«Gräben tiefer denn je» - Deutschland nach dem Gaza-Krieg
Autor: Christoph Driessen, dpa
, Mittwoch, 15. Oktober 2025
Zwei Jahre hieß es auch in Deutschland: Bist du für Israel oder für Palästina? Nun ist der Krieg hoffentlich zu Ende, aber das bedeutet noch lange nicht, dass man wieder miteinander redet.
Nathan (18), ein jüdischer Kölner, war zum Zeitpunkt des Terrorangriffs der Hamas am 7. Oktober 2023 mit seiner Familie zu Besuch in Israel. «Wir waren den ganzen Tag nur vor dem Fernseher und haben israelische Nachrichten geguckt», erinnert er sich im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Was seine Familie besonders erschütterte, waren die Bilder von feiernden Muslimen auf den Straßen von Berlin.
«Auch die "Free Palestine"-Proteste in der Woche nach dem 7. Oktober, es war einfach extrem schockierend, so etwas in Deutschland, in seiner Heimat, zu sehen.» Deshalb fiel es Nathan trotz der hochgradig angespannten Lage in Israel richtig schwer, nach Deutschland zurückzufliegen. In den ersten Tagen danach wollte er nicht wieder in die Schule gehen. «Einfach weil es mich so bedrückt hat.»
Eine Art politische Fußball-Mentalität hat sich ausgebreitet
Bedrückend war der Konflikt auch für viele Deutsch-Palästinenser, nur aus anderen Gründen. Der Berliner Kinderarzt Qassem Massri (41) berichtet der dpa, dass er mindestens 65 Verwandte durch die israelischen Bombenangriffe verloren habe. «Ich habe bei 65 aufgehört zu zählen», sagt er. Er ist selbst im nördlichen Gaza-Streifen aufgewachsen und 2003 zum Medizinstudium nach Deutschland gekommen. «Die letzten zwei Jahre waren die schlimmste Zeit meines Lebens.»
Sein Deutschland-Bild habe sich völlig verändert: «Ich hatte geglaubt, dass der Zweite Weltkrieg und der Holocaust eine Lektion für dieses Land gewesen wären. Aber ich habe mich geirrt. Deutschland ist für mich ein Partner in diesem Verbrechen an der palästinensischen Zivilbevölkerung, weil es Israel dabei unterstützt hat. Wenn das "Nie wieder" nicht für alle gilt, dann hat Deutschland nichts gelernt aus seiner Geschichte.»
Der Nahost-Konflikt hat schon immer polarisiert: Jedes Mal, wenn es in der Region eine Eskalation gab, erhöhte dies auch die Spannungen in Deutschland. Aber der 7. Oktober 2023 und alles, was danach kam, hatte eine andere Dimension. «Seitdem sind die Gräben auch bei uns hier tiefer als jemals zuvor», sagt die Politologin Saba-Nur Cheema. «Die Empathie ist noch selektiver geworden. Viele sehen ausschließlich das Leid der einen und nie das der anderen Seite.»
Und es gab noch einen Unterschied: Zum ersten Mal bezogen große Teile der Bevölkerung in dem Konflikt Stellung. «Die Frage war: Für wen bist du - Israel oder Palästina?», fasst es Shai Hoffmann zusammen, ein jüdischer Deutscher mit israelischer Familienbiografie, der sich in Schulen mit dem Format «Trialog» und in seinem Podcast «Über Israel und Palästina sprechen» für Verständigung einsetzt. In Deutschland habe sich eine Art «politische Fußball-Mentalität» ausgebreitet, sagt er.
Die Gegen-Meinung wird in den Kommentar-Foren niedergemacht
Einen Dialog gab es fast nur noch in kleinen Formaten wie dem Jüdisch-Muslimischen Salon in Berlin. Für Menschen wie Stefan Jakob Wimmer, der sich als Vorsitzender der «Gesellschaft Freunde Abrahams» seit Jahrzehnten für den interreligiösen Dialog engagiert, war die Zeit zutiefst deprimierend.