Bitburg: Üble Gerüchte versetzen ukrainische Frauen in Angst - so wollen sie sich schützen
Autor: Jessica Becker
Bitburg, Dienstag, 22. März 2022
Inna Ganschow hilft mit einem Bitburger Verein an der polnisch-ukrainischen Grenze: Angst ist unter den Frauen in den Auffanglagern allgegenwärtig. Grund dafür sind unter anderem furchtbare Gerüchte, die sich in den Lagern verbreitet haben.
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Die Angst unter den Geflüchteten, dass sie an Menschen- oder Organhändler geraten könnten, ist groß. Diese Gerüchte hätten sich schnell verbreitet. Daher sei in den Lagern an der polnisch-ukrainischen Grenze auch Überzeugungsarbeit notwendig. Den Geflüchteten werde erklärt, was sie in Deutschland erwartet. "Da ist so viel Vertrauen gefragt", sagt Inna Ganschow. Die Russin ist mit dem Verein MMS Humanitas an die polnisch-ukrainische Grenze gefahren, um Flüchtlinge nach Deutschland zu bringen. Trotz all der traumatischen Erlebnisse glaubten die Geflüchteten aber noch immer an das Gute im Menschen. "Sie steigen in den Bus, weil sie hoffen, dass es ihnen besser gehen wird als im Lager oder Keller zu Hause", erklärt Inna.
Gerüchte schüren Ängste: Ukrainerinnen schützen einander
Es bedeute den Menschen so viel, dass sie in Deutschland in einer bekannten Sprache begrüßt und informiert werden, erzählt Inna sichtlich berührt im Gespräch mit inRLP.de. Vor allem sei es für die vielen Frauen, die vor dem Krieg ohne ihre Männer und Söhne fliehen mussten, vertrauenerweckender, wenn sie mit einer anderen Frau sprechen könnten. Männer sorgten für Ängste, dass ein Menschenhändler vor ihnen stehen könnte. Ein Busfahrer alleine habe wenig Erfolg bei der Ansprache. Die Frauen reagierten zögerlich oder würden dem Mann nicht trauen. Daher sagte Inna zu, an einem Wochenende den Bus als Dolmetscherin zu begleiten.
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Mittlerweile sei das Auffanglager im polnischen Korczowa besser organisiert als noch vor einigen Wochen. Es wirke wie an einem Busbahnhof, wo die Menschen an Schildern, auf denen ein Ziel wie Deutschland oder Italien steht, darauf warten, dass sie abgeholt werden. "Es ist erstaunlich freundlich", berichtet Inna. "Man würde durch die Bilder, die wir in den Medien gesehen haben, erwarten, dass ein riesiges Gedränge herrscht und dass Menschen ums Überleben kämpfen." Doch vor Ort gebe es keine Ellenbogengesellschaft. "Man ist unglaublich zuvorkommend, verständnisvoll."
Dennoch: "Es wird sehr viel geweint", sagt Inna. Die Tränen kämen plötzlich und unerwartet. "Niemand spricht von der Zeit im Keller, von den Söhnen, Väter, Ehemännern." Inna erklärt, dass sie nicht wisse, wie viele Witwen sie transportiert hätten. "Es gibt eine starke, weibliche Gemeinschaft." Die Frauen würden zusammenhalten, schnell würden auch die Kinder anderer als eigene aufgenommen. Niemand müsse alleine bleiben. "Das ist eine Schwesternschaft." Sie sei glücklich darüber, Teil davon sein zu dürfen. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Frauen weit weg von Zuhause einander im Lager terrorisieren würden." Als der Bus sich auf den Heimweg gemacht hat, wurde in Deutschland die Unterbringung organisiert. Auch auf Sonderwünsche werde eingegangen. So werde auch Rücksicht darauf genommen, wenn Menschen nicht getrennt werden wollen. Auf der Flucht hätten sich auch neue Familien gebildet, berichtet Inna. Teilweise hätten die Helfer erst im Nachhinein bemerkt: "Das sind keine Familien."
Flüchtlinge gründen unterwegs neue Familien
Auch bei diesem Mal hätten sich Frauen zusammengefunden. Mutter, Kind und zwei Großmütter erklärten, dass sie zusammengehören und zusammenbleiben wollen. Später hat Inna herausgefunden: "Sie haben sich vor zwei Tagen kennengelernt. Die beiden Großmütter haben unterwegs eine Tochter und eine Enkelin gewonnen. So wie diese Frau und ihre Tochter zwei Großmütter gefunden haben, während die eigenen womöglich irgendwo im Keller sitzen." Viele wüssten auch nicht, wo ihre Familien sind. Solche Konstellationen gebe es immer wieder. "Sie wollen zusammenbleiben und sagen: 'Wir gehören zusammen!'" Die Blutsverwandten würden dabei nicht vergessen werden. "Man gründet neue Familien unterwegs."
In Bitburg angekommen, saßen bereits die Gastfamilien bereit und warteten auf ihre ukrainischen Gäste. Inna berichtet, dass es ganz unterschiedliche Menschen waren, die dort still saßen. "Das sind Bauern, Bankangestellte, Lehrer, pensionierte Sozialarbeiter - quer durch!" Aus dem Bus sind Menschen gestiegen, "die seit einigen Tagen unterwegs sind", ihre Schuhe nicht ausziehen konnten und "die eigentlich nicht wissen, wo sie hingefahren werden und von wem", erzählt Inna.