Oft ist der Satz zu hören: "Was kann ich als Einzelner schon tun?". Was würden Sie antworten?
Man kann sehr viel tun, indem man weniger tut. Weniger reist, weniger Fleisch isst, weniger Auto fährt, weniger von allem. Das ist natürlich das Gegenteil von dem, was die Ökonomen immer predigen. Denen geht es um mehr, mehr, mehr. Wir von der wissenschaftlichen Seite aber sagen: Haltet ein. Die Natur sagt uns, verbraucht weniger Ressourcen. Denkt dran, es gibt keinen Planeten B.
Klingt alarmierend.
Es gibt ein paar Sachen, die uns nachdenklich machen sollten: Kinder gehen auf die Straße, um für ihre Zukunft zu demonstrieren, im Kot einer Seerobbe hat man einen funktionierenden USB-Stick gefunden. Das sind alles Dinge, die uns in unserer Gesundheit direkt betreffen. Der Klimawandel ist da. Bereits im Jahr 2016 hat das Umweltbundesamt in einer Broschüre veröffentlicht, welche umweltschädigenden Investitionen in Deutschland getätigt werden. Da geht es um 53 Milliarden Euro. Wir Deutschen sollten nicht darüber reden, was andere tun können, sondern darüber, was wir selbst tun können. Energiesparen zum Beispiel.
Im großen Stil?
Früher hieß es einmal, wir sollten mehr Waren von der Straße auf die Schiene bringen. Wir geben Unmengen von Geld für den Straßenverkehr aus. Den Verkehr, der das Klima schädigt und die Luft dreckig macht. Auf der anderen Seite haben wir die Bahn kaputt gespart. Wir müssen jetzt die Rechnung bezahlen, die uns die neoliberale Privatisierungsdiktatur der 90er- und 00er-Jahre aufgehalst hat. Wenn wir nicht rekommunalisieren, wird es nicht funktionieren. Seit 1990 haben sich die Treibhausgase verdoppelt. Glauben Sie also nicht, dass wir irgendetwas erreicht hätten. Wir sind das letzte Aufgebot! Nur unsere Generation kann noch was tun, danach ist es vorbei.
Allerlei Informationen scheinen heute unendlich verfügbar zu sein, doch die wenigsten können damit umgehen. Wissen wir zu wenig?
Es ist kein Wissensproblem mehr, es ist ein Haltungsproblem. Deshalb ist es so wichtig, dass die Haltung unserer politischen Repräsentanten glaubwürdig ist. Einer der leichtesten Übungen wäre es etwa, dass die mit Elektroautos fahren würden. Auch die Fliegerei muss nicht immer sein. Termine in Europa ließen sich auch mit dem Zug erreichen. Das dauert etwas länger, aber vielleicht würden manche politischen Entscheidungen dadurch sogar besser werden. In vielen Angelegenheiten würde es uns allen gut tun, vom ICE auf den Regionalexpress umzusteigen.
Selbst, die es besser wissen, handeln oft gegensätzlich. Macht Sie das nicht wütend?
Wut ist kein guter Ratgeber. Klar, manchmal muss ich mich in mein Institut zurückziehen, um vor mich hin zu dampfen. Aber es hilft ja nichts. Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen, hat Camus geschrieben.
Verzagen gilt also nicht?
Nein. Den berühmten Kopf in den berühmten Sand stecken, gilt nicht. Zudem wird auch der Sand immer knapper, wie die deutsche Bauwirtschaft nun beklagt (
lacht). Nicht nur die Insekten und Vögel verschwinden also, sondern auch der Sand.
Weniger Sand, weniger Flächenfraß?
Genau, mehr grün. Und schon sind wir beim Volksbegehren Artenvielfalt. Das ist eine wichtige Sache. Sobald Bürger etwas Rabatz machen, springen die Herrschaften sofort hinterher. Am Anfang haben sie es noch abgelehnt, dann hieß es plötzlich: Das haben wir doch schon immer gesagt. Ich komme mir manchmal vor wie ein Kabarettist.
Reicht es, an die Vernunft der Menschen zu appellieren?
Ich halte manchmal Vorträge, die voller Wut und Zorn sind. Manchmal erschrecke ich selbst. Vielen Zuhörern geht es leider oft nur darum, den Menschen aus dem Flachbildfernseher mal in 3D zu sehen. Was er sagt, ist für viele nicht so interessant. Um es mit Goethe zu sagen: Der Worte sind genug gewechselt, lasst uns Taten sehen. Alles andere bringt nichts.
Sie bescheinigen der Gesellschaft, sich aus Angst nicht verändern zu wollen. Wieso denken Sie, trauen wir uns nicht?
Wir sind eine gesättigte Gesellschaft. Uns geht es sehr gut, die Bedrohungen durch den Klimawandel sind noch weit weg. Ab und zu kommt mal was, aber in Wirklichkeit glauben wir doch alle, dass uns der Klimawandel kaum betrifft. Vielleicht etwas mehr Italien: ein bisschen wärmer, etwas mehr Weinanbau. Aber schon jetzt überwinden auch bei uns Extremwetterereignissen alle Grenzen.
Also beschäftigen wir uns mit den falschen Dingen?
Klar. Wir haben eine politische Situation, die es den Parteien nicht mehr erlaubt, Sachthemen auf die Tagesordnung zu bringen. Weil sie Angst haben müssen, dass die Bevölkerung sie bestraft und die AfD wählt. Durch ihre ablehnende Haltung bestimmt die AfD, was die anderen Parteien überhaupt noch unters Volk bringen können. Beispiel: Diese Partei kennt weder den Klimawandel noch will sie eine Energiewende. Überall auf der Welt glauben nationale Parteien, dass der Klimawandel nur eine Erfindung von uns verrückten Wissenschaftlern ist.
Denken wir beispielsweise an eine Nation im nordamerikanischen Raum...
Es ist interessant, dass deren Präsident diesen Unsinn erzählt, die US-Amerikaner aber trotzdem erneuerbare Energien ausbauen. Die Gouverneure merken, dass die Leute keine Kohlekraftwerke vor Ort haben wollen. Mit Photovoltaikanlangen und Windrädern lässt sich in Texas und Iowa Geld verdienen. Die USA haben zwar nach wie vor die größte Kohlendioxid-Emission pro Kopf, aber sie haben auch die größte Reduktion. Weil sie erneuerbare Energien ausbauen. Egal was der große Blonde in Washington erzählt.
Was heißt das für uns in Deutschland?
Wenn wir solche eine Polarisationsbewegung in Deutschland reinlassen, dann werden wir dieses Problem nicht lösen können. Die Transformation einer Gesellschaft ist ein nationales Projekt. Es muss zu einer gemeinschaftlichen Aufgabe werden. Immer wenn es auseinanderstrebende Bewegungen gibt, geht das nicht. Es ist eine politisch schwierige Situation. Die destabilisierenden Momente aus der rechten Ecke sind für alles, was mit Energiewende und Klimawende zu tun hat, katastrophal.
Sie schreiben, eine Gesellschaft könne sich nur in eine ökologisch sinnvoll handelnde verwandeln, wenn es gerecht in ihr zugeht. Wie meinen Sie das?
Viele Menschen, die die AfD wählen, fühlen sich abgehängt, nicht akzeptiert, in ihrer Identität nicht anerkannt. Das kommt davon, dass wir Bildungsungerechtigkeiten weiter befördern, dass wir Mittel ungerecht verteilen und so weiter. So entstehen Spaltungspotenziale. Um wirklich das Klima retten zu wollen, brauchen wir Konsens auf breiter Ebene. Ich möchte zum Beispiel nicht, dass wir in Deutschland in eine Irrationalität wie den Brexit verfallen. Daran sieht man, was passiert, wenn eine Gesellschaft ungerecht mit ihren Ressourcen umgeht.
Wie meinen Sie das?
Armutsunterschiede in Großbritannien sind unglaublich hoch, in Deutschland steuern wir auf solche Verhältnisse zu. Momentan hat man den Eindruck, dass Ökologie nur was für die Besserverdienenden ist. Aber es sollte Normalität für alle werden, sich ökologisch richtig zu verhalten. Dafür plädieren Klaus Kamphausen und ich in unserem neuen Buch.
Klingt, als wäre eine Revolution vonnöten?
Wir müssen auf jeden Fall endlich anfangen. Das haben wir noch nicht. 87 Prozent der Energiemengen stammen noch immer aus fossilen Ressourcen. Wir haben noch nicht einmal angefangen damit, dieses Land wirklich in die Energiewende hineinzubringen. Das ist fatal, die Ampeln stehen alle auf Rot. Stattdessen labern wir in Kommissionen darüber, wann wir aus der Kohle aussteigen sollen. Das ist lächerlich, denn das hätten wir schon lange tun müssen. Praktiker vor Ort erzählen oft von merkwürdigen Dämpfungsmechanismen, die den Ausbau der erneuerbaren Energie hintertreiben. Es gibt Tendenzen, sie zurückzufahren statt auszubauen. Wir fahren die ganze Zeit wie die Titanic auf den Eisberg zu. Wie damals auf dem Schiff sind es auch heute die Ärmsten, die zuerst ins Wasser springen müssen.
Ein Schuld trifft aber auch die Verbraucher oder?
Klar. Beispiel Reisen. Früher war ein Flug etwas Besonderes. Heute fliegen Familien übers Wochenende nach New York. Vielleicht sollten wir statt des Wortes Revolution den Begriff Evolution benutzen. Vielleicht sind wir einfach nur die Lücke zwischen Affe und Mensch. Wir haben noch nicht begriffen, dass wir mit dieser Natur zusammenleben müssen. Dass es nicht nur darum geht, sich jeden Wunsch sofort zu erfüllen. Für ein erfülltes Leben brauchen wir eine funktionierende Natur, die uns gesund leben lässt.
Was macht uns denn zum Menschen?
Wir sind ein widersprüchliches Wesen. Nur wenige Organismen im Tierreich verfügen über die Fähigkeit, reflektieren zu können. Nun sind wir das einzige Lebewesen, das seine Gedanken auch noch aufschreiben kann. Trotzdem sind wir das Produkt von Evolution. Uns tragen noch immer Erfolgsrezepte in uns, die vor Jahrhunderttausenden wichtig waren, es heute aber nicht mehr sind.
Zum Beispiel?
Das Wachstum. Alleine war es früher in der Savanne gefährlich, in der Gruppe weniger. Wenig Nahrungsmittel zu haben war gefährlich, viel zu haben, war besser. Für uns hat Wachstum noch immer eine positive Konnotation. Um die tierischen Triebe zu bändigen, hat der Mensch Kultur erschaffen. Dazu gehören auch Politik und Wissenschaft. Wir werden uns aber noch weiter bändigen müssen. Denn solch ein Tier wie den Menschen hält die Erde nicht lange aus.
In ihrer Fernsehsendung im ZDF erklären Sie Phänomene quer durch die Welt der Wissenschaft. In Ihrem neuen Buch zeigen Sie in 26 Kapiteln, wie sich die Welt noch retten lässt. Welches sollten wir zuerst lesen?
Man sollte hinten anfangen mit dem Kapitel "Demut". Demut ist dringend angesagt, Industrienationen leiden unter einer Hybris. Sie glauben, dass die Technologie, die erst zu den Problemen geführt hatte, könnte ein wesentlicher Teil der Lösung sein. Dabei war schon Einstein klar, dass das ein logischer Denkfehler ist.