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Silvesterrandale: Das Ergebnis totaler Arbeitsverweigerung


Autor: Io Görz

, Donnerstag, 05. Januar 2023

Es ist mal wieder so weit: Nach der Silvesternacht diskutiert Deutschland mal wieder über Integration und Migration, weil - ja, warum eigentlich? Ach, egal - Hauptsache, die "Ausländer" sind schuld. Das löst aber keine Probleme. Ein Kommentar.
Berlin: Polizeibeamte stehen hinter explodierendem Feuerwerk. Nach Angriffen auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht hat die Diskussion um Konsequenzen begonnen. Berlins Regierende Bürgermeisterin will, dass sich die Innenminister mit dem Thema beschäftigen.


Ach, wäre es schön, wenn man Probleme einfach loswerden könnte, indem man sie abschiebt. Ich versuche, jedes Jahr meine Probleme aufs nächste Jahr zu schieben – gemeinhin ist so ein Verhalten auch als „Neujahrsvorsatz“ bekannt. Das ist dann aber eher ein Aufschieben und die Probleme bleiben die gleichen. 

Ähnlich ist es auch, wenn nach den Krawallen in der Silvesternacht in Berlin und anderen deutschen Städten darüber diskutiert wird, ob nicht Integration gescheitert sei und man das Problem – gemeint sind damit Menschen – nicht einfach abschieben könnte. 

Reflexhafte Debatten über Abschiebungen und Migrationspolitik

Es ist wohl eine deutsche Tradition, bei den meisten Problemen erst einmal zu versuchen, sie bei „den anderen“, bei „Ausländern“ oder bei Menschen mit Migrationshintergrund zu verorten. Man versucht, die Probleme erst auf diese Menschen und sie dann gemeinsam mit den Problemen abzuschieben.

Diese Debatte geht jedoch aus mehreren Gründen fehl. Zunächst ist das mit dem Abschieben so eine Sache, wenn es gar niemanden zum Abschieben gibt. Wohin und warum sollte man deutsche Staatsbürger denn abschieben? Das funktioniert so nicht und offenbart höchstens, dass reflexhaft davon ausgegangen wird, dass es sich bei den Delinquenten ausschließlich um Menschen handelt, die kein Bleiberecht haben und abgeschoben werden können. Die Assoziationskette bei einigen nach Vorkommnissen wie in der Silvesternacht ist offenbar: Jugendliche Straftäter – Ausländer – Asylbewerber – Abschieben!

Wenn man in Diskussionen im Internet verfolgt, fällt auch auf: Sehr schnell geht es nicht mehr um die Taten selbst, sondern die Debatte verschiebt sich in eine ganz andere Richtung: Auf einmal wird anscheinend nur noch darüber geredet, wann man denn jetzt deutsch genug ist und welche Vornamen die Täter mit deutscher Staatsangehörigkeit denn gehabt hätten. In Windeseile sind wir dann wieder bei Begriffen wie „echten Deutschen“ oder „Biodeutschen“, bei den „Passdeutschen“, wie gerne in rassistischer Manier Menschen mit deutschem Pass umschrieben werden, die manchen nicht deutsch genug sind. Da wird schnell klar, dass es einigen in der Debatte gar nicht um die Probleme selbst geht – diese sind nur ein Vehikel, um den immer gleichen Rassismus zu transportieren. Silvester ist da nur eine willkommene Gelegenheit, der Blut-und-Boden-Ideologie mal wieder so richtig nach Herzenslust zu frönen. 

Wann ist man denn nun deutsch genug?

Ach herrje, „Blut und Boden“ – ist dieser Begriff nicht sehr hoch gegriffen, weil Nazi-Vergleich und so? Darum geht es aber doch letztlich, wenn man darüber spricht, dass manche „Passdeutschen“ durch ihre Vornamen zeigen, dass sie gar nicht deutsch seien und der Anteil der Deutschen an den Straftaten nichts aussage. Wer die Frage stellt, wann man denn nun deutsch genug sei, bekommt schnell Antworten, die an dunkelste Zeiten erinnern. Bald kommen dann Stammbäume ins Spiel, Abstammung, Hautfarbe, nur notdürftig überdeckt vom Feigenblatt der „Sprache“ und „Kultur“.  

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Wenn man dann übrigens schon über Herkunft spricht, dann sollte man wenigstens so tun, als würde man differenzieren. Der plumpe Rassismus offenbart sich aber auch schon daran, dass es offenbar nur zwei Länder auf der Welt gibt: Deutschland und Ausland. Wir und die anderen. Schuld sind die anderen. Das ist rassistisches Einmaleins und führt zu nichts außer zu Hass. 

Wie immer sind Probleme komplex und nicht durch eine einfache Maßnahme zu lösen. So funktioniert die Welt nun einmal nicht. Wer sich in der Debatte auf Migration und Integration stürzt, macht diese argumentativ zur Hauptursache. Dabei geht die Kriminalität unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund insgesamt zurück. Die Problematik ist vielmehr eine soziale und betrifft sowohl deutsche als auch ausländische Jugendliche und junge Männer. Das Zusammentreffen von Chancenlosigkeit, Ausgrenzung und einem Männlichkeitsbild, das mit Versagen und fehlender Anerkennung nicht zurechtkommt, führt zu einer explosiven Mischung. Die Antwort darauf kann wohl kaum sein, bestehende Strafen zu verschärfen und Menschen abzuschieben. Das löst kein einziges Problem, denn die Ursachen bleiben weiter bestehen. 

Langfristig hilft nur Bildung statt Repression

Es ist das alte Lied: Langfristig löst man soziale Probleme nur durch bessere Bildung und damit mehr Chancen auf ein erfülltes Leben. Bildung, soziale Gerechtigkeit, Angebote für ein friedliches Zusammenleben entstehen nun einmal nicht, indem man Menschen für ihre Herkunft oder die Herkunft ihrer Großeltern kriminalisiert. Sie entstehen dann, wenn der Staat konkret etwas dafür tut. 

Positive Bestärkung ist wirkungsvoller als Repression – das gilt individuell in der Erziehung ebenso wie bei gesellschaftlichen Problemen. Auch wirtschaftlich gesehen ist dies sinnvoll, denn es ist bekannt, dass jeder in Bildung investierte Euro sozusagen mit Zinsen zurückkommt: Höhere Bildung führt zu guten Berufschancen und damit zu höheren Steuern. Menschen alleine zu lassen, sie abzuschreiben und mit immer stärkeren Repressionsmaßnahmen in Schach zu halten hingegen kostet nur Geld. 

Jetzt rassistische Ressentiments zu bedienen ist nicht nur gefährlich: Einfach Reizwörter wie „Integration“ und „Migratonshintergrund“ in den Ring zu werfen, auf dass die Debatte sich verselbständige und bitte niemals um die eigentlichen Versäumnisse gehe, ist pure Ablenkung. Wenn Politiker*innen jetzt lieber über den Anteil migrantischer Jugendlicher schwadronieren anstatt über konkrete, langfristige Lösungen zu diskutieren, sind sie nicht weniger als schlicht zu faul zu arbeiten. Statt Probleme weiterzuschieben, wäre doch „Weniger Populismus“ mal ein guter Vorsatz für dieses und kommende Jahre, oder? 

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