Ausgelaugte Pflegerin schreibt Hilfe-Brief an Jens Spahn: Minister reagiert mit Video
Autor: Tobias Utz
Berlin, Mittwoch, 21. November 2018
Im Pflegebereich herrscht große Unzufriedenheit. Eine Pflegerin macht ihrem Ärger Luft und wendet sich direkt an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Seine Reaktion lässt nicht lange auf sich warten.
Johanna Uhlig ist Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin. Sie arbeitet in einem kräftezerrenden Schichtsystem, in dem Notfälle von der Ausnahme zur Normalität werden. Während der Schicht auf Toilette zu gehen, wird zur Wunschvorstellung. Kündigungen, fehlende Motivation und Angstzustände beobachtet sie bei vielen Kollegen. Doch Uhlig will nicht tatenlos zusehen und wird aktiv. Sie schreibt einen Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Auf Facebook veröffentlicht sie ein Schreiben, dass Zehntausende Menschen bewegt. Darin erzählt sie von ihrem Arbeitsalltag und richtet deutliche Worte an den Unionspolitiker.
Ihr Appell: "Kämpfen Sie mit uns allen für ein Gesundheitssystem, in dem Menschen verantwortungsvoll und kompetent versorgt werden können."
Der Facebook-Post im Protokoll: Johanna Uhligs Worte
"Sehr geehrter Herr Spahn,
gerade komme ich aus der Nachtschicht. Ich bin erschöpft, verärgert und enttäuscht. Ich möchte Sie keinesfalls persönlich für die Misstände im Gesundheitssystem verantwortlich machen, jedoch komme ich heute nicht zur Ruhe, ohne Ihnen folgendes mitzuteilen. Aber besser von Beginn an: Mein Name ist Johanna Uhlig. Ich arbeite seit vier Jahren als Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin auf einer neonatologischen Intensivstation. Meine Arbeit verrichte ich in einem Krankenhaus der Maximalversorgung. Unser Patientenklientel sind Früh- und Neugeborene. Im Zuge meiner Weiterbildung zur pädiatrischen Intensivpflegefachkraft, arbeite ich aktuell auf einer pädiatrischen Intensivstation mit einem Patientenspektrum von null bis achtzehn Jahren. So habe ich auch Einblick in andere Fachgebiete erhalten. In der Kinderkrankenpflege ist der Personalschlüssel im Vergleich zur Kranken- und Altenpflege noch verhältnismäßig ordentlich. Trotzdem spürt man auch hier bereits den Wandel des Pflegefachkräftemangels.
Erfahrene Kollegen kündigten, weil sie die immer schlechter werdenden Bedingungen und den drohenden Qualitätsverlust nicht mehr persönlich mittragen konnten. Es gab Kündigungen von jungen Kollegen, die sich nach einigen Monaten gar nicht erst vorstellen konnten, diese Arbeit im Dreischichtsystem fortzuführen. Selbst Auszubildende, welche die Ausbildung abgeschlossen haben, orientieren sich sofort um und treten erst gar nicht in den Berufsstand. Was mich demotiviert ist die Tatsache, dass ich die meiste Zeit überhaupt nicht das praktizieren kann, was ich ursprünglich gelernt habe: patientenorientierte, kompetente und evidenzbasierte Pflege.
In einem solchen Beruf gibt es immer wieder Tage, an welchen ein Notfall den anderen jagt und man das Gefühl hat sich vierteilen zu müssen. Das ist normal. Allerdings ist es nicht normal, dass sich aktuell fast JEDER Dienst so gestaltet und man nur noch das Unerlässliche am Patienten verrichten kann.
Der Pflegenotstand als solches ist relativ. Viele Personen führen die Berufsbezeichnung eines Pflegeberufes. Ihre Examensurkunde haben sie zuhause in einer Schublade liegen. Viele dieser Pflegekräfte haben den Beruf verlassen - aus Gewissensgründen, aus gesundheitlichen Gründen oder sie haben schlichtweg die Notbremse für sich selbst gezogen.