Druckartikel: Alex Capus liebt die Kleinstadt und seine Frau

Alex Capus liebt die Kleinstadt und seine Frau


Autor: Rudolf Görtler

Bamberg, Donnerstag, 09. Februar 2017

Der Schweizer Alex Capus zeigte sich in seinem Verwirrspiel um Realität und Fiktion als hinterfotziger Humorist.
Alex Capus bei seiner Lesung im Bamberger Medienhaus Hübscher Foto: Matthias Hoch


Das möchte man einmal machen: Sich mit diesem sympathischen Schweizer mit dem Habitus eines knorrigen Bergbauern - immer verschmitzt, aber nie bösartig - in ein Wirtshaus setzen, drauflosplaudern, Schnurren und Witze austauschen, das ein oder andere Viertel Wein zusammen leeren.

Das wollen offenbar viele, denn die Buchhandlung Hübscher barst schier am Dienstagabend, als der 55-Jährige aus seinem jüngsten Roman "Das Leben ist gut" las. Wobei - mit "Lesung" ist die Veranstaltung nur unzureichend charakterisiert. Freilich schlug der durchaus attraktive Mann - war deswegen das Publikum überwiegend weiblich? - ab und an das Buch auf und trug einige Abschnitte vor. Doch meist parlierte Capus frei, erzählte anekdotisch von seinem Leben als Barbesitzer im schweizerischen Olten, einem Städtchen mit gut 17 000 Einwohnern und "einer ordentlich hübschen Altstadt".

Doch halt! Geht man da einem versierten Autor nicht auf den Leim, den die Bamberger Literaturprofessorin Andrea Bartl mit "größter Freude" liest und dem sie "intellektuelle Tiefe bei leichter Oberfläche" attestierte. Was ist Realität, was Fiktion? Auch nach gut anderthalb Stunden Tresengespräch, das ja nur ein Monolog war, weiß man es nicht. Auch wenn Alex Capus seine Poetik ex ante so erklärte, dass man nicht zehn Semester Hermeneutik studiert haben muss, um sie zu verstehen: Jeder Autor baue zunächst eine Bühne auf, die von ihm erfundenes Personal bevölkere. Absurderweise würden diese Imaginationen für wahr genommen, während wahre Geschichten keiner glauben möge ...

Ergo sei sein Buch "Das Leben ist gut" pure Erfindung, "denn es steht ja Roman vorne drauf", postulierte Capus in seinem weichen Schweizerisch unwiderlegbar. Also sei der Schauplatz seiner Geschichte eine "namenlose, frei erfundene" Kleinstadt in der Schweiz und sein Buch "kein Olten-Roman". Freilich lebt Capus in Olten mit Ehefrau und fünf Söhnen - im Buch sind es nur drei. Vielleicht sollte man sich mit einer purifizierten Poetik zufriedengeben: "Man nimmt etwas und macht etwas Neues daraus", sagt der augenzwinkernde Erfinder des Neuen, der in seiner Heimatstadt in der Tat eine Bar betreibt, die in seinem Buch keine kleine Rolle spielt.

Und auch die Oltener Güterhallenstraße gibt es; es ist eben ein literarisches Spiel, ein Spiel mit vorhandenem Material. Capus' Ich-Erzähler Max ("mir gar nicht so unähnlich") muss mit einer umgekehrten Odysseus-Situation zurechtkommen. Penelope/Tina, die geliebte Ehefrau, verreist nach Paris, weil sie an der Sorbonne einen Lehrauftrag ergattert hat. Eine Chance, die man sich nicht entgehen lassen darf, wie das Gespons einsieht.
In der Folge plaudert/liest Alex/Max aus seinem Leben. Es entwickelt sich ein durchaus liebevoll gezeichnetes Kleinstadtpanorama, wenn es im Buch auch einmal heißt, dass die an ein Indianerdorf erinnere, in dem "ein Stamm von Günstlingen, Vettern und Schmarotzern" lebe, "deren gemeinsames Erkennungsmerkmal raffgierige Dummheit und engstirnige Phantasielosigkeit" sei. Ja, Max schlägt durchaus auch mal drauf. Capus hat nicht nur ein Feel-good-Book geschrieben. Wenn seine fiktive Kleinstadt auch von skurrilen Typen bevölkert wird wie Mehmet, den die Angst vor Erdbeben umtreibt.

Die gelesenen Abschnitte drehten sich meist um den alten Mann-Frau-Antagonismus, aber nicht mariobarthisch, sondern aus der Perspektive eines mitunter genervten, aber in seiner Zuneigung doch niemals wankenden Gatten. Zwar fasst der den Grant über den "verhaltensgestörten weiblichen Paarhufer" in den Ruf "Du dumme Kuh!" zusammen, aber der liebende Max würde - im Gedankenspiel jedenfalls - seiner Tina sogar einen Liebhaber im fernen Paris gönnen. Ein Dialog zwischen den Eheleuten über Hunde und Treue ist so pointiert geschrieben, dass er in eine Screwball-Comedy passen würde.

Also alles in allem doch ein versöhnliches Buch. Erfüllt es in diesen aus den Fugen geratenen Zeiten ein Bedürfnis? Sicher. Wer traute sich sonst noch, einen Roman mit "Das Leben ist gut" zu betiteln? Das ist mehr als amüsante Unterhaltung. Es verrät, dass es den Menschen nach einer vertrauten Umgebung, nach verlässlichen Beziehungen verlangt. Man traut sich kaum, dies mit dem in vielerlei Hinsicht diskreditierten Begriff "Heimat" zu umschreiben. Jedoch: Der vielseitige Alex Capus kann auch anders, vor allem Bücher für Männer schreiben. Wenn er auch einmal daran erinnert: "Ich möchte Sie daran erinnern, dass das alles Fiktion ist."