Druckartikel: Palliativarzt soll mindestens acht Menschen getötet haben - es könnte noch sehr viel mehr Opfer geben

Palliativarzt soll mindestens acht Menschen getötet haben - es könnte noch sehr viel mehr Opfer geben


Autor: Agentur dpa, Nadine Wüste

Berlin, Mittwoch, 04. Dezember 2024

Ein Berliner Palliativmediziner steht unter Verdacht, bei mehreren Patienten ein tödliches Medikamentengemisch eingesetzt zu haben. Die Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft führen zu unheimlichen Entdeckungen in weiteren Patientendaten.
Ein Arzt soll in Berlin acht Menschen getötet haben. Im Rahmen der Ermittlungen wurden sogar Leichen exhumiert.


Update vom 04.12.2024, 10:33 Uhr: "Mordlust" als Motiv - weitere Fälle werden überprüft

Bei den Ermittlungen gegen einen Berliner Palliativmediziner, der mindestens acht Menschen getötet haben soll, werden weitere Patientenakten überprüft. Die eigens für den Fall eingerichtete Ermittlungsgruppe des Morddezernats im Berliner Landeskriminalamt (LKA) hat dabei nach Informationen der Bild mehr als 40 Patienten identifiziert, die ebenfalls als Opfer infrage kommen könnten.

Sebastian Büchner, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, bestätigte die Zahl zunächst nicht. Bereits vor einer Woche hieß es jedoch, dass weitere Fälle überprüft werden. "Die Sichtung der Patientenakten dauert an", sagte Büchner. "Ob und gegebenenfalls wie viele weitere mögliche Fälle es gibt, ist nach wie vor Teil der laufenden Ermittlungen."

Der Mediziner sitzt seit Anfang August in Untersuchungshaft. Ursprünglich stand der 40-Jährige im Verdacht, vier Patientinnen im Alter zwischen 72 und 94 Jahren in deren Wohnungen getötet zu haben. Inzwischen geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass der Arzt mindestens acht Menschen getötet habe. Sie ermittelt inzwischen wegen Mordes, wie die Behörde vergangenen Donnerstag mitteilte. Als Motiv sieht sie "Mordlust". 

Originalmeldung vom 29.11.2024, 06:34 Uhr:  Erst "tödliches Gemisch" verabreicht, dann Brand gelegt - Arzt soll 8 Menschen getötet haben

Der Fall entwickelt sich in einem größeren Umfang als zunächst vermutet: Ein inhaftierter Berliner Palliativmediziner steht im Verdacht, mindestens acht Menschen getötet zu haben – das Doppelte der ursprünglich vermuteten Anzahl.

Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt nun wegen Mordes, wie Behördensprecher Sebastian Büchner mitteilte. Die Überprüfung weiterer Patientenakten des Arztes sowie die Ausgrabung und gerichtsmedizinische Untersuchung zweier zusätzlicher Leichen haben die Ermittlungen erweitert.

Mit "Gemisch verschiedener Medikamente": Arzt soll acht Menschen umgebracht haben

Laut der Staatsanwaltschaft wird angenommen, dass der 40-Jährige auch für den Tod von zwei Frauen im Alter von 70 und 61 Jahren und zwei Männern im Alter von 70 und 83 Jahren verantwortlich ist. Er soll den Betroffenen jeweils ein "Gemisch verschiedener Medikamente" verabreicht haben.

Seit Anfang August befindet sich der Mediziner in Untersuchungshaft. Er wurde ursprünglich beschuldigt, vier Patientinnen im Alter von 72 bis 94 Jahren in deren Wohnungen getötet und anschließend Feuer gelegt zu haben, um die Taten zu vertuschen. Die Ermittlungen begannen wegen Totschlags und Brandstiftung.

Inzwischen wird von den Behörden jedoch wegen Mordes ermittelt. Derzeitige Erkenntnisse legen nahe, dass der Verdächtige kein Motiv außer der Tötung der Opfer hatte, was das Mordmerkmal der "Mordlust" erfüllt, teilte Büchner mit.

Im Rahmen der Ermittlungen: Leichen exhumiert

Der Haftbefehl wurde von einem Ermittlungsrichter erweitert, so die Staatsanwaltschaft. Der 40-Jährige hat sich bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert. Bereits nach seiner Verhaftung im Sommer wurde geprüft, ob es weitere Taten gab. Diese Prüfung läuft noch, und es wurde eine spezielle Ermittlungsgruppe eingerichtet.

Der Mediziner wird beschuldigt, die Taten in seiner Funktion bei einem Pflegedienst durchgeführt zu haben. Palliativärzte begleiten schwerkranke Patienten, doch die Betroffenen befanden sich nicht in einer akuten Sterbephase. Anfangs wurde in vier Fällen zwischen dem 11. Juni und dem 24. Juli 2024 ermittelt.

Im Zuge der Ermittlungen stießen Polizei und Staatsanwaltschaft auf vier weitere Fälle. Um Klarheit zu schaffen, wurden Leichen exhumiert, d.h., die Gräber geöffnet und die Leichname freigelegt. Aufgrund gerichtsmedizinischer Ergebnisse vermutet die Staatsanwaltschaft, dass der Arzt am Tod einer 70-Jährigen am 24. Juni 2022 in Berlin-Tempelhof beteiligt ist.

Arzt soll auch Brände gelegt haben

Auch hier soll er ein Medikamenten-Gemisch verabreicht und anschließend Feuer gelegt haben, um die Tat zu vertuschen. Im Januar 2024 soll er in Neukölln einem 70-Jährigen "ein tödliches Gemisch verschiedener Medikamente ohne medizinische Indikation hierfür verabreicht haben, um den Geschädigten zu töten", erklärte die Staatsanwaltschaft. Am 4. April soll er in Schöneberg eine 61-jährige Patientin auf ähnliche Weise ermordet haben.

Ende April wurde der Arzt verdächtigt, in einem Hospiz der DRK-Kliniken Köpenick einen 83-Jährigen mit einem Medikamenten-Mix getötet zu haben. Beschäftigte erkannten ihn in Medienberichten über seine Verhaftung und informierten umgehend die Polizei. "Seitdem arbeiten wir eng mit allen ermittelnden Behörden zusammen", teilte eine Sprecherin mit.

Die Untersuchungen wurden ursprünglich durch Brände ausgelöst, die der Arzt gelegt haben soll. Die Polizei begann wegen Brandstiftung mit Todesfolge zu ermitteln, wobei der Mediziner zunehmend in den Fokus rückte, auch dank Hinweisen des Pflegedienstes, bei dem er angestellt war.

"Für uns unbegreiflich": Pflegedienst bestürzt über Arzt

Mitarbeiter des Pflegedienstes zeigten sich bestürzt über das akute Ausmaß der Ermittlungen. "Der gesamte Sachverhalt ist für uns weiterhin unbegreiflich. Wir waren erschüttert über das Ausmaß der Ermittlungen und sind es auch angesichts der aktuellen Erkenntnisse", so die Geschäftsführung. Die vollständige Aufklärung genieße höchste Priorität. "Wir haben intensiven Anteil an der Aufklärung der Hergänge und kooperieren weiterhin bestmöglich mit der Staatsanwaltschaft."

Laut der Deutschen Stiftung Patientenschutz ist es in der ambulanten Pflege schwierig, solche Fälle aufzudecken. "Denn Krankheit und Tod gehören zum Alltag", erklärte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. "Täter frühzeitig am Muster zu erkennen, ist im mobilen Bereich sehr eingeschränkt möglich. Selbst Künstliche Intelligenz versagt, da es keine standardisierte Digitalisierung der Medikamentenabgabe und der Einsatzzeiten gibt", erklärte Brysch.

Wichtig seien Schwerpunktstaatsanwaltschaften und zentrale Ermittlungsgruppen für Delikte in der Pflege. Immer wieder sorgten Todesfälle in Kliniken oder Pflegeeinrichtungen für Schlagzeilen. 2007 wurde eine Charité-Krankenschwester wegen fünffachen Mordes an schwer kranken Patienten zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie ermordete ihre Opfer mit Medikamenten.

Immer wieder ähnliche Fälle: "Beispiellose Mordserie" in Niedersachsen

Eine beispiellose Mordserie in Niedersachsen gilt als größte in der deutschen Nachkriegsgeschichte: Ex-Pfleger Niels Högel wurde 2019 wegen 85 Morden zu lebenslanger Haft verurteilt, wobei sein Motiv unklar blieb. "Es sei ihm um die 'Gier nach Spannung' gegangen," urteilte das Gericht. Zuvor war Högel bereits wegen weiterer Morde verurteilt worden.

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