn ihm bei einem Streit mit der Partnerin "gelegentlich die Hand ausrutscht." Schockierend ist auch die Tatsache, dass viele der befragten Frauen angeben, Gewalt ihnen gegenüber zu akzeptieren. "Wie stark die Akzeptanz von männlicher Gewalt in der Partnerschaft gesellschaftlich verankert ist, zeigt die Tatsache, dass 17 beziehungsweise 14 Prozent der Frauen diesen beiden Aussagen ebenfalls zustimmen."
Dazu passen auch die Zahlen des Bundeskriminalamts (BKA). 2021 verzeichnete das BKA eine Zunahme von Partnerschaftsgewalt um 3,4 Prozent in den vergangenen fünf Jahren. Die Opfer dieser Gewalt waren dabei mit 80,3 Prozent überwiegend weiblich. Die Täter dagegen mit 92,5 Prozent zum größten Teil männlich. Während Männer vor allem außerhalb des Hauses Opfer von Gewaltverbrechen werden, ist für Frauen die Partnerschaft am gefährlichsten, wenn es um sexualisierte, körperliche und emotionale Gewalt geht. Das BKA geht zudem von einem großen Dunkelfeld aus, da nur die wenigsten Fälle zur Anzeige gebracht werden.
Schockierende Ergebnisse: traditionelle Rollenbilder noch immer stark verankert
Auch bei der Rollenverteilung in heterosexuellen Beziehungen zeigen sich traditionelle Rollenbilder: Etwas mehr als die Hälfte der befragten Männer (52 Prozent) sehen sich in der Verantwortung, im Beruf genug Geld zu verdienen. Die Hausarbeit dagegen sollte die Partnerin erledigen. Für ebenfalls der Hälfte der Männer sei es wichtig, "in der Beziehung oder Ehe das letzte Wort bei Entscheidungen zu haben". 39 Prozent der Männer fordern zudem von ihrer Partnerin, dass diese ihre eigenen Ansprüche zurückstellt, um dem Mann "den Rücken freizuhalten". Nur 41 Prozent der Männer würden länger als ein paar Wochen in Elternzeit gehen.
Die Antworten der Frauen weichen dagegen deutlich von denen der Männer ab: 72 Prozent der jungen Frauen sind nicht der Meinung, dass Männer für die Finanzen der Familie sorgen sollten, während Frauen sich um den Haushalt kümmern. Auch bei der Verantwortung als Eltern fordern Frauen mehr Beteiligung von den Männern: Vier von fünf Frauen finden, dass Männer länger in Elternzeit gehen sollten - insgesamt wünschen sich eine "gleichberechtigtere Aufteilung der Aufgaben in Partnerschaft und Familie."
81 Prozent der befragten Frauen stimmen zudem der Aussage, dass Partnerinnen ihre Bedürfnisse in Beziehungen zurückstellen sollten, nicht zu. Etwa genauso viele Frauen widersprechen der Ansicht, dass Männer das letzte Wort haben sollten. "Aufgabenteilung und Entscheidungsmacht in der Partnerschaft sind folglich die Bereiche, in denen sich Männer und Frauen bei ihren Ansichten am stärksten widersprechen– ausgerechnet in den Bereichen, in denen sich das Männerbild sehr direkt auf die Gleichberechtigung der Geschlechter auswirkt", schreiben die Autor*innen der Umfrage.
Geht es um die Einstellung zu Frauen und Sexualität ist vor allem eine Doppelmoral bei den befragten Männern zu erkennen. Die Hälfte der Männer will keine Beziehungen mit einer Frau eingehen, die bereits viele Sexualpartner hatte. Gleichzeitig reizt es aber 37 Prozent der befragten Männer, "mit so vielen Frauen wie möglich zu schlafen". Fast die Hälfte der Männer will nicht, dass sich ihre Partnerin mit männlichen Freunden trifft. Für Männer sei es aber "ihr gutes Recht", Frauen Komplimente zu machen, ihnen nachzuschauen und nachzupfeifen. 47 Prozent der Männer finden außerdem, dass eine Frau sich nicht wundern brauche, wenn ein Mann es als Aufforderung versteht, wenn sie sich "aufreizend verhält".
Aufreizendes Verhalten als Einladung: Frauen "brauchen sich nicht wundern"
"Männlichkeit" verbinden 71 Prozent der jungen Männer damit, persönliche Probleme selbst lösen zu müssen, ohne um Hilfe zu bitten. Denn die Hälfte der Befragten ist der Meinung, dass es ein Zeichen von Schwäche sei, wenn sie Gefühle zeigen würden. Ebenfalls die Hälfte der Männer findet es unangenehm über Gefühle zu sprechen und ignoriert gesundheitliche Probleme, um nicht zugeben zu müssen, wenn es ihnen schlecht geht. 63 Prozent der Männer geben allerdings an, sich im Inneren "manchmal traurig, einsam oder isoliert zu fühlen."
Zu "Männlichkeit" gehört für etwas mehr als die Hälfte der Männer ein muskulöser Körper, denn sie sind der Überzeugung, dass sie mit ihrem Äußeren und ihrem Auftreten zeigen können, dass sie "ein echter Mann" sind. "Wenn ein Mann auf mich verweichlicht oder feminin wirkt, kriegt er schon mal einen Spruch ab", sagen 42 Prozent der jungen Männer. Darüber hinaus fühlen sich 48 Prozent der Befragten gestört, wenn andere Männer "ihr Schwulsein in der Öffentlichkeit zeigen".
Die befragten Männer empfinden außerdem einige Verhaltensweisen als besonders männlich: Der Großteil der Männer gibt an, sich oft mit anderen zu messen und unter "den Besten" sein zu wollen. 43 Prozent der Männer sage, sie fahren gern "draufgängerisch" und schnell Auto. Ähnlich fällt das Ergebnis bezüglich der Aussage "Manchmal trinke ich so viel Alkohol, dass ich nicht mehr weiß, was ich angestellt habe" aus. Hier stimmen 42 Prozent der Männer zu. Bei den meisten Frauen kommen diese Verhaltensweisen nicht gut an: Sie lehnen ständiges Kräftemessen (80 Prozent), riskantes Autofahren (83 Prozent) und übermäßigen Alkoholkonsum (86 Prozent) bei Männern ab.
Umfrage löst Entsetzen auf Social Media aus: "Es ist erschreckend"
Insgesamt zeigt sich, dass der Großteil der Frauen (77 Prozent) deutlich höhere Ansprüche an Männer hat als diese selbst. "Sie finden, dass jeder Mann inzwischen wissen sollte, welches Verhalten in Sachen Gleichberechtigung von ihm erwartet wird." Jede vierte Frau fordert daher von Männern den Verzicht auf (Macht-)Privilegien. Fast genauso viele Frauen finden aber auch, dass es Männer schwer haben, ihre (neue) Rolle zu finden, und 21 Prozent sind der Ansicht, dass es notwendig und wichtig sei, ihnen dabei zu helfen.
Die Reaktionen auf Social Media zu den Ergebnissen der Umfrage sind größtenteils schockiert. Unter einem Beitrag der Tagesschau auf Instagram, der die Ergebnisse zur Gewaltbereitschaft der befragten Männer thematisiert, kommentieren über 11.000 Nutzer*innen. "Aber Feminismus ist unnötig, Misogynie gibts gar nicht und sowieso werden Männer immer benachteiligt, gell? Solche Behauptungen lese ich zumindest zunehmend. Es ist erschreckend", schreibt etwa eine Nutzerin. "Ohne Worte. Und dann heißt es, wir bräuchten keinen Feminismus mehr." Und: "Sehr erschreckend", schreiben andere. "Wie viele Männer diese Zahlen anzweifeln oder total überrascht sind, zeigt nur, wie wenig Interesse besteht, sich mit der Lebensrealität von Frauen auseinanderzusetzen", stellt eine weitere Userin fest.
Die Autorin und Influencerin Tara-Louise Wittwer veröffentlichte ein Video, in dem sie kritisiert, dass Frauen trotz der bekannten Zahlen häufig nicht geglaubt wird, wenn sie von Gewalterfahrungen mit Männern berichten. "Jeder dritte Mann findet Gewalt an Frauen okay. Jede dritte Frau wird Opfer von Gewalt. Trotzdem muss ich jeden Tag lesen: 'Sind wir sicher, dass Frauen, die darüber berichten, die Wahrheit sagen?'" Die Soziologin, Journalistin und Autorin Veronika Kracher twitterte: "Misogynie und Queerfeindlichkeit sind weit verbreitet unter jungen Männern. Das sind die konkreten Auswirkungen von Influencern wie Andrew Tate." Andrew Tate wurde besonders auf TikTok mit frauenfeindlichen Aussagen bekannt. Kracher fordert: "Wir brauchen konkrete Maßnahmen: Deplatforming, feministische Pädagogik und Politik, kritische Jungenarbeit."
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