"Jahrzehntelange rückwärtsgewandte Politik rächt sich nun": Sozial-Bündnis rechnet mit Staatsregierung ab
Autor: Strahinja Bućan
München, Donnerstag, 10. November 2022
Erst Corona - dann Ukraine-Krieg mit Energiekrise und Inflation. Das "Soziale Netz Bayern" sieht den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den sozialen Frieden in Gefahr - und das auch im reichen Bayern. Das Bündnis wirft in einem Positionspapier der Staatsregierung Versäumnisse vor - und zeigt, wie man es besser machen kann.
Schon die Corona-Pandemie hat dafür gesorgt, dass bestehende soziale Ungleichheiten im Freistaat noch deutlicher zum Vorschein gekommen sind. Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, mit all seinen Folgen – explodierende Preise, eine Inflation von mittlerweile 11 Prozent und große Energieunsicherheit – hat sich die Lage in Bayern weiter zugespitzt.
Aus diesem Grund fordert das "Soziale Netz Bayern" – ein Bündnis aus 16 Verbänden, Organisationen und Institutionen aus dem Sozialbereich – in einem gemeinsamen Positionspapier, den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Freistaat zu stärken, Chancengerechtigkeit herzustellen und den Menschen die notwendige Sicherheit zu geben.
Arme drohen abzurutschen - auch im wohlhabenden Bayern
Die zentrale Forderung des Bündnisses ist, die drohende Armut zahlreicher Bevölkerungsgruppen abzuwenden. Denn trotz des großen Wohlstands in Bayern drohen Familien, Arbeitslose oder Rentnerinnen und Rentner sozial abzurutschen. Deshalb fordert das "Soziale Netz Bayern" kurzfristig eine erneute Energiepauschale von 500 Euro. Langfristig soll wiederum der Niedriglohnsektor unter Kontrolle gebracht werden.
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In diesem Sinne kritisiert der bayerische DGB-Chef Bernhard Stiedel, dass die Staatskanzlei in München zentrale Reformen der Ampel-Koalition in Berlin torpediert: "In der Staatskanzlei werden aktuell viele Ressourcen für das tägliche Ampel-Bashing verschwendet, Stichwort ‚Bürgergeld‘. Wer Angst hat, dass sich Arbeit durch das Bürgergeld nicht mehr lohnt, übersieht dabei offenbar, dass viel zu viele Beschäftigte in diesem Land zu wenig verdienen."
Hoch rechnet der Gewerkschafter der CSU-geführten Landesregierung jedoch an, einen Härtefallfonds für notleidende Betriebe und Heizkosten-geplagte Bürger aufgesetzt zu haben. Das bayerische Kabinett kündigte in den vergangenen Tagen an, eine Reserve in Höhe von mindestens 1,5 Milliarden Euro locker zu machen. Steidel kritisiert aber, dass auch hier noch viele Fragen offen seien: "Auf diese Fragen braucht es jetzt zügig Antworten. Denn die Menschen, aber auch soziale Einrichtungen brauchen jetzt sofort Entlastung und können nicht warten, bis der Winter vorbei ist."
Kritik, aber auch ein bisschen Lob - Tut Bayern zu wenig gegen Armut?
Extrem viel Nachholbedarf sieht das "Soziale Netz Bayern" außerdem im Bereich der Familien - konkret geht es um die frühkindliche Bildung und die Pflege. Laut dem AWO-Landesvorsitzenden Stefan Wolfshörndl bleibt der Regierung kaum noch Zeit, um bei der Kita-Versorgung die Kurve zu kriegen. "Die jahrzehntelange rückwärtsgewandte Politik der Bayerischen Staatsregierung rächt sich nun. Es ist schon lange nicht mehr so, dass die Mutter automatisch daheimbleibt und sich um Kind(er), pflegebedürftige Angehörige und Haushalt kümmert – zum Glück", beklagt Wolfshörndl die Politik der Regierung und warnt vor einem Bildungskollaps. Das "Soziale Netz Bayern" fordert deshalb eine Rekrutierungs-Offensive für Erzieherinnen und Erziehen sowie einen massiven Ausbau der Kinderbetreuung mit einer umfangreichen finanziellen Unterstützung der Kommunen.
Genauso wie bei der Bildung hapert es im Freistaat laut dem Sozial-Bündnis auch bei der Pflege. "900.000 Menschen pflegen in Bayern ihre Angehörigen. Familien, in denen Pflegebedürftige versorgt werden, werden aber von der Politik vergessen", kritisiert die VdK-Chefin für Bayern, Ulrike Mascher. Bayern würde dem Label "Familienland" nicht gerecht. Vielmehr sollte die Staatsregierung die Kurz- und Langzeitpflege ausbauen sowie das Behindertengleichstellungsgesetz reformieren.