Ernie Reinhardt wird 70: Der Mann, der Lilo Wanders ist
Autor: Ulrike Cordes, dpa
, Montag, 22. Sept. 2025
Dieser Star hat mehr als «Wa(h)re Liebe» zu bieten: Mit Charme und Witz engagiert sich Ernie Reinhardt alias Lilo Wanders bis heute für Menschlichkeit. Jetzt ist der Künstler 70 Jahre alt.
Wenn Ernie Reinhardt in seinen Alltagsklamotten durch Hamburgs Straßen läuft, dürfte ihn kaum jemand erkennen. Ganz anders sieht es aus, wenn er zuvor in seine Paraderolle geschlüpft ist und als glamourös frivole Entertainerin Lilo Wanders unterwegs ist. Dann ist das Hallo groß, vor allem auf der Reeperbahn.
Dort hat Reinhardt im von ihm mitgegründeten Schmidt Theater als platinblonder Travestie-Star jahrelang für ausverkaufte Shows gesorgt. Dem Fernsehpublikum ist «die Wanders» vor allem als (S)Expertin der Vox-Sendung «Wa(h)re Liebe» ein Begriff. Zehn Jahre lang - 1994 bis 2004 - plauderte sie entspannt, ehrlich, charmant und frech über Pornofilme, Swingerclubs, erotische Praktiken und vieles mehr. Heute wird Ernie Reinhardt 70 Jahre alt.
Aufbruchstimmung
Und statt Lehnstuhl und Seniorengymnastik konzentriert sich der Schauspieler aufs Packen von Umzugskisten - und plant viele Lesungen im Norden Deutschlands. «Es ist mal wieder ein weiterer Aufbruch», sagt Reinhardt der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg. Der Travestie-Künstler hat gerade seinen Bauernhof im Alten Land (Niedersachsen) vor den Toren der Hansestadt verkauft. Er wirkt dabei gelöst. In den vergangenen Monaten hat er viel geschafft, sich mit sich selbst und seinem Leben auseinandergesetzt.
Bereits am 17. September stellte Reinhardt - homosexuell, dennoch seit 1985 in offener Ehe mit seiner Frau Brigitte lebend und Vater von drei erwachsenen Kindern - in Hamburg seine Autobiografie «Waren Sie nicht mal Lilo Wanders?» (Goldmann Verlag) vor. Viele Medientermine stehen an. Seinen Geburtstag feiert er groß bei einer Gala in Frankfurt (Oder). «Das hätte ich auch mal nicht gedacht, dass mein Leben noch mal so an Fahrt aufnimmt», sagt Ernie Reinhardt lachend.
Aus der Provinz ins Scheinwerferlicht
Und wie geht es ihm bei alledem? «Es klären sich gerade so viele Dinge. Ich bin permanent unterwegs», sagte er kurz vor seinem 70. Geburtstag. Dazu passt, dass der Künstler auch ein neues Bühnensolo fast fertig hat.
So nach und nach wolle er sich allerdings, dem Alter geschuldet, wohl doch zurückziehen, merkt er an. In seinen angenehm unprätentiös und spürbar offen geschriebenen Memoiren – und auch im Gespräch - erlebt man Reinhardt als hochsensiblen, überraschend schüchternen und sich oft nicht geliebt fühlenden Menschen. Der nach einer von Todesfällen, emotionaler Kälte im Elternhaus und Armut beschatteten Mittelstands-Jugend den Weg zur Diva fand.
Wobei ihm die Bewusstwerdung, ein schwuler Junge zu sein, in der Lüneburger Heide nicht gerade leichter fiel. «Ich habe irgendwann entdeckt, wenn ich jemand anderes bin, kann ich "ich“ sein. Deshalb der Wunsch, zur Bühne zu gehen», erklärt der in Celle geborene und zumeist im heutigen Bad Fallingbostel aufgewachsene Künstler der dpa. «Und ich weiß auch, was Depression und grundlegende Einsamkeit heißt, immer wieder. Aber dann tritt das mir anerzogene Pflichtgefühl hinzu - das Dem-nicht-nachgeben-dürfen.»