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Berlin: Kugelbombe zerfetzte Jungen (7) - Schwester äußert sich


Autor: Alexander Milesevic, Agentur dpa

Berlin, Sonntag, 28. Dezember 2025

An Silvester explodiert eine Kugelbombe direkt vor einem Siebenjährigen. Er überlebt nur knapp. Jetzt spricht seine große Schwester zum ersten Mal öffentlich über das, was ihrem Bruder passiert ist.
Cansu Karki, Schwester des durch die Explosion einer Kugelbombe in der Silvesternacht 2024/2025 in Berlin schwer verletzten Jungen, aufgenommen während eines "dpa"-Interviews auf dem Charite Campus Virchow Klinikum in Berlin.


Ich glaube, ich sterbe jetzt. Das waren die letzten Worte des siebenjährigen Jungen, nachdem eine Kugelbombe vor ihm explodiert war. Dann verlor er das Bewusstsein, berichtet seine Schwester Cansu Karki - fast ein Jahr nach dem tragischen Vorfall, der sich in der vergangenen Silvesternacht in Berlin abspielte. Dass er überlebt hat, grenzt an ein Wunder, sagen die Ärzte.

In der Silvesternacht 2024/25 hatte es in Berlin mehrere schwerwiegende Vorfälle mit Kugelbomben gegeben. In einem Wohnhaus zerbarsten die Fenster, mehrere Menschen wurden verletzt. Deutschlandweit starben fünf Männer bei Böller-Unfällen, einer davon durch eine Kugelbombe.

Kugelbombe trifft Jungen - mehr als 40 Operationen

"Kugelbomben sind keine normalen Feuerwerkskörper. Das sind Sprengkörper, die töten und Leben bedrohen können", erklärte Karki, die selbst Ärztin an der Charité ist, der Deutschen Presse-Agentur. Ihr Bruder musste mehr als 40 Mal operiert werden. "Wir haben irgendwann aufgehört zu zählen." Die Familie hat lange gebraucht, um öffentlich über die Geschehnisse sprechen zu wollen und zu können. Über die dramatischen Stunden im Krankenhaus, das Bangen um sein Überleben, Monate auf der Intensivstation und die Wut.

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Die ältere Schwester war bei dem Unfall nicht anwesend. Kurz nach Mitternacht bekam sie einen Anruf. "Komm bitte sofort in die Rettungsstelle. Deinem Bruder geht es nicht gut." Sie sei sofort losgefahren. Was genau geschehen war, erfuhr sie erst einige Tage später, als ihre Mutter ihre Worte wiederfand.

Ihr jüngerer Bruder hatte Silvester zusammen mit den Eltern, dem älteren Bruder (22) und dessen Frau gefeiert. Insgesamt sind es vier Geschwister, der jüngere Bruder ist das Nesthäkchen. Wie jedes Jahr sei die Familie um Mitternacht vor die Tür gegangen, um sich das Feuerwerk anzusehen. Der Emstaler Platz liegt in Tegel, einem nördlichen Stadtteil von Berlin, und ist an zwei Seiten von Wohnhäusern und Geschäften umgeben.

Die Kugelbombe explodierte zwischen seinen Beinen

"Es habe einen lauten Knall gegeben, danach sei plötzlich alles stockdunkel gewesen, man habe überhaupt nichts mehr sehen können", gibt Karki die Schilderungen ihrer Mutter wieder. "Meine Mutter hat sofort nach meinem Bruder geschrien und nur gesehen, wie er zu Boden stürzte." Kurz darauf habe es einen zweiten Knall gegeben. Die Kugelbombe explodierte zwischen den Beinen des Jungen, erzählt die Schwester heute.

Kugelbomben sind Feuerwerkskörper mit extremer Sprengkraft. Nur staatlich geprüfte Pyrotechniker mit Erlaubnis dürfen sie abbrennen. Bei fachgerechter Nutzung werden die Bomben mit speziellen Rohren mittels einer Treibladung aus Schwarzpulver in den Himmel geschossen. Doch immer wieder kommt es vor, dass Privatpersonen die Bomben illegal explodieren lassen.

Der kleine Junge aus Berlin wäre durch die Wucht der Explosion fast gestorben. "Er hatte so viel Blut verloren, dass er vor Ort fast verblutet wäre", sagt Martina Hüging, Kinderchirurgin an der Universitätsmedizin Charité und mitbehandelnde Ärztin. Bekannte versuchten sofort, den damals Siebenjährigen wiederzubeleben. Schnell wurde er in die Notaufnahme der Charité am Campus Virchow-Klinikum gebracht. Dass diese nicht zu weit entfernt lag, rettete ihm vermutlich das Leben, sagt Hüging. In einer ländlichen Region hätte es anders ausgehen können.

Verletzungen wie aus Kriegsgebieten

"Er hatte schwerste Verletzungen, die man sonst eigentlich nur von Berufsunfällen kennt, zum Beispiel bei schweren Gasexplosionen oder aus Kriegsgebieten." Seine Beine wurden durch die Explosion regelrecht zerfetzt. Muskeln und Knochen lagen frei und wurden zum Teil zertrümmert, dazu kamen Verbrennungen und offene Wunden auch an den Händen.

"In den ersten Tagen war das eigentlich von Tag zu Tag die Frage, ob er überleben wird", so Hüging. "Das war eine hochdramatische Situation." Sie habe noch nie derart schwere Verletzungen durch Feuerwerkskörper gesehen. Einige Tage nach Silvester kam es infolge der Verletzungen außerdem zu einer schweren Hirnblutung, sodass in einer Notoperation ein Teil der Schädeldecke des Jungen vorübergehend entfernt werden musste.

Über einen Monat hinweg befand er sich im künstlichen Koma, wurde beatmet und erhielt dafür einen Luftröhrenschnitt. Auch ein künstlicher Darmausgang musste aufgrund der großflächigen Verletzungen angelegt werden. Das vorrangige Ziel war es zunächst, sein Überleben zu sichern, während gleichzeitig versucht wurde, seine Beine zu retten, erklärt Hüging. Beides ist dem interdisziplinären Ärzteteam der Charité gelungen.

Tatverdächtiger war damals 17 Jahre alt

Ende Januar erwachte der Junge allmählich aus dem künstlichen Koma. Mitte Februar sagte er seinen ersten vollständigen Satz: "Ich habe Hunger auf Burger." Später folgten die Fragen. Warum sehen meine Beine so aus? Warum hat es mich getroffen?

"Er hat die ganze Zeit gefragt, was passiert ist", berichtet seine Schwester. "Er ist für sein Alter ein sehr reifes Kind und begreift Sachen sehr schnell.." Nach und nach schildert seine Familie ihm, was geschehen war. An den Knall könne er sich noch erinnern, danach an nichts mehr.

Ein damals 17-Jähriger steht im Verdacht, kurz nach Mitternacht inmitten einer Menschenmenge "den pyrotechnischen Gegenstand in einem Abschussrohr aus Glasfaserkunststoff gezündet zu haben", wie es seinerzeit von Polizei und Staatsanwaltschaft hieß. Im Januar gab es bei dem Tatverdächtigen eine Untersuchung. Die Ermittlungen dauern an. Der Familie dauert das alles zu lange. Sie habe das Gefühl, der Fall werde nicht mit ausreichend Priorität behandelt, sagt Karki.

Familie wird Silvester im Ausland verbringen

Ihr Bruder ist inzwischen acht Jahre alt und hat sich ins Leben zurückgekämpft. Nach vier Monaten konnte er im April aus dem Krankenhaus entlassen werden und kam in die Reha. Inzwischen besucht er wieder die Schule. "Ihm geht es zum Glück gut", sagt Karki. "Er ist sehr fröhlich, er ist aktiv, lacht viel und hat immer viel Redebedarf." Er könne wieder laufen und benötige keinen Rollstuhl mehr. Was bleibt, sind die Narben an den Beinen. Er sei ängstlicher geworden. "Nachts kann er nicht alleine schlafen." Er besuche regelmäßig die Traumaambulanz der Charité.

Nachuntersuchungen und Kontrollen werde er sein Leben lang machen müssen, sagt Hüging. Vor allem die großen Narben an den Beinen müssten gut gepflegt und möglicherweise auch nochmal operiert werden, aber: "Er wird ein selbstbestimmtes, eigenständiges Leben führen können."

Die Verletzungen ihres Bruders sieht Karki nicht als Schicksal, sondern als Versagen der Politik. Deren Aufgabe sei es, für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen. Es brauche ein höheres Bewusstsein und mehr Aufklärungsarbeit über die Gefahr von Kugelbomben, fordert sie. "Ich möchte einfach nicht, dass ein weiteres Kind oder eine weitere Familie das durchmachen muss, was mein Bruder und wir als Familie erlebt haben." Dieses Jahr verbringt die Familie Silvester im Ausland.

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