"Die Demokratie braucht uns!": Die Weihnachtsansprache von Frank-Walter Steinmeier
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in seiner traditionellen Weihnachtsansprache die Deutschen daran erinnert, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Lesen Sie hier die Ansprache im Wortlaut.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier steht bei einem Fototermin für seine Weihnachtsansprache vor dem Weihnachtsbaum im Schloss Bellevue. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in seiner Weihnachtsansprache Bürgerinnen und Bürger davor gewarnt, Demokratie als selbstverständlich anzusehen, ohne sich auch persönlich dafür einzusetzen.
Hier die Ansprache von Frank-Walter Steinmeier aus dem Schloss Bellevue im Wortlaut:
"Frohe Weihnachten, liebe Landsleute!
Ich hoffe, Sie sind gut durchs Jahr gekommen und können die Festtage genießen.
Erinnern Sie sich noch? Vor genau zwölf Monaten hatte ich einen Weihnachtswunsch an Sie: "Sprechen Sie auch mal mit Menschen, die anderer Meinung sind."
Ganz viele haben das offenbar über das Jahr getan. Viele haben mir sogar geschrieben und berichtet von Diskussionen und Debatten, die sie bewegt haben in diesem Jahr.
Manche haben erzählt von hitzigen Gesprächen über Wahlen und Wahlergebnisse; über die Zukunft Europas; über den Stand der inneren Einheit, 30 Jahre nach dem Mauerfall; und über Klima, Klimawandel und was man dagegen tun kann - eine Frage, die die Politik tief geprägt hat in diesem Jahr und die möglicherweise auch vor Ihrem Weihnachtsbaum nicht Halt macht.
Mein Eindruck ist: Ja, wir haben tatsächlich in diesem Jahr - landauf, landab - mehr miteinander gesprochen; auch mehr miteinander gestritten. Das sind sehr politische Zeiten, in denen wir leben - und von zu wenig Meinungsfreiheit kann in meinen Augen nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil: so viel Streit war lange nicht.
Die Frage ist nur: Was machen wir jetzt mit all diesem Streit? Wie wird aus Reibung wieder Respekt? Wie wird aus Dauerempörung eine ordentliche Streitkultur? Wie wird aus Gegensätzen Zusammenhalt?
Manche fragen ja vielleicht: Trennt uns inzwischen sogar mehr als uns miteinander verbindet?
Und: Vielleicht erwarten Sie, dass der Bundespräsident in einer Weihnachtsansprache auf all diese Fragen eine salbungsvolle Antwort gibt. Die Wahrheit ist: Das kann der Bundespräsident nicht. Er kann es vor allen Dingen nicht allein. Denn die Antwort geben Sie. Sie alle.
Ein Bild aus diesem Jahr hat sich mir tief eingeprägt. Es ist das Bild einer Tür. Eine mächtige, dicke Tür aus Holz und Eisen. Zwanzig Schüsse hat sie abbekommen. Zerborstenes Holz und Reste von Blei in den Einschusslöchern sind heute zu sehen.
Es ist die Eingangstür der Synagoge in Halle. Und: Es ist ein Wunder, dass sie standgehalten hat. Dass nicht noch mehr Menschen diesem brutalen antisemitischen Anschlag zum Opfer gefallen sind - nicht noch mehr als die zwei, die ermordet worden sind.