Druckartikel: Bürgergeld "in jetziger Form abschaffen"? Die Pläne der Union - und was dahinter steckt

Bürgergeld "in jetziger Form abschaffen"? Die Pläne der Union - und was dahinter steckt


Autor: Robert Wagner

Deutschland, Donnerstag, 21. März 2024

Die CDU möchte das Bürgergeld radikal verändern, denn aus ihrer Sicht schafft der Nachfolger von Hartz IV die falschen Anreize. Doch stimmt das eigentlich? Ein Blick auf eine aufgeheizte Debatte.


Seit dem 1. Januar 2023 haben Menschen in Deutschland Anspruch auf Bürgergeld, wenn sie erwerbsfähig sind, aber ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen decken können. Es löste damit das Arbeitslosengeld II bzw. "Hartz IV" ab. Es "soll denjenigen ein menschenwürdiges Existenzminimum sichern, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen decken können", wie es die Bundesregierung formuliert

Doch die Unionsparteien sehen das Konzept kritisch - und wollen das Bürgergeld deshalb grundlegend ändern. Am Freitag, dem 15. März 2024, hatte die Bild erstmals über die Pläne der CDU berichtet. Für die Pläne hatte die Union viel Kritik, aber auch Lob bekommen. Ein Überblick über den Stand der Dinge und die Debatte rund um das Bürgergeld:

Was ist das Bürgergeld?

Das Bürgergeld ist die finanzielle Grundsicherung für Arbeitssuchende, also Menschen, die prinzipiell erwerbsfähig sind, aber aus verschiedenen Gründen derzeit keiner Beschäftigung nachgehen (können). Es ist damit die Nachfolge der im Sozialgesetzbuch (SGB II) geregelten Grundsicherung für Arbeitsuchende, umgangssprachlich meist "Hartz IV" genannt.

Wesentliche Unterschiede zu Hartz IV sind ein höherer Regelsatz ab Januar 2024 (für Alleinstehende 563 Euro), längere Schonfristen für Vermögen, höhere Freibeträge für Zuverdienst und verringerte Sanktionsmöglichkeiten. Gerade letzteres wurde von der Opposition heftig kritisiert. Deshalb wurde das Gesetz im Januar befristet abgeändert: So sollen Jobcenter künftig Betroffenen das Bürgergeld für maximal zwei Monate komplett streichen können, wenn sie die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit beharrlich verweigern. 

Was kritisiert die CDU am Bürgergeld und wie will sie es reformieren?

Die Kritik der CDU richtet sich zum einen gegen den Begriff Bürgergeld. "Der Name 'Bürgergeld' führt in die Irre und ist Ausdruck des politischen Konzepts eines bedingungslosen Grundeinkommens", hieß es in einer Beschlussvorlage für eine Sitzung des Bundesvorstands am Montag (18.03.2024). "Dieses Konzept lehnen wir klar ab." Deshalb wolle die CDU das Bürgergeld in "Neue Grundsicherung" umbenennen und "in der jetzigen Form abschaffen".

Konkret will sich die CDU unter anderem dafür starkmachen, Sanktionen schneller, einfacher und unbürokratischer durchzusetzen. "Lehnt ein arbeitsfähiger Grundsicherungsempfänger ohne sachlichen Grund eine ihm zumutbare Arbeit ab ("Totalverweigerer"), soll zukünftig davon ausgegangen werden, dass er nicht bedürftig ist", heißt es in dem Entwurf laut dpa. Ein Anspruch auf Grundsicherung solle dann nicht mehr bestehen. Dabei solle sichergestellt werden, dass Kinder und Partner nicht unter dem Verhalten solcher "Totalverweigerer" leiden.

Ziel müsse die Vermittlung in Arbeit sein, fordert die CDU laut der Beschlussvorlage. Der Fokus der Jobcenter solle daher wieder stärker auf eine "intensive und qualifizierende Unterstützung von Hilfeempfängern" gelegt werden. Wer zu Terminen ohne sachlichen Grund mehr als einmal nicht erscheine, solle zunächst keine Leistungen bekommen - das einbehaltene Geld solle erst ausgezahlt werden, wenn der Gesprächsfaden wieder aufgenommen wird. Gibt es nach drei Monaten keinen Kontakt mehr zum Jobcenter, solle davon ausgegangen werden, dass keine Hilfsbedürftigkeit mehr vorliege.

Wer Vermögen habe, dürfe die Solidarität der Steuerzahlergemeinschaft nicht in Anspruch nehmen, heißt es außerdem in dem Entwurf. Daher solle die Karenzzeit von zwölf Monaten abgeschafft und ab dem ersten Tag in der Grundsicherung eine Vermögensprüfung vorgenommen werden. Die Grenzen von Schonvermögen sollten gesenkt und das Schonvermögen von der Zahl der Arbeitsjahre abhängig gemacht werden.

"Arbeit lohnt sich nicht" und "Totalverweigerer": Was sagen die Fakten? 

Dem Konzept der CDU liegt die Idee zugrunde, die finanzielle Unterstützung des Staates würde Arbeit unattraktiv machen. Gerade, weil durch die hohen Abgaben bei vielen Arbeitnehmern wenig Netto von etwaigen Lohnerhöhungen übrig bliebe, wie der Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes Ifo im Februar vorrechnete. Demnach würden mehr Menschen freiwillig kündigen, um Bürgergeld zu erhalten

Diese Behauptung lässt sich durch Zahlen nicht belegen.  Neu aus Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt in die Grundsicherung rutschten im Jahr 2023 rund 341.000 Menschen - 54 .000 weniger als im Jahr 2022, wie eine Anfrage der Grünen im Bundestag ergab. Der Grünen-Abgeordnete Frank Bsirske, der die Anfrage gestellt hatte, warf der Union "verantwortungslose Stimmungsmache" vor. Wer Vollzeit arbeite, habe immer mehr im Geldbeutel als im Bürgergeld, sagte Bsirske der dpa. "Die Zahlen zeigen klipp und klar, dass weniger Menschen aus einem Job in das Bürgergeld gewechselt sind als jemals zuvor", so der frühere Verdi-Chef weiter. Auch die Diskussion um die Anhebung der Regelsätze im Bürgergeld habe im vergangenen Jahr nicht zu mehr Kündigungen geführt. 

Auch Totalverweigerer - also Menschen, die jegliche Arbeitsvorschläge ablehnen - gibt es laut Jobcenter kaum. In der Debatte um die Bürgergeld-Pläne der CDU hält Stefan Graaf, Sprecher der Jobcenter in Nordrhein-Westfalen, den Begriff der "Totalverweigerer" deshalb auch für "überstrapaziert". "Wir reden da wirklich über extreme Einzelfälle, die sich so im Ein-, Zwei-Prozent-Bereich bewegen. Das zeigt uns auch, dass die Debattenbeiträge um das Bürgergeld oft ein sehr verengtes und teilweise auch unzutreffendes Bild wiedergeben, weil sie sich an Extremfällen orientieren und nicht an der Allgemeinheit der von uns betreuten Menschen", sagte Graaf am Dienstag (19.03.2024)auf WDR 5. 

Was sagt die Bundesregierung zu den Plänen?

SPD und Grüne hatten die Forderungen der CDU nach umfassenden Änderungen am Bürgergeld zurückgewiesen. SPD-Parteichef Lars Klingbeil sagte: "Die Höhe des Bürgergeldes ist durch einen Verfassungsgerichtsbeschluss festgelegt. Das ist jetzt umgesetzt worden, übrigens mit Zustimmung der Union."

Man müssen andere Debatten führen als Angriffe auf den Sozialstaat. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann teilte am Wochenende nach dem CDU-Vorschlag mit: "Aus den Reihen der CDU kommen seit Jahren pauschal abwertende Äußerungen über Menschen, die früher Sozialhilfe, Grundsicherung oder heute Bürgergeld beziehen." Haßelmann sprach von "Populismus auf Kosten der Betroffenen".

Wie finden die Arbeitgeber den Vorstoß der Union?

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hat die Pläne der CDU für eine Reform und Verschärfung des Bürgergelds begrüßt. "Wir brauchen eine Grundsanierung des Bürgergeld-Systems", sagte Dulger der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. 

Arbeitgeberpräsident Dulger sagte: "Wir müssen den Sozialstaat vom Kopf auf die Füße stellen." Nötig sei ein treffsicherer Sozialstaat, der sich auf die Bedürftigen konzentriere und wehrhaft gegen Missbrauch sei. "Daher begrüße ich die Vorschläge der CDU zum Bürgergeld." 

Dulger sagte: "Wir haben fast vier Millionen Menschen im Bürgergeldsystem, die arbeiten können - das ist zu hoch." Damit Arbeitskräfte in den Betrieben ankommen, müsse der Fokus viel stärker auf der Aktivierung und Vermittlung in Arbeit liegen. Dulger forderte Mitwirkungspflichten, "die auch praktisch eingefordert werden müssen".

Was sagen Sozialverbände zu den Bürgergeld-Plänen der CDU?

Sozialverbände haben die CDU-Pläne für einen radikalen Umbau des Bürgergelds zurückgewiesen. "Es ist unsäglich, dass mit dieser Debatte wieder Vorurteile gegen Menschen im Grundsicherungsbezug geschürt werden", sagte die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Michaela Engelmeier, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Statt für bessere Löhne zu kämpfen und dafür zu sorgen, dass sich Arbeit wirklich lohne, spiele die CDU die Ärmsten der Gesellschaft gegeneinander aus. "So schürt man nur Unfrieden in unserer Gesellschaft und leistet den Feinden der Demokratie Vorschub."

Wer Menschen in Arbeit bringen wolle, brauche vor allem mehr Mittel für die Aktivierungs- und Vermittlungsangebote der Jobcenter, sagte Engelmeier. "Bedürftigen Familien das ihnen verfassungsrechtlich zustehende Existenzminimum zu verweigern, ist der falsche Weg."

Kritik kam auch vom Sozialverband VdK. "Ich habe den Eindruck, dass hier sehr frühzeitig der Wahlkampf mit populistischen Angriffen gegen das Bürgergeld eingeläutet wird", sagte dessen Präsidentin Verena Bentele dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Dabei werden auch Vorschläge gemacht, die verfassungswidrig sind, wie zum Beispiel eine politisch gesetzte Begrenzung bei den Regelsätzen. Das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum lässt das aber nicht zu." 

Welche Position vertritt Bayern in der Debatte um das Bürgergeld?

Die CSU steht nach Worten von Parteichef Markus Söder voll hinter den Plänen der CDU zu einem radikalen Umbau des Bürgergelds – und sieht die Schwesterpartei damit auf CSU-Kurs. Man unterstütze die Pläne der CDU und halte diese für absolut richtig, sagte Söder am Montag nach einer CSU-Vorstandssitzung in München. "Wir empfinden es ohnehin seit Monaten so, dass CDU und CSU da echt im Gleichklang marschieren." 

Besonders positiv sei, dass die CDU ihren Kurs in den vergangenen zwei Jahren schon grundlegend verändert habe, sagte der bayerische Ministerpräsident. Das gelte beim Thema Migration, und das gelte nun auch beim Bürgergeld. "Wir haben einen totalen Gleichklang", sagte Söder. Das Ganze sei "ein Angebot an die politische Mitte".  rowa/mit dpa