Druckartikel: Bamberger Symphoniker spielen beim Osterfestival in Aix-en-Provence

Bamberger Symphoniker spielen beim Osterfestival in Aix-en-Provence


Autor: Rudolf Görtler

Bamberg, Freitag, 14. April 2017

Zum ersten Mal gastierten die Bamberger Symphoniker beim "Festival de Pâques" in Südfrankreich. Eindrücke einer Fahrt mit dem Reiseorchester.
Generalprobe im Grand Théâtre de Provence Fotos: Rudolf Görtler


Vor die Kunst haben die Götter den Schweiß gesetzt. Metaphorisch gilt dies auch für ein Reiseorchester, wie es die Bamberger Symphoniker sind. Will heißen: Bevor Chefdirigent Jakub Hru  Grad ša im modernen Konzertsaal der wunderschönen Stadt Aix-en-Provence den Taktstock hebt und die hypnotischen Töne des "Lohengrin"-Vorspiels durchs Grand Théâtre de Provence flirren, muss ein logistischer Apparat ins Schnurren gekommen sein.
Wobei echter, nicht nur metaphorischer Schweiß fließt bei den Orchesterwarten, die schwere Kisten mit Instrumenten aus dem Symphoniker-Lkw wuchten - und diesen knapp 1200 Kilometer gen Süden steuerten und wieder zurück: Gleich nach dem Konzert ging es in einer 16-Stunden-Fahrt in die Heimat. Und: Der Apparat muss mit wenigen Aggregaten auskommen: Manager, Betriebsleiter, Sekretariat, assistiert diesmal von einer Schweizer Konzertagentur. Aufgabe: Ein knappes Hundert Orchestermusiker in die Stadt im Hinterland der Côte d'Azur zu bringen für ein Gastspiel beim fünften "Festival de Pâques" dort, dem Osterfestival, eine Premiere.


Ökonomische Basis der Kunst

Flöhe hüten braucht da keiner, denn die oft jahrzehntelange Reiseerfahrung der Musiker (und Musikerinnen, die hier immer mitgemeint sind) sorgt für große Gelassenheit. Es wird auch nicht abgezählt beim Bustransfer zum Nürnberger Flughafen, von wo die Chartermaschine startet, oder beim Rückflug zwei Tage später. Erwachsenen Menschen traut man Eigenverantwortung zu, sagt Orchestermanager Markus Karl Stratmann, der ebenso wie Intendant Marcus Rudolf Axt die Reise begleitet. Nicht just for fun, sondern um, wie es im BWL-Jargon heute heißt, zu netzwerken, Kontakte zu knüpfen, Auftrittsmöglichkeiten auszuloten.
Denn die hehre Kunst kann ohne eine profane ökonomische Basis nicht existieren. Der Intendant hat die Strategie "in einem immer schwieriger werdenden Markt" festzulegen, wie Axt sagt. Will heißen, Tourneen der Bamberger Symphoniker zu planen, Festivalauftritte, die Bilanzen. Ein Gastspiel wie in Südfrankreich ist sicher kein Gewinnmaximierungs-Unternehmen. Angestrebt werden Kostendeckung oder ein leichter Überschuss. In der ökonomischen Krisenzeit hatten etwa spanische Veranstalter schlicht kein Geld mehr, Orchester einzuladen. Das z. B. gilt es zu berücksichtigen, aber, natürlich, auch das Programm festzulegen in Abstimmung mit dem Chefdirigenten, dem Orchestervorstand, einer Art Betriebsrat - und den divergierenden Interessen der etwa 6000 Abonnenten, die sicher auch nicht immer ganz einfache Charaktere sind. Termine werden in der Regel zwei Jahre vor dem Auftritt geplant; das Programm in Aix-en-Provence mit dem Lohengrin-Vorspiel, dem 4. Klavierkonzert Beethovens und der 4. Symphonie Johannes Brahms' "stand" also schon, bevor Jakub Hru  Grad ša als Nachfolger Jonathan Notts verpflichtet wurde. Eine sehr deutsche Folge, die aber nicht unter diesem Aspekt zusammengestellt worden ist, wie der Intendant versichert. Den auch ehrt, dass er sich explizit zur Verantwortung für die Steuergelder bekennt, die ein Orchester wie die Bayerische Staatsphilharmonie nun einmal benötigt.
Mannigfaltig sind die Einfluss nehmenden Kriterien ... Eine Rolle spielt etwa die Probentaktik, ob ein Stück im Repertoire fest verankert ist, wie sich das Zusammenspiel mit dem Solisten arrangieren lässt. In Frankreich ist dies Nelson Freire. Der 72-jährige Brasilianer hatte bereits mit den Bambergern gespielt, bevor er sich temporär aus dem Musikleben zurückzog. Nun traf er sich mit dem Orchester unter seinem Chefdirigenten Jakub Hru  Grad ša zur Generalprobe am Vormittag des Konzerts im Grand Théâtre. Nelson Freire ist ein ruhiger Mensch, die Kommunikation mit Hru  Grad ša spielt sich so gut wie wortlos ab, es spricht nur die Musik. Als große Gelassenheit könnte man auch den Arbeitsstil des Chefdirigenten umschreiben, der bald seine erste Spielzeit mit den Bamberger Symphonikern absolviert haben wird. Musiker und Dirigent interagieren ruhig und konzentriert. Hru  Grad ša spricht leise - inzwischen in erstaunlich gutem Deutsch -, lässt Vorschläge und Einwände zu. Das abendliche Konzert wird zeigen, dass er auch zu Temperamentsausbrüchen fähig ist. Dem 35-Jährigen wird eine ganz große Karriere prophezeit, nachdem er erst kürzlich zum Ersten Gastdirigenten des Londoner Philharmonia Orchestra ernannt worden ist. Dennoch zeigt er keine Allüren, wirkt umgänglich und freundlich.


Wunschkandidat des Orchesters

Seine Musiker sind sehr angetan bis begeistert von ihm. "Wir haben ihn uns gewünscht", sagt etwa die Bratschistin Zazie Lewandowski, die ihn bei einem Dirigat auf Herrenchiemsee erlebte. Der Violinist Andreas Lucke kann eine Viertelstunde lang analysieren, wie Hru  Grad ša die 4. Symphonie von Brahms neu interpretiert, ungewohnte Spannungsbögen findet, zeitgemäße Intellektualität ins Spiel bringt.
Doch blass bleibt alle Musiktheorie, wenn sich Dirigent und Musiker nicht vor Publikum bewähren. Der moderne Konzertsaal in Aix-en-Provence ist dem Bamberger so unähnlich nicht. (Er verfügt auch über selbsttätig geräuschlos schließende Türen, ein Desiderat in Bamberg.) Am Konzertabend, vom französischen "Radio Classique" live übertragen, saßen weit über 1000 Zuhörer in den Sesseln oder standen in der Pause um eine Open-Air-Bar auf einer Art Agora vor der Halle - glücklicher Süden! Für Bamberger Ohren ungewohnt wirkt die sehr trockene Akustik des Saals. Was dem Erfolg des Konzerts keinen Abbruch tat. Regelrecht bejubelt wurde der Auftritt Nelson Freires, eine Zugabe rhythmisch herbeigeklatscht, das Lohengrin-Vorspiel und vor allem die Brahms-Symphonie fanden nicht weniger Beifall. Damit haben die Bamberger sicher neues Terrain erobert.
Dem Reisebegleiter imponieren die Musiker, die Spitzenleistungen bringen wollen und müssen. Was ist, wenn jemand müde ist, indisponiert, ihn das Fliegen enerviert? Cellist Matthias Ranft hat ein schönes Bild gefunden, wie das Zusammenwirken von Publikum und Musikern vergleichbar sei der Ingenieurskunst, die einen Metallkorpus in die Lüfte bringe. Womit doch wieder eine Metapher benötigt worden ist.