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Götterdämmerung: Die Kunst des Übergangs


Autor: Monika Beer

Bamberg, Montag, 04. Februar 2013

Mit der konzertanten "Götterdämmerung" unter Jonathan Nott gelingt den Bamberger Symphonikern ein Großprojekt. Im Sommer folgt in Luzern ein kompletter "Ring"-Zyklus.
Applaus nach dem zweiten Aufzug der Götterdämmerung mit (von links) Jonathan Nott, Petra Lang (Brünnhilde), Christian Voigt (Siegfried) und Jutta Maria Böhnert (Gutrune)Foto: Peter Eberts


Am Schluss waren sie sichtlich geschafft, die Musiker der Bamberger Symphoniker und ihr Chefdirigent Jonathan Nott. Aber auch glücklich. Denn die für ein Symphonieorchester doch ungewöhnliche Expedition durch Richard Wagners "Ring"-Tetralogie, die im Januar 2001 mit "Siegfried" begann, ist im Wagner-Jahr 2013 an einem Endpunkt angekommen. Erstmals hat das Orchester jetzt zweimal konzertant die "Götterdämmerung" gespielt, zunächst aktweise und am Sonntag auch als komplette Aufführung. Großer, berechtigter Jubel für alle Beteiligten.

Wer Wagner wagt, braucht nicht nur versierte Instrumentalisten und Choristen, sondern auch Solisten, die eben nicht nach der viel beschworenen Krise des Wagnergesangs klingen, welche es gibt, seitdem Wagner aufgeführt wird. Bei der Bamberger "Götterdämmerung" ist das bis auf eine Ausnahme zum Teil sogar sehr gut gelungen. Dass Petra Lang schon bei ihrem Rollendebüt als Brünnhilde überzeugen konnte, ist nicht selbstverständlich. Denn gerade diese Partie verlangt einer Wagnersängerin alles Mögliche und fast Unmögliches ab. Natürlich fehlt ihr noch jene Sicherheit und Vertrautheit, die auch den vielen kleinen Noten differenzierende Farben und Wärme gibt. Aber die großen Noten kommen bei ihr, wie Wagner schon beim ersten "Ring" in Bayreuth sagte, wie von selbst.

Grandiose Gesangskunst

Brünnhildes Heilrufe am Ende des Vorspiels habe ich schon lange nicht mehr so schlackenlos jubelnd gehört, in der Waltrautenszene lässt sie ihre Liebe zu Siegfried wunderschön aufleuchten, sogar der schwierige Triller gelingt und erst recht der Schluss des 1. Aktes, der ein einziger gesungener Aufschrei ist. Auch die großen Ausbrüche der betrogenen Brünnhilde im 2. Akt sind stark berührende Gesangskunst und eben kein pseudodramatisch tremolierendes Gejaule - glasklar, ruhig und schneidend hart verrät sie Siegfried, um in ihrem grandiosen Schlussgesang des 3. Akts freudig jauchzend unterzugehen. Bravo, Petra Lang.

Christian Vogt als Siegfried war ihr am Sonntag ein fast ebenbürtiger Partner: ein klug einteilender, sehr wortverständlicher Tenor, der, wenn er sich warum gesungen hat, mit einem lyrischen Timbre und Durchschlagskraft für sich einnimmt und im Sterben so ergreifend von seiner Liebe singen kann, dass es richtig weh tut. Bravourös und sehr plastisch auch die Waltraute von Elisabeth Kulman - ein noch junges stimmliches Juwel, das man in Bamberg schon mit den auch eingespielten Orchesterliedern von Hans Sommer kennen und schätzen gelernt hat.

Kultivierte Gibichungen

Michael Nagy als Gunther und Jutta Maria Böhnert als Gutrune waren ein überaus kultiviertes Gibichungen-Geschwisterpaar der Spitzenklasse, bei Martin Winklers Alberich bedauerte man nur, dass sein prägnanter Auftritt im 2. Akt so kurz ist. Sowohl als Rheintöchter wie als Nornen überzeugten vor allem Zoryana Kushpler und Ulrike Helzel.

Die einzige große Fehlbesetzung war Alexei Tanovitski als Hagen - ein russisch orgelnder Bass mit sonorer Tiefe und in den Höhen unkontrolliert ausbrechenden Tönen, der weder seinen Text noch die Noten sauber beherrschte, dafür aber darstellerisch übertrieb. Dass er Hagens Schluss, das "Zurück vom Ring!", ewig lang zog, obwohl es anders in der Partitur steht, wird ihm der darob sichtlich irritierte Jonathan Nott sicher nicht vergessen.

Hauchzartes und Klanggewalt

Überhaupt lässt sich sagen, dass es dem Dirigenten bei dieser seiner "Ring"-Wanderung zunächst einmal darauf ankommt, tatsächlich das zu verwirklichen, was Wagner komponiert hat. Was schon allein überraschende Hörerfahrungen bietet, zum Beispiel am Schluss, wenn die meisten Dirigenten vor dem Sieglindenmotiv eine nicht vorhandene Pause zelebrieren. Nicht so Jonathan Nott. Er lässt die Musik fließen, hat sich vielmehr ganz der Kunst des Übergangs verschrieben und arbeitet mit dem insgesamt fabelhaft spielenden Orchester selten oder nie gehörte Feinheiten heraus.

Schon beim Tagesgrauen nach der Nornenszene wollte ich meinen Ohren kaum glauben: Die sonst so brillanten Streicher und Bläser, ja selbst die Blechbläser produzierten so geschmeidig-zarte Töne, als wären sie ein Spinnengewebe aus Samt und Seide. Umgekehrt gab es natürlich auch sattesten Surroundsound und - vor allem mit dem von Eberhard Friedrich, dem Bayreuther Chordirektor, perfekt einstudierten Rundfunkchor Berlin - eine Klangfülle, die einen aus dem Stuhl heben konnte.

Ganz nah an der Partitur

Dabei nimmt Jonathan Nott stets auch ernst, dass Wagner nach den Erfahrungen der "Ring"-Uraufführung sämtliche dynamischen Bezeichnungen um eine Stufe abschwächen wollte, woraus resultiert, dass diese Interpretation ausgesprochen lautstärkenbewusst und somit sängerfreundlich ist. Der Dirigent singt manchmal nicht nur innerlich mit, atmet mit den Sängern und den Instrumentalisten gleichermaßen.

Nott dirigiert ein sprechendes Orchester, das in den Celli so beredt ein Bild des Weibes malt, das Siegfried vergessen soll, dass man Brünnhilde vor sich sieht, ein Orchester, das zynisch und brachial das Getue der Blutsbrüderschaft konkterkariert, ein Orchester, das sogar vortrefflich lügen kann, wenn es den Feuerzauber entfacht, bevor Siegfried als Gunther bei Brünnhilde eindringt. Und ein Orchester, das die Farben der Liebe in allen Abstufungen ausbreitet - in einem Tempogefüge, das insgesamt nur sechs Minuten mehr braucht als die Bayreuther Uraufführung unter Hans Richter.


Intensive Hörerfahrung

Dass man in einer konzertanten Aufführung den stupenden Reichtum dieser Wagner-Partitur besser erfahren kann, liegt auf der Hand. Schon einfach deshalb, weil man nicht von der Szene abgelenkt wird. Das sehr dezent Aufeinander-Bezogensein der Solisten reichte vollkommen aus, um in meinem Kopf eine komplette "Götterdämmerung" zu erleben - mit einer Naturerfahrung, die im heutigen Regietheater leider außen vor bleibt, mit Figuren, die plötzlich auch wieder jene Unschuld hatten, wie ihr Schöpfer sie empfunden haben mag, mit einer Fülle von Fein- und Verwobenheiten, mit einem orchestralen Tsunami und schierer Überwältigung am Schluss.

Das Schöne an der "Ring"-Expedition der Bamberger Symphoniker ist, dass sie noch nicht zu Ende ist. Am 23. Juni wird das Orchester in der Bayreuther Stadthalle Auszüge aus dem "Ring" spielen. Am 30. und 31. August sowie am 2. und 4. September folgt zum Teil mit denselben Solisten eine zyklische "Ring"-Aufführung in Luzern, also just dort, wo Wagner seinen "Siegfried" vollendet und große Teile der "Götterdämmerung" musikalisch entworfen und skizziert hat. Denn das einzige, was mir außer einem guten Hagen-Sänger bei dieser "Götterdämmerung" in Bamberg richtig gefehlt hat, war die frische Erfahrung der drei anderen, vorangehenden "Ring"-Teile.