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Bedford-Strohm: "Luther wäre auf Facebook"


Autor: Christoph Hägele

Bamberg, Donnerstag, 02. Juli 2015

Mit Lust wirft sich Heinrich Bedford- Strohm in jede Diskussion. Für den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche müssen sich die christlichen Werte vor allem im Alltag bewähren.
Heinrich Bedford-Strohm beim Interview in BambergFoto: Matthias Hoch


Heinrich Bedford-Strohm ist mindestens so sehr intellektueller Stichwortgeber wie er Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) ist. Ein Widerspruch ist dies für den 55-Jährigen nicht. Er versteht sich als öffentlicher Theologe, der mit seine Glaubensüberzeugungen die Debatten bereichern will. Bedford-Strohm möchte gehört werden, und er wird auch gehört.

Obwohl die Protestanten mit ihm einen charismatischen und sendungsbewussten Kopf an ihrer Spitze haben, verlieren die Gemeinden ungebremst Mitglieder. Auch um diese unangenehme Wahrheit hat sich Bedford-Strohm im Interview in Bamberg nicht gedrückt.

Welche Rolle will die Evangelische Kirche in der Gesellschaft heute spielen?
Bedford-Strohm: Egal, an welchem Tag man die Zeitung aufschlägt: Immer geht es auch um Fragen, die ethische Grundsatzfragen sind. Denken Sie an die Sterbehilfe, die Ökologie oder auch die soziale Gerechtigkeit. An den Antworten darauf entscheidet sich am Ende auch, in welche Richtung wir uns als Gesellschaft entwickeln. Und als Kirche haben wir gerade in diesen Fragen ein tiefes Orientierungswissen, das wir in die Diskussionen gern einbringen möchten. Nicht moralisierend oder aus Eitelkeit, sondern um der Diskussion eine ethische Tiefe zu verleihen.

Was genau meinen Sie mit Orientierungswissen?
Damit meine ich die Überzeugungen, die uns die Bibel gibt. Zum Beispiel, dass die Schwachen und Armen Vorrang genießen. Oder auch den fundamentalen Wert, den die Schöpfung Gottes besitzt. Diese Überzeugungen will ich in die Öffentlichkeit transportieren in einer Sprache, die allgemeinverständlich ist und nah an der Lebenswirklichkeit der Menschen.

Werden Sie gehört?
Ja, den Eindruck habe ich. Auch die Entscheidungseliten in der Politik haben offene Ohren für unsere Positionen. Ich habe zum Beispiel erst vor ein paar Tagen mit dem CDU-Präsidium um Frau Merkel über den Klimaschutz gesprochen.

Laufen Sie dadurch nicht Gefahr, dass die Evangelische Kirche zunehmend als politische Partei wahrgenommen wird und darüber die spirituelle Ebene vernachlässigt?
Wir wollen natürlich keine Partei sein. Aber ein Christentum, das sich nur selbst feiert und sich nicht auf die konkrete Welt bezieht, ist am Ende reiner Kult. Glaube darf nicht zum Selbstzweck werden, sondern muss sich bewähren im Umgang mit der Welt und den Menschen. Christ sein bedeutet beides: Gott zu lieben und den Nächsten zu lieben. Das ist das Doppelgebot der Liebe. Und wer sich anrühren lässt von der Not des Anderen, der kann gar nicht anders, als sich auch politisch zu äußern. Denn diese Not ist häufig auch das Ergebnis von politischen Fehlentwicklungen.

Dennoch sind im vergangenen bayernweit 28.400 Menschen aus der evangelischen Kirche ausgetreten, das sind als 41 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Was vermissen diese Menschen an der Kirche?
Das ist eine Zahl, die mich schmerzt. Den Briefen und Mails von Ausgetretenen entnehme ich aber, dass oft das neue Einzugsverfahren bei der Kirchensteuer auf Kapitalerträge sie zum Austritt bewogen hat. Sie dachten offenbar, es handele sich um eine neue Steuer. Das stimmt natürlich nicht. Aber wir haben dieses Thema offenbar sehr schlecht kommuniziert.

Das wird aber nicht der einzige Grund sein?
Nein, es war in vielen Fällen aber wohl der letzte Tropfen, der zum Austritt noch gefehlt hat. Die Menschen müssen sich schon zuvor der Kirche entfremdet haben. Es ist eine große Herausforderung für uns, sie wieder für die Botschaft des Evangeliums zu begeistern und zurückzugewinnen.

Wie kann ihnen dies gelingen?
Die Evangelische Kirche wird in erster Linie nicht über mich oder andere öffentliche Repräsentanten der Kirche wahrgenommen, sondern über die Gemeindepfarrer vor Ort. Das zeigen uns Umfragen ganz deutlich. Die Pfarrer sind es, die zuhören, die Nöte und Sorgen, aber auch das Schöne im Leben der Menschen teilen. Was ich vorhin schon sagte: Der Glaube muss sich im konkreten und alltäglichen Leben bewähren.

Da tragen sie den Pfarrern ein großes Stück Verantwortung auf. Einer aktuellen Studie zufolge leiden katholische Seelsorger massiv unter Erschöpfungszuständen. Wie steht es in diesem Zusammenhang um die protestantischen Seelsorger?
Natürlich bewegen sich auch protestantische Pfarrer oft am Rand ihrer Belastungsfähigkeit. Der Beruf des Pfarrers ist eine große Herausforderung, das weiß ich auch aus eigener Erfahrung. Man ist als Pfarrer innerlich immer auf dem Sprung und kann nur schlecht abschalten. Neben dem so vielfältigen und deswegen eben auch oft diffusen Aufgabengebiet und der zeitlichen Belastung kommt aber noch etwas anderes hinzu: die Individualisierung der Gesellschaft.

Die gesellschaftlichen Milieus haben sich vervielfältigt.
Heute müssten Pfarrer im Grunde für jede Gruppe einen eigenen Gottesdienst mit individueller Ansprache anbieten: für die Schulkinder, für die Jugendliche, für die Frühaufsteher, die Spätaufsteher, für die Älteren und am besten noch eine Thomasmesse für alle, die an ihrem Glauben zweifeln. Über die Krabbelkinder habe ich da noch gar nicht gesprochen. Allen diesen Gruppen gerecht zu werden, ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.

Würden sie heute einem jungen Menschen noch raten, Pfarrer zu werden?
Unbedingt! Es ist ein wunderbarer Beruf. Alsdamals die Professur an der Bamberger Universität ausgeschrieben wurde, habe ich bis zum letzten Tag der Frist gezögert, bevor ich meine Bewerbung abgeschickt habe. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, meine Gemeinde in Coburg zu verlassen.



Was ist das Besondere am Beruf des Pfarrers?
Ein Pfarrer kann sein Leben einer Sache widmen, von der er aus vollem Herzen überzeugt ist. Die Botschaft des Evangeliums kriegt niemand klein, davon bin ich überzeugt.

Tragen Sie sich mit dem Gedanken, nochmals in den Berufs des Pfarrers zurückzukehren?
Ich habe noch nie Karrierepläne geschmiedet. Bislang hat mich jede Aufgabe, die ich wahrgenommen habe, erfüllt. Den aktiven Wunsch, mich beruflich zu verändern, hatte ich eigentlich noch nie. Das kam alles eher auch mich zu.

Oder reizt Sie das Amt des Bundespräsidenten? Joachim Gauck, ein evangelischer Pfarrer auch er, hat sich zu einer möglichen zweiten Amtszeit ja noch nicht erklärt?
(lacht) Das können Sie jetzt aber nicht ernst meinen.

In Sachen Homo-Ehe nehmen Sie eine liberale Position ein. Fürchten Sie, damit konservativer denkende Protestanten zu verschrecken?
Ich weiß, dass innerhalb der evangelischen Kirche nicht alle meine Position teilen. Ich respektiere diese Vorbehalte und tausche mich mit deren Anhängern, die zum Beispiel auf der Seite der Evangelikalen zu finden sind, auch regelmäßig aus. Das Liebesgebot Jesu und seine "Goldene Regel" sind für mich aber fundamentale Überzeugungen, die zur Überwindung von Diskriminierungen aller Art aufrufen. Auch jener von Homosexuellen.

Wie lautet die "Goldene Regel"?
Die Goldene Regel lautet: "Alles, was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch." Ich hänge im Übrigen gar nicht so sehr an dem Wort "Ehe". Mir geht es um Treue und Verlässlichkeit, die zwei Menschen miteinander leben. Auch gleichgeschlechtlich Liebende sollten die Möglichkeit haben, ihrer Liebe einen rechtlich verbindlichen Rahmen geben. Was spricht denn dagegen? Es wertet die Ehe zwischen Mann und doch nicht ab. Treue und Verlässlichkeit: das sind zwei Werte, für die doch gerade Konservative stehen.

Lässt sich Homosexualität mit der Bibel als Sünde bezeichnen?
Ich habe mich mit dieser Frage in der Tat lang beschäftigt. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass man es nicht kann.

Was kann uns die Bibel über Umgang mit den Flüchtlingen sagen?
Dass Flüchtlinge Menschen sind, die zunächst einmal unser Mitgefühl verdienen. Wir müssen diese Menschen würdig und auch warmherzig empfangen, aus welchen Gründen sie auch immer zu uns gekommen sind. An dieser Stelle kommt wieder das Doppelgebot der Liebe ins Spiel: Die Liebe zu Gott ist untrennbar verbunden mit der Liebe zum Nächsten. Wenn diese Verbindung gekappt ist, wird auch die Liebe zu Gott hohl.

Versündigen sich Menschen an der Bibel, wenn sie Flüchtlingen negativ begegnen?
Das klingt mir zu undifferenziert. Aber nochmals: Die Liebe zu Gott verpflichtet uns, Flüchtlinge gut zu behandeln und offen auf sie zuzugehen. Die meisten, die Vorbehalte gegen Ausländer und Flüchtlinge hegen, haben meiner Erfahrung nach schlicht Angst. Angst, die sich bekämpfen lässt, wenn man den persönlichen Kontakt sucht. Dann werden aus abstrakten Zahlen plötzlich menschliche Schicksale. Im Übrigen bieten auch unsere Kirchen viel Raum, wo sich Einheimische und Flüchtlinge begegnen können. Dieses Engagement von Pfarrern und vielen Ehrenamtlichen berührt mich.

Dennoch werden nicht alle in Deutschland bleiben können.
Nein, sicher nicht. Damit schneller geklärt wird, ob Menschen hier bleiben können oder nicht, müssen die Asylverfahren beschleunigt werden. Bei manchen Ländern wie etwa Syrien ist es ohnehin klar, dass sie hier aufgenommen werden müssen. Bei anderen Ländern haben Asylsuchende derzeit kaum Chancen, anerkannt zu werden. Es ist auch in ihrem Interesse, dass ihre Anträge schnell bearbeitet werden und sie keinen falschen Hoffnungen aufsitzen. Aber etwas anderes ist auch klar.

Was?
Wenn der Leidensdruck in Afrika oder auch im Nahen Osten derart hoch bleibt, werden die Menschen weiter zu uns kommen. Wir werden Europa nicht militärisch vor Flüchtlingen abschirmen können und wir dürfen es auch nicht.

Was kann der Westen tun?
Er muss alles daran setzen, dass sich die Lebensgrundlagen in den Fluchtländern verbessern. Er kann dies beeinflussen durch eine faire Handelspolitik, eine aktive Klimapolitik und auch durch eine restriktivere Rüstungsexportpolitik.

Im Jahr 2017 jährt sich die Reformation zum 500. Mal. Welche Thesen würde Martin Luther denn heute an eine Kirchentür nageln?
Luther ging es damals in erster Linie um die Freiheit, die im Christ-Sein liegt. Luther rief die Menschen damals dazu auf, keine Furcht vor Autoritäten zu haben und stattdessen dem eigenen Gewissen zu folgen. Das ist, was wir heute Zivilcourage nennen würden. Luther machte aber auch klar, dass Freiheit nicht mit Rücksichtslosigkeit und Egoismus verwechselt werden darf. Diese inhaltlichen Impulse haben nichts von ihrer Aktualität verloren und glücklicherweise vertreten wir sie heute in großer ökumenischer Gemeinsamkeit.

Würde Luther seine Thesen heute vielleicht gar nicht mehr an eine Kirchentür nageln, sondern stattdessen auf Facebook posten?
Luther wäre sicher auf Facebook, auch wenn er gleichzeitig die Datensammelwut des Unternehmens kritisieren würde. Luther wäre dort, wo die Menschen sind. Nur dort kann man auch für die christliche Botschaft werben.

Das Gespräch führten Falk Zimmermann und Christoph Hägele.