AfD im Amt - Wahlversprechen und kommunalpolitische Realität
Autor: Inga Jahn, Stefan Hantzschmann und Jörg Schurig, dpa
, Dienstag, 02. Januar 2024
Die AfD hat in Ostdeutschland drei kommunale Wahlerfolge gefeiert. Wie schlagen sich die die neuen Amtsinhaber im politischen Alltag außerhalb Berlins?
Fast scheint es, als wäre Tim Lochner der ganze Rummel zu viel. Dicht umdrängt von Fotografen und Kameraleuten steht der 53 Jahre alte Tischlermeister in den Räumen des AfD-Kreisverbandes Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und gibt sein erstes Interview als designierter Oberbürgermeister der Stadt Pirna. Lochner verspricht im Beisein seiner jubelnden Anhänger: Er will durchhalten und sieben Jahre an der Spitze des Rathauses stehen.
Lochner soll erster Oberbürgermeister für die AfD in Deutschland werden, obwohl er kein Parteimitglied ist. Das klare Votum für ihn bei der Wahl am 17. Dezember ist auch deshalb bemerkenswert, weil der sächsische Landesverband der AfD kurz zuvor vom Verfassungsschutz als «gesichert rechtsextremistisch» eingestuft wurde. Zum gleichen Schluss kamen die Verfassungsschützer in Thüringen und Sachsen-Anhalt mit Blick auf die dortigen Landesparteien schon früher. Doch auch dort errang die Partei kommunalpolitische Spitzenämter.
Seither steht die Frage im Raum, ob die AfD zur Normalität in der politischen Landschaft Deutschlands wird. In Umfragen zu den Landtagswahlen kommt sie in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen inzwischen auf mehr als 30 Prozent. Mittlerweile träumt sie in Sachsen und Thüringen schon von höheren Weihen. «Wir wollen in Sachsen regieren», sagt der sächsische AfD-Chef Jörg Urban am Wahlabend in Pirna. Lochner habe gezeigt, dass das gehe.
Psychologin: Rechtsextremismus als Erfolgsrezept
Im südthüringischen Landkreis Sonneberg ist der AfD-Politiker Robert Sesselmann seit knapp einem halben Jahr Landrat. Mit der Presse spricht er nur sehr selten, eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur für ein Gespräch lehnt er erneut ab - «aus Zeitgründen», wie ein Sprecher des Kreises schreibt. Sesselmanns Sieg bei der Landratswahl war der erste große Erfolg der AfD im Rennen um ein kommunales Spitzenamt. Ausgerechnet in Thüringen, wo der AfD-Landesverband mit seinem Vorsitzenden Björn Höcke als besonders rechts gilt.
Die Radikalisierung der AfD schrecke die Wähler nicht ab, sagt die Psychologin Fiona Kalkstein, die als stellvertretende Direktorin am Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig vor allem zu demokratiefeindlichen Einstellungen forscht. «Je rechtsextremer die AfD geworden ist, umso erfolgreicher wurde sie. Wir haben überhaupt keinen Abschreckungseffekt, eher das Gegenteil. Man könnte fast sagen: Der Rechtsextremismus ist für die AfD ein Erfolgsrezept.»
Wahlkampf hatte die AfD in Sonneberg mit Forderungen gemacht, die ein Landrat niemals umsetzen kann - etwa nach der Abschaffung des Euro oder der Rundfunkbeiträge. Auch ein halbes Jahr nach Sesselmanns Wahl zahlen die Menschen in dem kleinen Landkreis mit dem Euro, überweisen weiterhin Rundfunkbeiträge. Die Flüchtlinge sind auch noch nicht dort untergebracht, «wo Fuchs und Hase grußlos aneinander vorbeiziehen», wie sein AfD-Parteikollege Stefan Möller Sesselmanns Gestaltungsmöglichkeiten als Landrat skizziert hatte.
Höcke will den «Kampf gegen rechts» beenden
Nach seiner Wahl hatte Sesselmann angekündigt, den Haushalt des chronisch klammen Landkreises konsolidieren zu wollen. Sparen wollte er etwa bei einem Programm, das Demokratie fördern und Extremismus vorbeugen soll. Den 35.000 Euro hohen Eigenanteil des Kreises wollte Sesselmann einsparen, wie mehrere Kreistagsmitglieder übereinstimmend erläutern. Der zuständige Ausschuss verhinderte das. Zur Programmatik der AfD hätte es wohl gut gepasst. Erst kürzlich kündigte Höcke bei einem Landesparteitag an, den «Kampf gegen rechts» beenden zu wollen, wenn er in Thüringen Ministerpräsident würde.