Hardcore-Version von Janáceks "Totenhaus" in Nürnberg
Autor: Martin Köhl
Nürnberg, Mittwoch, 16. März 2016
Calixto Bieito verdüstert Leos Janáceks letzte Oper "Aus einem Totenhaus" in Nürnberg bis ins Unerträgliche.
Nein, aus diesem Gulag ist kein Entkommen, obwohl doch das Symbol für die Entfesselung, für die Freiheit und ein neues Leben übergroß auf der Bühne steht. Die sprichwörtlichen Fittiche eines Adlers haben dem katalanischen Brachialregisseur Calixto Bieito zum Entschweben nicht genügt, es musste gleich ein Doppeldecker im Original sein. Wenn der zum Schluss abhebt, nimmt er den Gefangenen Gorjancikov, dem eigentlich die Freiheit geschenkt werden sollte, nicht mit. Man lässt ihn librettowidrig erschießen, sozusagen vorsichtshalber, damit ja kein Gedanke an letzte Funken von Menschlichkeit in Janáceks düsterster Oper übrig bleibt.
Derselbe Bieito, der sich im Programmbuch mit den Worten "Der Mensch, der keine Güte kennt, lebt jenseits der Menschlichkeit" zitieren lässt, setzt also noch eins drauf, weil es ihm nicht elend und hoffnungslos genug zugehen kann. Leos Janáceks Einakter "Aus einem Totenhaus" ist eine reine Männeroper, denn sie spielt in einem zaristischen Gefangenenlager. Dort herrschen die Willkür des Lagerkommandanten und der Sadismus von Mördern; Auspeitschungen und Scheinhinrichtungen sind Alltag. Das ist durchaus nicht überzeichnet, denn auch Dostojewski, der die Geschichte quasi autobiografisch erzählt hat, "überlebte" eine solche Scheinhinrichtung. Der Bühnenort ist an Tristesse nicht zu überbieten und überrascht mit ungewollten Assoziationen an die politische Aktualität: In der Inszenierung spielen die Gefangenen Fußball im Matsch, in der Realität Kinder in Idomeni ...
"Bühne dominiert von Männermassen"
Schon während des Vorspiels wird die Bühne dominiert von den hin und her wogenden Männermassen, ganz in altbewährter Harry-Kupfer-Manier. Ständig herrscht Bewegung vor, ganz gleich ob dem Irrsinn Verfallene ziellos umherlaufen, den Schwächeren Gewalt angetan wird, zuckende Leiber sich auf dem Boden winden oder die Gefangenen sich in drohender Pose einem frisch ausgewählten Opfer nähern. Das ist dramaturgisch natürlich eine sinnvolle Option, denn andernfalls würde sich dieses so unopernhafte Stück zu rein erzählendem Musiktheater verschlanken. Letzten Endes reduziert sich die Handlung nämlich auf die Schicksale dreier Gefangener, deren blutrünstige Vorgeschichten präsentiert werden.Im Zentrum des Stückes steht eine Theater-auf-dem-Theater-Episode, die als karnevalesker Feiertag mit allerhand Mummenschanz begangen wird, aber vor allem dazu dient, all jene Sex- und Gewaltfantasien auszubreiten, die den Gefangenen im Kopf herumspuken mögen. Immerhin deutet Bieito hier - wo es um den gottgläubigen Jammerlappen Aljeja geht - auch Spuren von Mitleid an. Die Schilderung der letzten Gefangenengeschichte gerät zum Höhepunkt des Abends, denn Antonio Yang verleiht dem Siskov eindringliche Momente und fulminante Töne. Marcus Bosch lässt das Orchester zwar durchaus markant und bisweilen auch derb begleiten, beschneidet den durchwegs exzellent besetzten Männerstimmen jedoch keine Spielräume zur Entfaltung ihrer schwierigen Partien.
Am Ende hinterlässt Calixto Bieitos Inszenierung eine Walstatt: Tod, wohin man blickt, keine Aussicht auf Leben, Freiheit oder Erlösung. Sollte der Regisseur die teils hymnischen Töne in Janáceks Musik überhört haben? Für zartbesaitete Gemüter ist das nichts, doch das längst hardcoregewöhnte Nürnberger Publikum reagierte mit fast einmütiger Zustimmung auf diesen herausfordernden Opernabend.
Termine und Karten
Weitere Vorstellungen 7., 13., 25. April, 15., 22. Mai
Karten Tel. 0180/5-231-600,
E-Mail:info@staatstheater.nuernberg.de