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"Drei Winter" am Bamberger Theater: viel Sitzfleisch nötig


Autor: Rudolf Görtler

Bamberg, Sonntag, 21. Mai 2017

Für die deutschsprachige Erstaufführung von Tena Štivicics Kroatien-Drama "Drei Winter" in Bamberg braucht der Zuschauer viel Sitzfleisch.
Familien-Bande: (v. l.) Karl (Florian Walter), Vlado (Volker Ringe), Mascha (Iris Hochberger), Igor (Bertram Maxim Gärtner)  Foto: Martin Kaufhold


"Das war's mit Jugoslawien" ist der letzte Satz vor der Pause in dem über dreistündigen Mammutdrama "Drei Winter" von Tena Štivicic, das am Samstag im E.T.A.-Hoffmann-Theater in der Regie von Sibylle Broll-Pape seine deutschsprachige Erstaufführung erlebte.
Ja, das war's mit Jugoslawien Anfang der Neunziger, als mitten in Europa ein Bürgerkrieg ausbrach, den im "Westen" niemand für möglich gehalten hatte. Heute fragt niemand mehr nach der unheilvollen Rolle deutscher Außenpolitik, die, besoffen von der Wiedervereinigungseuphorie, den Separatismus auf dem Balkan kräftig förderte.
Doch das thematisiert Štivicics Familiendrama nur am Rande. Was ist das für ein Stück, 2014 in London uraufgeführt? Die 40-jährige Erfolgsautorin nutzt den Stoff der eigenen Familiengeschichte für eine Geschichte Jugoslawiens von 1945 bis 2011. Genauer, eine Geschichte Kroatiens. Wer wusste schon von der Brisanz der Nationalitätenkonflikte im konfessionell, ökonomisch und ethnisch zerrissenen Vielvölkerstaat, den Marschall Tito bis zu seinem Tod 1980 gewaltsam zusammengehalten hatte?
"Drei Winter", durch Schneegestöber auf einer Videoleinwand visualisiert, konzentriert sich auf die Frauen der Familie Kaiser/Kos (nebenbei: Die Verwendung der Phrasen "starke Frauen" bzw. "Powerfrauen" et al. sollte ins StGB aufgenommen werden), festgemacht an drei Stationen. Sie sind entscheidend: 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg bekommt die idealistische Partisanin Rose in Zagreb die Villa eines Nazi-Kollaborateurs zugewiesen. 1990, kurz vor Beginn des Bürgerkriegs, erfährt der faschistoid getönte Nationalismus seine Renaissance. Und 2011, als Kroatien die Verträge zum EU-Beitritt unterzeichnete, ist ein mafiös strukturierter Kapitalismus zurückgekehrt.


Kenntnisse zweitrangig

Keine Angst, man muss im Grunde nicht mehr von kroatisch-jugoslawischer Geschichte wissen als der durchschnittliche Zeitungsleser. Auch das nicht immer chronologische Umherschalten zwischen den Zeitebenen fällt nicht schwer, so wie trotz der Mehrfachbesetzungen die Generationen und Personen mit gelinder Anstrengung zu identifizieren sind. "Drei Winter" erinnert an all die Romane, die seit einigen Jahren den Buchmarkt fluten und Politik in Frauen- bzw. Familiengeschichten verpacken. Ein angelsächsisch-konsumierbares Drama, das in Bamberg grundsolide inszeniert wurde. Man könnte bösartiger auch sagen bieder, aber nach so manchem Regisseurstheater-Exzess ist ein gesundes Maß an Konvention auch erholsam.
Es sind fesselnde, bedrückende Szenen enthalten, wenn etwa Dunja (Iris Hochberger) von ihrem gewalttätigen Mann Karl (Florian Walter) zusammengeschlagen wird, wenn die Braut Lucija (Pina Kühr) sozialistische Ideologie verbal entsorgt und kapitalistischen Egoismus propagiert. Aber in diese lange Geschichte hat die Autorin auch viel, zu viel hineingepackt, von den so genannten Massakern von Bleiburg 1945 bis zu Kriegstraumata in den Neunzigern und die Rückkehr der Religion. Das zieht und zieht und ziiiiht sich; die Dramaturgie hätte ruhig straffen dürfen. Und so manches Klischee nistet in der Familiengeschichte, von der kitschigen Zwischenmusik zu Bildern von Zagreb-Ansichtskarten oder Tito/Milosevic/Tudjman ganz abgesehen.


Wiedersehen

Was dieses Stück sehenswert macht, sind vor allem die Schauspielerleistungen. Man sieht endlich einmal wieder altbekannte Gesichter: Florian Walter, Iris Hochberger als u. a. geisterhaftes Fräulein Karolina, Volker Ringe als alternder Idealist Vlado, Eckhart Neuberg als Roses Ehemann Aleksandar, Katharina Brenner als u. a. Mascha wie immer zuverlässig virtuos. Ach ja, Regine Vergeen als Gast nicht zu vergessen. Aber auch die jüngere Equipe war gut ausgestattet mit Daniel Seniuk, Pina Kühr, Bertram Maxim Gärtner, Ronja Losert vor allem in der Rolle der kritischen Alisa, die zwischen Kosmopolitismus und Heimatverbundenheit oszilliert. Tanja Hofmann konstruierte als Bühne geschickt ein Villa-Wohnzimmer, das mit wenigen Requisiten die Zeitebenen plausibel macht. Freundlichen Beifall gab's zum Schluss; man war dann doch etwas erschöpft von diesem langen Lebens-Fluss mit Stromschnellen.

Termine und Karten
Weitere Vorstellungen 27,, 28. Mai, 7., 8., 10., 14., 18. Juni; weitere Termine in der Regel in Planung Karten Tel. 0951/873030, E-Mail kasse@theater.bamberg.de Dauer ca. drei Stunden, 15 Minuten, eine Pause