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"Die große Desillusion": Premiere von Schnitzlers "Der einsame Weg"


Autor: Rudolf Görtler

Bamberg, Sonntag, 23. März 2014

Arthur Schnitzlers "Der einsame Weg" am E.T.A.-Hoffmann-Theater ist ein psychologisches Kammerspiel, das vom Zuschauer viel Aufmerksamkeit fordert.
Florian Walter und Matthias Tuzar Foto: Thomas Bachmann


Immerfort leidwandeln sie in gepflegten Parks, spöttelte schon Alfred Polgar über die Protagonisten von Arthur Schnitzlers 1904 uraufgeführtem Drama "Der einsame Weg". Der gepflegte Park ist in der Bamberger Inszenierung von Reinhardt Friese eine Art Wohngarten geworden (Ausstattung Annette Mahlendorf), dessen Baumruine, Laub am Boden und wabernder Nebel auf herbstliche Morbidezza weisen. Die Außenwelt spiegelt die Innenwelt der Figuren, denn ihnen geht es nicht gut, gebeutelt von Midlife-Crisis, ins Korsett gesellschaftlicher Zwänge gepresstem Liebesverlangen, verfehlten Lebensentwürfen und Selbstverwirklichungs-Lügen.

Luxusprobleme eines Wiener Großbürgertums um 1900? Regie wie Bühnenbild und Kostüme suchen die psychische Zerrissenheit der Personen möglichst von der trüben Fin-de-Siècle-Atmosphäre der Vorlage - vieles erinnert auch an die ungelebten Leben in Tschechow-Klassikern - zu lösen. Da trägt Felix (Matthias Tuzar) eine Bundeswehruniform, das Fräulein Herms (Verena Ehrmann) einen unauffälligen Hosenanzug, und das Wienerische kommt bis auf winzige Spuren schon gar nicht vor. "Der einsame Weg" also ein zeitloses Stück? Eine diskussionswürdige These, wenn auch die Konventionen der Entstehungszeit so nicht mehr existieren und die Rolle der Frauen sich radikal gewandelt hat. Denn die Frauen vor allem leiden unter den Zerrissenheiten und Inkonsequenzen der Männer (ursprünglich hieß das Stück "Egoisten").

Gabriele Wegrat (Eva Steines) ist eine Vernunftehe mit einem zum "Kunstbeamten" domestizierten Maler-Professor eingegangen, weil sie vom Künstlergenie Julian Fichtner (Florian Walter) sitzengelassen worden ist, als sie mit Felix schwanger war. Die Liebe ihrer Tochter Johanna zum wesentlich älteren Stephan von Sala (Volker J. Ringe) ist aussichtslos, Irene Herms spielt die Forschheit nur vor, ist doch zutiefst gekränkt, heute würde man sagen traumatisiert, vom Treuebruch Fichtners und einer Abtreibung.

Große Desillusion am Ende

Diese Leichen im Keller der Figuren-Seelen erfährt der Zuschauer vom "Ibsen aus dem Wienerwald" (Polgar) peu a peu und muss genau zuhören. Das Ungesagte ist mindestens genauso wichtig wie das Ausgesprochene, denn der Arzt Schnitzler, den sein Zeitgenosse Sigmund Freud als "psychologischen Tiefenforscher" würdigte, seziert seine Personen genau und gnadenlos. Ein Dialogstück ist es also, in dem Sätze wie "Wer seine Grenzen besser kennt, der ist der bessere Mann" nachhallen. Am Schluss erst kommt die große Desillusion, die in Verzweiflung und Selbstmord mündet.

Naturgemäß kann ein solches Szenario nur von Schauspielern leben, die Zwischentöne beherrschen, sich nicht hinter hektischer Aktion verstecken. Mit kleinen Abstrichen meistert das Bamberger Ensemble diese nicht leichte Aufgabe hervorragend. Eckhart Neuberg spielt den Professor Wegrat solide, nach dem Tod seiner Frau gebrochen: der resigniert Angepasste als sympathischer Mensch, so wie Felix, den Tuzar im bildlichen Sinne aufrecht gibt. Doktor Reumann (Ulrich Bosch) muss eher farblos bleiben, während Verena Ehrmanns Fräulein Herms bei aller vordergründiger Aufdringlichkeit die Verzweiflung durchschimmern lässt. D

er Bösewicht ist Fichtner. Florian Walter spielt den schwadronierenden Egoisten, der die Nähe zum Sohn sucht und abgewiesen wird, energisch und überzeugend, während Ulrike Schlegel als Johanna stimmlich mit der großen Bühne zu kämpfen hat. Star des Abends ist jedoch Volker J. Ringe als Stephan von Sala. Man freut sich auf jeden Auftritt des weiß gekleideten Ironikers. Kleinste Nuancen der Mimik, herabgezogene Mundwinkel, die gebrochene Stimme signalisieren den Großen Abgeklärten mit bisweilen diabolischer Doppelbödigkeit. Der wie die anderen in Einsamkeit und Verzweiflung endet.

Nicht leicht zu konsumierendes Konversationsstück

Wenig Hoffnung bleibt am Ende dieses nicht leicht zu konsumierenden Konversationsstücks, das in Bamberg schlüssig inszeniert und mit lang anhaltendem Beifall belohnt worden ist. Zeitlosigkeit ja, aber man konnte sich damals wie heute fragen, ob die Selbstverwirklichungs-Problemchen einer privilegierten Oberschicht denn gar so wichtig sind. Oder noch einmal Polgar: "Wenn sie ein Bedürfnis haben (und sie haben immer ein Bedürfnis), führt er [Schnitzler] sie alsogleich innerln."

Weitere Aufführungen 26.-30. März, 2.-6. April. Dauer ca. 140 Minuten, eine Pause. Karten unter der Telefonnummer 0951/873030 oder per E-Mail an kasse.theater@stadt.bamberg.de.