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Hannover: Patient schlägt Hausarzt krankenhausreif - "macht mich fassungslos"


Autor: Agentur dpa, Nadine Wüste

Spenge, Dienstag, 18. Februar 2025

Die Gewalt gegen Ärzte und medizinisches Personal nimmt zu, und es kommen immer häufiger Übergriffe in Praxen und Krankenhäusern vor. Experten fordern eine Verschärfung der Gesetze, um den Schutz zu gewährleisten.
Ein Arzt wurde in seiner Praxis von einem Patienten bewusstlos geschlagen. Gewalt gegen Ärzte und Personal sind keine Seltenheit.


Beim Arzt bespricht man die persönlichsten und vertraulichsten Angelegenheiten, man fühlt sich dort üblicherweise sicher und geborgen. Die Praxis sei ein geschützter Raum, erklärt Hausarzt Andreas Schimke - dort würden "Dinge besprochen, die sonst nirgends besprochen werden".

Ein Schutzraum nicht nur für Patienten? Keineswegs, auch für Arzt oder Ärztin, betont der Mediziner aus Spenge in Nordrhein-Westfalen. "Das darf nicht missbraucht werden, nicht vom Arzt und auch nicht vom Patienten."

Mediziner wird krankenhausreif geprügelt

Die Realität gestaltet sich jedoch manchmal anders: Ende Januar wird der 54-Jährige in seiner Praxis von einem Patienten bewusstlos geschlagen, "unvermittelt, unvorbereitet, aus meiner Sicht auch grundlos". Die Polizei ermittelt. Es handelt sich offensichtlich um keinen Einzelfall: Erst am Montag (17. Februar 2025) bedroht im Düsseldorfer Uni-Klinikum ein Mann einen Arzt mit einem Messer und wird daraufhin von einem Polizisten angeschossen, nachdem ein Elektroschockgerät wirkungslos bleibt.

Der Schuss trifft sein Bein, er wird notoperiert. Ein Allgemeinmediziner aus dem Landkreis Wolfenbüttel wiederum sagt der "Braunschweiger Zeitung": "Es ist nicht mehr auszuhalten." Beleidigungen seien an der Tagesordnung, er erwäge, aufzuhören. Schimke äußert sich zu der Attacke: "Das macht mich fassungslos." Er habe erhebliche Gesichtsverletzungen erlitten, leide unter Schmerzen, sei über mehrere Stunden im Krankenhaus behandelt worden und falle zwei Wochen am Arbeitsplatz aus. Von bleibenden Schäden sei glücklicherweise nicht auszugehen.

Der Täter habe außerdem gedroht, ihn und seine Familie umzubringen. Mehr will er unter Hinweis auf seine ärztliche Schweigepflicht zu dem Vorfall nicht äußern.

Arzt schlägt vor: Strafrecht verschärfen, Hemmschwelle erhöhen

Was aus seiner Sicht ohnehin mehr Gewicht hat: "Ich wundere mich über fehlende Konsequenzen, als der Geschädigte fühle ich mich nicht wirklich durch das System vertreten." Nach Angaben der Polizei in Herford wird der mutmaßliche Täter, ein 24-Jähriger, fachärztlich begutachtet, ist aber weiter auf freiem Fuß. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur kommt der 24-Jährige nur vorübergehend in eine Psychiatrie, auch eine zweite Untersuchung ändert daran nichts.

Zwar lasse die Polizei Streife vor seiner Praxis fahren, sagt Schimke. Aber: "Ich fühle mich nicht in ausreichendem Maße geschützt." Sein Eindruck sei, dass sich etwas tue in der Gesellschaft - und man in einer Gesellschaft, die zunehmend verroht, die Hemmschwelle erhöhen müsse. Sein Vorschlag: Das Strafrecht verschärfen.

Hausärzte, Klinikärzte und Beschäftigte in Praxen sollten in den Paragrafen 115 des Strafgesetzbuchs aufgenommen werden. Ein Gesetzentwurf der gescheiterten Ampel-Koalition sollte zudem mit einer leichten Verschärfung des Strafrechts unter anderem Rettungskräfte besser vor Gewalt schützen. Allerdings: Nach Angaben des Bundesjustizministeriums sei mit einem Abschluss des Gesetzgebungsvorhabens angesichts des vorzeitigen Endes der Legislaturperiode nicht mehr zu rechnen.

Dennoch: Die Regelung müsse "um alle in der direkten Patientenversorgung tätigen Berufsgruppen" erweitert und von einer neuen Bundesregierung beschlossen werden, mahnt Marion Charlotte Renneberg, Hausärztin und stellvertretende Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen. Mit der Forderung steht sie nicht allein, dafür sprechen sich auch andere Verbände und Kammern aus. Die Bundesärztekammer mahnt sogar ein ganzes Maßnahmenbündel an, das über eine Strafrechtsverschärfung weit hinausgeht: Ermittlungsbehörden und Gerichte benötigten notwendige personelle und finanzielle Ressourcen, um die rechtlichen Möglichkeiten voll auszuschöpfen, fordert der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt.

Forderung an neue Bundesregierung

"Nur so werden potenzielle Täter verinnerlichen: Angriffe auf Beschäftigte des Gesundheitswesens sind keine Kavaliersdelikte, sie sind schwerwiegende Straftaten", betont er. Bund und Länder sollten darüber hinaus Meldesysteme für Angriffe auf Einsatzkräfte und medizinisches Personal implementieren. Weil Ärztinnen und Ärzte tagtäglich unter großem Arbeits- und Zeitdruck stünden, sähen sie nicht selten davon ab, Beleidigungen oder Pöbeleien zur Anzeige zu bringen, weil in der Hektik des Tages dafür einfach keine Zeit sei.

Reinhardt erklärt: "Wenn ausgerechnet diejenigen angegriffen und in ihrer Arbeit behindert werden, die anderen Menschen bei Krankheit und in Notsituationen zur Seite stehen, ist das nicht nur eine neue Dimension gesellschaftlicher Verrohung, es ist ein echtes Problem für die Allgemeinheit." Der Schutz von Leib und Leben im Gesundheitswesen gehöre dringend auf die Agenda der neuen Bundesregierung, fordert er.

Denn es beträfe ihn nicht allein, meint Schimke - er habe viele Zuschriften von Kollegen erhalten: "Es muss eine unendlich hohe Dunkelziffer geben." Allerdings seien Aggressionen weniger im Sprechzimmer, sondern mehr an der Anmeldung zu beobachten: "Man merkt den rauen Ton." Auch Reinhardt betont, es handele sich um keinen Einzelfall: "Gereiztheit ist weit verbreitet, und die Schwelle, an der sie übergeht in Aggression, ist definitiv gesunken. Auf den Straßen werden Notärzte und Rettungssanitäter attackiert. In den Notfallambulanzen werden die Mitarbeitenden wegen Nichtigkeiten angepöbelt oder sogar irrational angegriffen. Auch in unseren Praxen kommt es immer häufiger zu gewaltsamen Übergriffen."

Viele Ärzte und Sanitäter erleben Gewalt

Renneberg spricht von einem "immer rücksichtsloser werdenden Umgang mit den Beschäftigten im ärztlichen Notdienst, in Notaufnahmen, in Praxen, Kliniken sowie an vielen anderen Stellen der Gesundheitsvorsorge." Sie betont: "Dies ist absolut inakzeptabel."

Aber: Wie häufig tritt Gewalt auf? Nach einer Online-Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung unter knapp 7.600 Ärzten und Ärztinnen, Psychotherapeuten und medizinischen Fachangestellten haben vier Fünftel von ihnen 2023 Beschimpfungen, Beleidigungen oder Bedrohungen erlebt. Davon schalteten 14 Prozent die Polizei ein oder erstatteten Anzeige. Und 43 Prozent der Befragten erlebten in einem Zeitraum von fünf Jahren auch physische Gewalt. Diese reichte von Tritten gegen das Schienbein, Schubsen und Bespucken bis hin zu schweren Übergriffen.

Aufschlussreich dürfte auch eine Umfrage der Ärztekammer Westfalen-Lippe unter ihren Mitgliedern zu deren Erfahrungen mit Gewalt von Mai 2024 sein. Binnen weniger Tage meldeten sich 4.513 Ärztinnen und Ärzte zurück - und mehr als die Hälfte (2.917) davon bejahte die Frage, im ärztlichen Alltag bereits Gewalt erfahren zu haben. Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe mitteilte, bei einer Umfrage zu Gewalt im vergangenen Jahr hätten 750 Praxen geantwortet - fast 20 Prozent hätten wegen Erfahrungen mit Gewalt in der Praxis Schwierigkeiten, ausreichend Personal zu rekrutieren.

"Hausärzte sind immer allein"

Was speziell niedergelassenen Ärzten das Leben erschwert: Hausärzte verzichteten auf persönlichen Schutz, indem sie sich in potenziell gefährliche Situationen begäben, um Patienten zu helfen - wie beim Hausbesuch, erklärt Schimke. Dabei sei oft unklar, ob sie etwa auf einen psychisch kranken oder einen drogenabhängigen Menschen treffen.

Doch während Rettungskräfte normalerweise nicht allein im Einsatz seien, gelte: "Hausärzte sind immer allein." Und wie geht der 54 Jahre alte Hausarzt Andreas Schimke aus Spenge nun weiter vor? Es mache etwas mit den Menschen, wenn sie mit dem Tod bedroht würden, sagt er - betont aber auch: "Ich bin nicht der Typ, besorgt in die Praxis zu gehen."

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