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Ein Schlachtfest auf der Bühne


Autor: Rudolf Görtler

Nürnberg, Sonntag, 25. Oktober 2015

Christoph Nußbaumeders "Fleischwerk" in Nürnberg ist mehr Melodram als Sozialdrama. Der Ekelfaktor ist relativ gering. Trotz mancher Schwächen ist das Stück sehenswert.
Da wird die Bühne zum Schlachthaus: Szene aus Christoph Nußbaumeders "Fleischwerk" Fotos: Marion Bührle


Ist es wirklich die jüngst postulierte Renaissance des Politischen, die sich am Nürnberger Schauspielhaus in Gestalt von Christoph Nuß-baumeders "Fleischwerk" manifestiert?
Man könnte es meinen nach Ankündigung und Programmheft-Lektüre. Überhaupt gilt der 1978 geborene Autor als Erneuerer des kritischen Volkstheaters in der Manier Marieluise Fleißers und Ödön von Horváths, von Martin Sperr und Franz Xaver Kroetz vielleicht auch. Doch die Protagonisten im "Fleischwerk" sind keine sprachlosen, dumpfen Proletarier wie beim Letztgenannten, und Nußbaumeders Drama, im Sommer erst in Bochum uraufgeführt, ist auch kein Agitprop-Stück. Doch was ist es überhaupt? Im Changieren zwischen Sozialkritik und Melodram liegt die Crux dieses Dramas.


Schlachtfest auf der Bühne

Das in der Inszenierung von Markus Heinzelmann mit einem Knalleffekt beginnt.
Ein lebensgroßes Plastikschwein wird aufgehängt und ausgeweidet. Blutiges Gekröse fällt auf den mit heller Plastikfolie ausgekleideten Boden, wie überhaupt die Bühne (Gregor Wickert) klinisch-steril und karg ausgestattet gehalten ist.
Es ist die unterste Arbeitnehmer-Schicht, die hier zu miesen Löhnen malocht: Wanderarbeiter aus Rumänien und Bulgarien mit Werksverträgen verrichten die Drecksjobs, für die kaum ein Deutscher mehr zu finden ist. Das hätte nun ein anklagendes, klassenkämpferisch fundiertes Sozialdrama mit Schwarzweißzeichnung werden können. Doch das war Nußbaumeder offenbar zu simpel. Seine Protagonisten sind in ein Geflecht aus Schuld und Sühne verwoben - nicht zufällig wird Dostojewskis Roman erwähnt -, wobei sich verschiedene Zeitebenen ineinanderschieben.
Helden sind der aufbegehrende Schlachthofarbeiter Andrei (Philipp Weigand), dessen Frau Susanna (in Nürnberg debütierend Bettina Langehein) und der "Schweinekutscher" Daniel (Stefan Lorch), der seine Frau erschlagen hat und sieben Jahre im Knast saß. Wie man bald erfahren wird, sind seine Tage gezählt: Krebs. Diese Sphäre wird durch Überschriften auf einer riesigen Leinwand ("Sesshaft") in guter alter episch-brechtischer Manier dem Zuschauer eingehämmert. Die andere Seite sind neben Andrei der opportunistische Vorarbeiter Georgi (Frank Damerius) und der Sklaventreiber Akif aus dem Iran mit Kriegserfahrung und Schleuser-Aktivitäten. Akif (Stefan Willi Wang) und Daniel sind, man möchte sagen: schicksalhaft, miteinander verbunden so wie Susanna und Daniel. Irgendwie sind alle an allem schuld (wieder Dostojewski).
All diese Verflechtungen werden im Lauf der Handlung offenbar: fast ein Krimi. Zwar ist Andrei ein positiver Held, zwar sagt der Schweinemäster Weidenfeller (Thomas Marx) Sätze wie "Ich habe meine Ehre an die Industrie verkauft", zwar klingt der Klassenkampf immer wieder an, doch letzten Endes schlägt das Melodram die Agitprop. Auch wenn der Sklavenaufstand des Spartakus in direkter Ansprache ans Publikum referiert wird, auch wenn Andrei eine rosafarbene Fahne schwenkt. Wer ist nun schuld? Wir Fleischfresser? Oder doch das System? Ulrich Seidl hat in seinem Film "Import - Export" sich prostituierende Osteuropäerinnen, die auch im "Fleischwerk" thematisiert werden, gnadenloser geschildert. Ein beherzt aufspielendes Ensemble, das reichlich Applaus einheimste, mit besonders dem rotzigen Stefan Willi Wang und eine eher zurückhaltende, alle technischen Möglichkeiten des Nürnberger Schauspielhauses klug nutzende Regie machen dieses Gegenwartstheater dennoch sehenswert. Immerhin geht es um eher selten zu sehende Bühnenhelden: hart arbeitende Menschen.