Druckartikel: Das Bamberger Theater ergründet die deutsche Seele

Das Bamberger Theater ergründet die deutsche Seele


Autor: Rudolf Görtler

Bamberg, Montag, 02. Mai 2016

Das Bamberger Theater lässt tief in die "deutsche Seele" blicken. Ein Kammerorchester der Bamberger Symphoniker musiziert dazu.
Rotkäppchen (Marie Nest, re.) tanzt zusammen mit (v. l.) Anna Döing, Stefan Hartmann, Katharina Brenner. Foto: Martin Kaufhold


Was war das denn? Ironie? Ein Scherz? Oder doch etwas Bedeutungsvolles? Eine Dame in Schwarz fordert gleich zu Beginn das Publikum auf, sich zu erheben. Und siehe, alle, alle gehorchen. Einige singen das Deutschlandlied sogar mit. Sie sind halt doch "gehorsam" und "daran gewöhnt, sich Autoritäten zu fügen".
Das las Dirigent Joolz Gale aus dem "Leitfaden für britische Soldaten in Deutschland 1944" vor, auf Englisch. Ein schöner Einfall in dem an schönen Einfällen nicht armen musikalischen Theaterabend "Die deutsche Seele". Leider wird man in Bamberg der deutschen Seele nicht allzu oft nachspüren können. Denn zu aufwendig ist die Logistik, fünf Schauspieler, eine Theatermaschinerie und ein zwölfköpfiges Kammerorchester samt Dirigent zu vereinen.



O du schöner deutscher Wald

Das ist schade, denn Regisseur Stefan Otteni und Dramaturg Remsi Al Khalisi ist eine wirklich sehenswerte Text-Musik-Collage gelungen. Inspiriert von dem 2011 erschienenen Essayband "Die deutsche Seele" von Thea Dorn und Richard Wagner (dem 1952 geborenen Schriftsteller), ließen sie sich von der wirklich unendlichen Fülle des Materials nicht einschüchtern oder erschlagen, sondern konzentrierten sich auf einige wenige Sujets: die deutsche Verklärung des Walds etwa - der Bühnenhintergrund (Anne Neuser) sieht aus wie ein Gemälde von Moritz von Schwind oder Ludwig Richter. Zum Wald gehören Rotkäppchen nebst Schneewittchen und einigen Zwergen. Sie alle tummeln sich im deutschen Wald, der zu Brahms' "Rondo alla Zingarese" schon mal die Beine schwingt.
Denn zum deutschen Wesen gehört das Tiefe, die Musik, wie schon Thomas Mann diagnostizierte und in seinem "Dr. Faus-tus" formulierte. Zwölf junge Musiker der von den Bamberger Symphonikern veranstalteten Orchesterakademie intonierten, auf der Bühne postiert, vom ebenfalls jungen Dirigenten Joolz Gale bearbeitete Lieder und Stücke von Brahms, Beethoven, Strauss, Schumann, Schubert und wie könnte es anders sein Richard Wagner. Aber auch Hanns Eisler gehört zur Playlist und Jörg Widmann mit einem wüsten "Liebeslied", dessen Kakophonie das 20. Jahrhundert hörbar machte.
Fünf Schauspieler trugen Texte von Hölderlin ("allberechnende Barbaren"), der Madame de Staël, von Goethe vor. Heinrich Heine mit "Deutschland. Ein Wintermärchen" darf nicht fehlen und Liederzeilen von "Ich wandelte unter den Bäumen" (Schumann) bis "Ich bin der Welt abhanden gekommen" (Rückert/Mahler). Die wurden trefflich intoniert von der Mezzosopranistin Katarina Morfa, die auch szenisch überzeugt und leitmotivisch durchs Programm führt, bis sie als Frau Deutschmann im Altenheim sitzt - und von einem migrantischen Pfleger betreut wird. Die Fünf spielen auch beherzt und nicht zu wenig, etwa zu Beethovens Fünfter urdeutsche Tisch-Rituale.
Gebrochen wird dies alles durch Trivia wie die Ariel-Klementine, Slogans wie "Geiz ist geil" und "Wir schaffen das", die "Dalli-Dalli"-Melodie. Im Hintergrund läuft ein Film mit Bildern von Schuttbergen nach dem Weltkrieg, sieht man Porträts von Ludwig II., Karl Marx, den Bamberger Reiter, Bismarck oder den Kniefall Willy Brandts in Warschau. Das ist keine Beliebigkeit, sondern mit Delikatesse zusammengefügt.
Besonders angenehm überrascht, dass eine gute Balance zwischen Heiterkeit, die niemals in den Klamauk abrutscht, und Ernsthaftigkeit gefunden wurde, dass man sich dem deutschen Wesen mit Humor nähert und nicht in Betroffenheitskitsch abrutscht. So fehlen z. B. der Holocaust oder Nazi-Uniformen. Dafür sieht man einen Film vom Begräbnis der RAF-Mitglieder nach dem deutschen Herbst 1977. Lediglich einmal, als die Schauspieler rechte Parolen ins Publikum brüllen und Flugblätter werfen, wird es aufdringlich: Das musste ja kommen!


Katharina Brenner: großartig

Die Schauspieler (Anna Döing, Stefan Hartmann, Marie Nest)? überzeugend, alle miteinander. Allerdings ist es fast unfair, die großartige Katharina Brenner mit den jungen Kolleginnen und Kollegen zu kontrastieren. Im Vergleich zu ihr müssen die anderen schlechter abschneiden. So richtig zu Hochform läuft sie auf, als sie im Dialog mit Benedikt Flörsch einen Text Jacques Rivières vorträgt. Der verfasste als Kriegsgefangener ein Psychogramm der Deutschen ("ungeheuerlich erziehbar").
Materialisiert sich die deutsche Seele etwa auch in den Regularien zur Mülltrennung, wie sie die Stadt Bamberg aufstellt? Mag sein. Versöhnlich, vielleicht zu versöhnlich endet der Abend mit Navid Kermanis Bundestags-Rede. Die deutsche Seele endlich befriedet und gut? Man möchte es gerne glauben. Wenn das nur kein Wunschdenken ist. Großer Beifall für einen gelungenen Abend.