Die sechs Leben des Gregor Gysi
Autor: Christoph Hägele
Bamberg, Dienstag, 12. Februar 2019
Der Linke-Politiker und Rechtsanwalt präsentierte sich in Bamberg als gewiefter Entertainer. Jeden Anschein radikaler Rhetorik vermied er im E.T.A.-Hoffmann-Theater peinlichst.
Das Geheimnis und die Methode Gregor Gysi verriet der wohl prominenteste Linke-Politiker des Landes, langjähriger Bundestags-Fraktionsvorsitzender seiner Partei, Vorsitzender der Nachwende-SED, der PDS, seit 2017 direkt gewählter "einfacher" Bundestagsabgeordneter, gleich im ersten Drittel des Abends im restlos ausverkauften E.T.A.-Hoffmann-Theater.
In seinem "sechsten Leben" habe er sich durch die Polit-Talkshows gehangelt, um sein schlechtes Image zumal im Westen des wiedervereinigten Deutschlands aufzupolieren. Die Jahre der euphemistisch gesagt Kritik an seiner Person und seinem Wirken als nunmehrigem Bürger der BRD bezeichnete er als sein "fünftes Leben".
Damit bezog er sich auf seine Autobiografie "Ein Leben ist zu wenig", 2017 erschienen und Anlass für seinen Auftritt beim Literaturfestival. Der Mann ist auch nach schweren Krankheiten quicklebendig, vibriert auf dem Sessel, sprüht vor Energie, sprudelt Anekdoten hervor, stets auf Effekt orientiert und danach, den Erwartungen eines dankbaren Publikums nachzukommen, ein Unterhaltungs-Profi; die Wanderjahre durch die Talkshows haben ihn geprägt.
Macht und Recht
In manchem, nein in vielem erinnert er an den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der beim Bamberger Literaturfestival im vorigen Jahr ebenfalls eine
Ein-Mann-Show abzog und dem Moderator kaum Gelegenheit zum Nachfassen gab. Der Moderator war diesmal der Bamberger Oberbürgermeister Andreas Starke, als gelernter Rechtsanwalt dem Berufskollegen naturgemäß verbunden. Doch waren die Rechtssysteme der beiden deutschen Staaten nun wirklich nicht vergleichbar. Gysi, dessen Mandanten sich höchstens zu fünf Prozent aus politischen Dissidenten rekrutierten, wie er sagte, räumte offen ein: "Wenn es um politische Machtfragen ging, hörte das Recht auf."
Das Geflecht aus DDR-Justiz, informellen Kontakten zur Partei- und Staatsführung und dem Ministerium für Staatssicherheit zu durchschauen, dürfte dem im Westen Sozialisierten kaum möglich sein.