Gender-Verbot-Streit: Gleichberechtigung oder Kulturkampf?
Autor: Jens Albes, dpa
, Sonntag, 10. Dezember 2023
Wie sieht eine geschlechtergerechte Schreibweise aus? Nun spielt das Thema auch in Koalitionsgesprächen eine Rolle. Beteiligt daran ist eine bislang nicht für Gender-Verbote bekannte Partei.
Der Streit um das Gendern mit Doppelpunkt, Binnen-I, Unterstrich oder Sternchen kocht inzwischen auch in der Politik hoch. Dabei spielen neben Begriffen wie Gleichberechtigung und Inklusion zunehmend auch Wörter wie Kulturkampf und Populismus eine Rolle. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will Gendern in Schulen und Behörden des Freistaats verbieten. Auch in Hessen zeichnet sich Ähnliches ab. Hier haben CDU und SPD, die über ein neues Regierungsbündnis verhandeln, bereits mit einem gemeinsamen Eckpunktepapier nach ihren ersten Sondierungen Aufsehen erregt.
Beide Parteien wollen demnach in Hessen «festschreiben, dass in staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen (wie Schulen, Universitäten, Rundfunk) auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird» - bei einer Orientierung am Rat der deutschen Rechtschreibung.
In einigen Bundesländern gibt es bereits ähnliche Verbote oder Bestrebungen. So werden etwa an Schulen in Sachsen und Sachsen-Anhalt Sonderzeichen für eine geschlechtsneutrale Sprache abgelehnt. In Sachsen werden Paarformen wie Schülerinnen und Schüler und geschlechtsneutrale Formen wie Lehrkräfte empfohlen. In Aufsätzen werden Genderformen als Fehler markiert. Sachsen-Anhalts Bildungsministerium untersagt Schülern zwar Gender-Sternchen und das Binnen-I, lässt bei der Bewertung ihrer Texte aber Spielraum.
«Das exakte Gegenteil von Inklusion»
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) hat wie Söder gerade eine Landtagswahl gewonnen. Er sagt der Deutschen Presse-Agentur: «Ich will niemandem vorschreiben, wie er spricht. Aber ich finde es wichtig, dass niemand an einer Hochschule oder in einer Schule in einer Hausarbeit oder in einer Klausur schlechtere Noten erhält, weil er beispielsweise auf das Gendersternchen verzichtet.»
Rhein erlebt nach eigenen Worten neben «dem einen oder anderen "Berufsgenderer"» eine «enorme Zustimmung bei diesem Thema». Er finde es schwierig, Genderformen zuzuhören oder sie zu lesen. Er selbst verwende auch öfter Paarformen wie «Bürgerinnen und Bürger». Mit «sperrigen» Gender-Sonderformen würden viele ausgegrenzt. «Das ist das exakte Gegenteil von Inklusion», sagt der hessische CDU-Chef.
Jusos und Lehrerverbände üben Kritik
Die SPD ist bisher nicht für Gender-Verbote bekannt. In Hessen will sie sich nach eigenen Worten an Debatten darüber «vor dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen nicht beteiligen». Vom Parteinachwuchs kommt derweil Gegenwind. Juso-Landeschef Lukas Schneider moniert: «Derartige Beschränkungen der geschlechtergerechten Sprache dienen lediglich dazu, Spaltung zu fördern und Menschen auszuschließen.» Die Jusos drohen damit, einem Koalitionsvertrag nicht zuzustimmen, «wenn diese rückwärtsgewandte Forderung weiterhin darin enthalten ist».
Auch Lehrerverbände üben Kritik - in Hessen wie in Bayern. Dort hat Söder das angekündigte Gender-Verbot jüngst verteidigt: «Ich glaube, dass das Gendern unsere Gesellschaft eher spaltet als alles andere.» Fragen zu Umsetzung und möglichen Sanktionierungen in Schule und Verwaltung hat der CSU-Chef vorerst unbeantwortet gelassen. Auch in Hessen erscheint dies zunächst noch nebulös.