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Flüchtige Sexualstraftäter: Wie konnte es dazu kommen?


Autor: Robert Wagner

Regensburg, Montag, 11. Mai 2015

Seit über drei Wochen sind Karl-Heinz L. und Christoph J. bereits auf der Flucht. In weiten Teilen der Bevölkerung herrscht Unverständnis darüber, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Doch die Diskussion ist in Wirklichkeit komplexer, als es im ersten Moment wirkt.
Christoph J. (links) und Karl-Heinz L.sind weiter auf der Flucht. Wie konnte es dazu kommen?  Foto: Polizei


Seit über drei Wochen sind die verurteilten Sexualstraftäter Karl-Heinz L. und Christoph J. nun auf der Flucht. Am 17. April machten die beiden Männer sich in einem Einkaufszentrum in Regensburg aus dem Staub. Seitdem fehlt von ihnen, trotz zahlreicher Hinweise, jede Spur. In der Öffentlichkeit und der Presse wird die Thematik kontrovers diskutiert. Insbesondere im Fall J. fragen sich viele Menschen, wie es sein kann, dass ein verurteilter Straftäter nach zwei erfolgreichen Fluchtversuchen ein weiteres Mal die Gelegenheit dazu bekommt, sich frei in einem Einkaufszentrum zu bewegen.

Regeln des Maßregelvollzug

Um das zu verstehen, muss man sich die Regeln und Ziele des sogenannten "Maßregelvollzugs" vor Augen führen, in dem sich J.eit 1995 und L. seit 1999 befinden. Die Experten der forensischen Psychiatrie beurteilen zunächst die Schuldfähigkeit der Täter. Nur wenn die Täter ihr Fehlverhalten nicht einschätzen konnten und in der demnach nicht in der Lage waren, anders zu handeln, empfehlen sie die Unterbringung und Behandlung in einer psychiatrischen Klinik. Insbesondere bei Drogenabhängigen und Sexualstraftätern wird der Maßregelvollzug oft dem Strafvollzug vorgezogen. So eben auch bei J. und L..

Länger als Lebenslang

Ziel des Maßregelvollzugs ist nicht nur die sichere Verwahrung der Straftäter, sondern eben auch die psychiatrische Behandlung der Betroffenen und deren mögliche Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Die Einschätzung des Behandlungserfolges ist dabei dann aber auch entscheidend dafür, ob und wann die Täter wieder entlassen werden. Dadurch unterscheidet sich der Maßregelvollzug fundamental vom Strafvollzug.

Lissy Höller, Sprecherin der forensischen Klinik in Regensburg, verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass Christoph J. nun bereits seit annähernd 20 Jahren im Maßregelvollzug ist - einem Zeitraum der größer ist als die durchschnittliche Haftdauer von Verbrechern mit lebenslanger Haft in Deutschland. Auch Oberstaatsanwalt Theo Ziegler, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Regensburg, verweist im Fall J. auf den Zeitfaktor. So seien seit J.s letzter Flucht bereits 13 Jahre vergangen - ein so langer Zeitraum, dass J. durchaus die Möglichkeit zugesprochen werden müsste, eine Besserung unter Beweis zu stellen.

Schwieriger Lockerungsprozess

Im Laufe der Behandlung wird den Patienten die Möglichkeit gegeben, durch sogenannte Lockerungsstufen stückweise ihre Freiheit zurückzuerlangen und sich schrittweise in die Gesellschaft zu integrieren. Es handelt sich um ein mehrstufiges Verfahren, dass von begleiteten Ausflügen wie bei J. und L. bis hin zu unbegleiteten Ausflügen mit Übernachtungen geht. Dabei, so versichert Lissy Höller, werden solche Lockerungen nur dann genehmigt, wenn sich alle Beteiligten (Ärzte, Psychologen, Sozialpädagogen, Pflegepersonal und Sicherheitsbeauftragte) einig sind, dass von den Patienten keine Gefahr ausgeht.

Dies war auch bei J. und L. der Fall. Und tatsächlich hatten laut Höller Beide bereits seit rund einem Jahr die erste Lockerungsstufe, ohne dass es zu Vorkommnissen gekommen wäre. Den Patienten der Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Regensburg würden im Jahr rund 100.000 Lockerungen gewährt. Nur in 16 Fällen hätten Patienten im vergangenen Jahr gegen die Lockerungsvorschriften verstoßen. Dennoch, so Höller weiter, könne natürlich letztlich nicht zu 100 Prozent ausgeschlossen werden, dass es zu "Lockerungsmissbräuchen" käme. Den Lockerungsprozess betrachtet sie dennoch positiv, denn die Frage ist, was dazu die Alternative wäre.

Sind J. und L. gefährlich?

Erst nach einigen Tagen gab die Polizei im Fall J. und L. bekannt, dass es sich bei den Flüchtigen um Sexualstraftäter handelt und das diese potenziell gefährlich sind. Die verzögerte Informationspolitik begründete die Polizei mit dem gestiegenen Gefährdungspotenzial der beiden Flüchtigen. Viele Leser fragten sich deshalb, warum jemand, der potenziell gefährlich ist, überhaupt frei, wenn auch in Begleitung, durch Regensburg gehen durfte. Auch hier ist laut Höller auf den Unterschied von Maßregel- und Strafvollzug zu achten. J. und L. gelten als krank. Erst durch ihre Flucht entsteht eine Bedrohung durch sie. Während sie in dem geordneten Klinikumfeld als ungefährlich galten, hat sich nun die Situation schlagartig gewandelt. Durch den möglichen Kontakt zu Kriminellen oder durch Drogenkonsum kann sich auch das Verhalten der beiden Männer ändern. Es ist daher nicht mehr möglich, ihr Handeln seriös einzuschätzen. Eine Gefährdung anderer Menschen ist dadurch nun nicht mehr auszuschließen.