Druckartikel: Das Messer fällt erst im letzten Moment

Das Messer fällt erst im letzten Moment


Autor: Monika Beer

, Sonntag, 23. Januar 2011

Das Mainfrankentheater zeigt die Verdi-Oper "La forza del destino" in einer bravourösen Inszenierung von Alexander von Pfeil, die das Publikum von der ersten bis zur letzten Minute in Bann schlägt.
Kampfszene aus dem kriegerischen 3. Akt mit Ray M. Wade Jr., der als Alvaro gerade  seinen Widersacher Carlo (Joachim Goltz) zu Fall gebracht hat.Szenenfotos: Falk von Traubenberg


Opernregisseure, die ihr Handwerk von der Pike auf gelernt haben, sind heutzutage ohnehin in der Minderzahl. Solche, die es schaffen, den Kern und die Atmosphäre eines Werks genau zu treffen und für ein heutiges Publikum unmittelbar nachvollziehbar zu machen, sind bereits eine Rarität. Wenn sie dann noch die Solisten und Choristen so zu führen wissen, als sei Operngesang das Natürlichste der Welt, muss man von einem echten Glücksfall sprechen.

Am Würzburger Mainfrankentheater ist wieder so ein Glücksfall passiert - ausgerechnet bei Giuseppe Verdis "La forza del destino" (Die Macht des Schicksals), jener 1862 in St. Petersburg uraufgeführten Oper, über die in Nachschlagewerken gerne steht, dass die Handlung abstrus und wirr sei. So viele Zufälle kann es gar nicht geben! Oder doch? Herrscht hier nicht Krieg, ein Ausnahmezustand, bei dem selbst das Undenkbare plötzlich Realität wird?

Der Regisseur als Glücksfall
Alexander von Pfeil heißt der Regisseur, der das große Kunststück fertig gebracht hat, die innere Logik dieser Oper aufzuspüren und mit dem Ensemble, das ihm bis in die Fingerspitzen hochmotiviert folgt, so umzusetzen, dass sogar das vermeintlich Unstimmige plötzlich stimmt. Der fast ungekürzte Abend dauert mit Pause gut dreieinhalb Stunden. Aber man möchte keine dieser ungemein spannenden, erschütternden, schrecklichen und mitunter aberwitzigen Musiktheaterminuten missen.

Schon während der Ouvertüre, beim stummen Abendessen der Calatravas, zu dem ein Glöckchen ruft, weist die Inszenierung auf die kommenden Ereignisse voraus. Die furchtbare Saat von Diskriminierung, Standesdünkel, Rassismus und Gewaltherrschaft, von Mord- und Kriegslust steckt auch und gerade in dieser großbürgerlichen Familie, wo alles - natürlich auch das weibliche Personal - dem nicht mehr so virilen Patriarchen und seinem herrischen, noch Tennis spielenden Sohn untertan ist.

Die Untaten geschehen beiläufig
Piero Vinciguerra hat einen halbrunden Einheitsraum mit großen (Fenster-)Öffnungen auf die Bühne gestellt, in dem es nach hochherrschaftlichem Stall, aber auch nach Folterstätte riecht. Nein, da ist kein Blut an der Wand. Es scheint ein Prinzip des Regisseurs zu sein, das Schreckliche manchmal lieber nur anzudeuten. Was nicht heißen will, dass hier nicht auf offener Bühne viel geschlagen, missbraucht, vergewaltigt und gemordet würde. Aber es geschieht eher beiläufig: Weil allenthalben Krieg herrscht, ist das sozusagen stinknormal.

Zeitlich lässt sich das zwischen Spanien und Italien oszillierende Geschehen anhand der stimmigen Kostüme von Katharina Gault em ehesten in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts einordnen, ohne dass konkret der 2. Weltkrieg gemeint wäre. Hier geht es spürbar um jeden Krieg - und um das fatale Nebeneinander von kollektivem Abschlachten und Religion, lautem Hurrapatriotismus und stillem Gebet, von individueller Liebe und privatem, aber politisch motiviertem Hass.

Perspektivwechsel am laufenden Band
Mit den ständigen Perspektivwechseln geht Alexander von Pfeil meisterhaft um. Unmerklich verzahnt oder überblendet er die Handlungsstränge, was manchen Kenner zunächst irritieren mag, für das Gros des Publikums aber von vornherein schlüssig wirkt: Der mit Alvaros Waffe getötete Marchese bleibt auch in der ersten Hälfte des 2. Akts auf der Bühne liegen, wenn das einfache Volk zusammentrifft und der als Student verkleidete Carlo davon erzählt, dass er die Familienehre retten und seine Schwester Leonora und deren Geliebten umbringen will. Ein paar Frauen kümmern sich um den getöteten Patriarchen - Frauen, bei denen wenig später plötzlich auch Messer aufblitzen werden.

Szenen von großer Intimität, in denen nur ein, zwei oder drei Solisten auf der Bühne sind, bleiben eher die bewusst gesetzte Ausnahme. Mit großem Können in der Personenführung reichert der Regisseur viele Szenen der Hauptfiguren mit einem gleichzeitigen Geschehen unter den Nebenfiguren und den stark individualisierten Chormassen an. Im 3. Akt, wenn schon die Sandsäcke vom Kriegsgeschehen künden, läuft im Hintergrund eine schwere Geburt ab, bei der man am Ende nicht weiß, ob das in blutige Tücher gewickelte Kind, das die Mutter in ihren Armen wiegt, noch lebt.

Warnhinweis im Internet
In einschlägigen Internetforen gibt es genau wegen solcher Szenen Warnhinweise vor Inszenierungen Alexander von Pfeils. Dabei übersehen diese Kritiker, dass zum Beispiel nur in einer solchen Atmosphäre nachvollziehbar wird, dass Carlo, wenn er vom Überleben seines Todfeinds und Ex freunds Alvaro erfährt, nur deshalb in Jubel ausbricht, weil er ihn dann noch töten kann.

Das Premierenpublikum am Samstag hat sich vorurteilsfrei und offen auf die Inszenierung eingelassen. Am Ende war der Jubel groß, ausdauernd und berechtigt. Kein Wunder, denn die Solisten und der Chor präsentieren sich sängerdarstellerisch auf bewundernswertem Niveau - allen voran Anja Eichhorn als Donna Leonora, deren geschmeidiger Sopran sowohl den fein gesponnenen lyrischen Linien wie den dramatischen Ausbrüchen gewachsen ist. Barbara Schöller als Curra und Preziosilla besticht mit ihrem farbenreichen Mezzosopran.

Joachim Goltz als Don Carlo di Vargas verzichtet rollengerecht immer wieder auf den baritonalen Schönklang, der ihm durchaus gegeben ist. Er hat mit Gastsänger Ray M. Wade Jr. als Alvaro allerdings auch einen Gegenpart, der mit allen Wassern nicht nur eines guten Verdi-Tenors gewaschen ist. Claudius Muth sang den Padre Guardiano bei der Premiere über weite Strecken so lebendig, das es die Ansage seiner Indisposition nicht unbedingt gebraucht hätte, bei den kleineren Rollen sang und spielte sich vor allem Johan F. Kirsten als Fra Melitone in die Herzen der Zuschauer - eine wunderbar schräge und beschädigte, aber durchaus nicht die übliche Witzfigur.

Es geht auch ohne ständigen Blick zum Dirigenten
Was bei allen Solisten und Choristen auffällt: Sie verkörpern ihre Rollen eindringlich, und die meisten schaffen es sogar, den sonst stereotypen Blickkontakt zum Dirigenten zugunsten einer auch räumlich stimmigen Darstellung immer wieder aufzugeben. Welcher stark geforderte Sopran, Tenor, Bariton oder Bass singt schon gerne mit dem Rücken zum Publikum? Hier geschieht das immer wieder - und es bewirkt, weil es jeweils auf Partner bezogen ist, nicht nur darstellerisch, sondern auch musikalisch eine in der Oper leider nur selten zu erlebende Glaubhaftigkeit.

Auch die von Markus Popp einstudierten Chöre und das Philharmonische Orchester unter der kompetenten und einfühlsamen Leitung von Jonathan Seers überzeugen. Was ein Stadttheater musikalisch zu leisten vermag, ist hier beispielhaft zu hören. Und selbst ganz am Ende, wenn Leonora ihr Leben ausgehaucht hat, setzt der in jedem Detail genaue Regisseur noch ein kleines Ausrufzeichen. Erst dann nämlich kann auch Carlo sein Mordinstrument aus der Hand fallen lassen und sterben.


Termine und Karten

Weitere Vorstellungen am 29. Januar, am 6., 10., 20. und 23. Februar, am 4., 9. und 19. März, am 24. und 29. April jeweils um 19.30 Uhr sowie am 10.April um 15 Uhr.
Karten gibt es unter Telefon 0931/3908-124.