Für die einen ist Ceta der Türöffner zum kanadischen Markt, für die anderen ein Einfallstor für risikobehaftete Lebensmittel und rücksichtslose Investoren. Am 27. Oktober wollen Kanada, die EU und alle Mitgliedstaaten das umstrittene Freihandelsabkommen mit seiner Unterzeichnung besiegeln - wenn der Bundesregierung nicht das Bundesverfassungsgericht in den Arm fällt. Für Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) steht am Mittwoch und Donnerstag in Karlsruhe einiges auf dem Spiel.

Was ist Ceta?
Ceta ist die Abkürzung für das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada. Es steht für "Comprehensive Economic and Trade Agreement" (Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen). Die technischen Verhandlungen begannen 2009, beendet wurden sie 2014. Am 27. Oktober soll Ceta unterzeichnet werden. Ziel des Abkommens ist es, durch den Wegfall von Zöllen und "nichttarifären" Handelsbeschränkungen wie unterschiedlichen Standards und Normen das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.

Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums ist die EU für Kanada nach den USA der zweitwichtigste Handelspartner. Ceta gilt auch als Blaupause für das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP), das den weltgrößten Wirtschaftsraum mit rund 800 Millionen Verbrauchern schaffen würde. Kritiker sehen durch beide Abkommen unter anderem demokratische Grundprinzipien ausgehöhlt.

Worum geht es?
Um zu verhindern, dass Deutschland Ceta mit auf den Weg bringt, haben die Gegner des Abkommens insgesamt vier Verfassungsbeschwerden eingereicht. Außerdem gibt es eine Organklage der Linksfraktion im Bundestag gegen die Bundesregierung. Alle fünf Klagen (Az. 2 BvR 1368/16 u.a.) sind verbunden mit Eilanträgen: Denn in Teilen soll Ceta noch vor der Zustimmung des Deutschen Bundestags und der anderen Parlamente in Kraft treten - die Zeit drängt also. Für diesen Mittwoch hat das Verfassungsgericht kurzfristig zur Verhandlung geladen. Der straffe Zeitplan sieht vor, dass die Richter am Abend beraten und am Donnerstagvormittag ihre Entscheidung verkünden.

Was genau entscheiden die Verfassungsrichter?
Erst einmal geht es nur um die Frage, ob die Bundesregierung der Unterzeichnung und vorläufigen Anwendung von Ceta am 18. Oktober im EU-Ministerrat zustimmen darf. Die Kläger wollen erreichen, dass das Gericht den deutschen Vertreter auf ein Nein verpflichtet. Es wird noch nicht im Detail geprüft, ob die Verfassungsbeschwerden Aussicht auf Erfolg haben. Der Zweite Senat unter Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle nimmt lediglich eine sogenannte Folgenabwägung vor.

Was bedeutet das?
Das Verfassungsgericht kann einschreiten, "wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist". Dabei wägen die Richter ab: Wie viel Schaden richtet es an, wenn bei Ceta Fakten geschaffen werden und später ein Verstoß gegen das Grundgesetz festgestellt wird? Und umgekehrt: Wie schwerwiegend sind die Folgen, wenn Deutschland den Prozess blockiert und sich die verfassungsrechtlichen Bedenken am Ende in Luft auflösen?

Wie könnte also das Urteil aussehen?
Das lässt sich nicht so einfach beantworten, denn im Eilverfahren können die Richter grundsätzlich alles anordnen. Weisen sie die Anträge ab, hat die Bundesregierung erst einmal freie Hand. Die Gegner könnten aber noch auf die spätere Verhandlung über ihre Verfassungsbeschwerden hoffen - es sei denn, das Gericht erklärt sie gleich für unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Hält der Senat ihre Bedenken aber für so schwerwiegend, dass er eine einstweilige Anordnung erlässt, stehen ihm nahezu alle Möglichkeiten offen.

Könnte das Ceta ernsthaft gefährden?
In letzter Konsequenz zumindest empfindlich verzögern. Wenn die Bundesregierung das Abkommen nicht unterzeichnen darf, kann es beim EU-Kanada-Gipfel am 27. Oktober nicht zu einem Abschluss kommen. Deswegen spielt es im Grunde keine Rolle, ob es bei den Beschlüssen zu Ceta im EU-Ministerrat Einstimmigkeit oder - so sieht es der Rat selbst - nur eine qualifizierte Mehrheit braucht. Im schlimmsten Fall müsste die feierliche Unterzeichnung also abgesagt werden.

Was genau bringt die Ceta-Gegner auf die Barrikaden?
Aus ihrer Sicht beschneidet das Abkommen die politischen Mitwirkungsrechte der Bürger und stellt den freien Handel über den Umwelt- und Verbraucherschutz. Auf Verfassungswidrigkeit kann Ceta aber nur in engen Grenzen überprüft werden. Die Richter wollen sich vor allem das vorgesehene Ausschusssystem näher anschauen. Denn der zentrale Ceta-Ausschuss soll eigenmächtig Vertragsänderungen vornehmen dürfen, obwohl Deutschland darin nicht vertreten ist.


Hintergrund: Der Ceta-Zeitplan

Das angestrebte Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (Ceta) geht auf die Zielgerade - zumindest dann, wenn das Bundesverfassungsgericht die deutsche Regierung nicht noch zu Widerstand zwingt. Eine Übersicht über die nächsten Wegmarken:

18. Oktober: Bei einem EU-Ministertreffen in Luxemburg soll auf europäischer Seite endgültig grünes Licht für das Abkommen gegeben werden. Dafür sind mehrere Beschlüsse vorbereitet worden. Einer von ihnen regelt zum Beispiel, welche Teile des Abkommens bereits vor der endgültigen Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten vorläufig angewendet werden dürfen.

27. Oktober: Mit der feierlichen Unterzeichnung des Abkommens könnten die Verhandlungen zwischen der EU und Kanada endgültig enden. Geplant ist dazu ein EU-Kanada-Gipfel in Brüssel.

Nach dem 27. Oktober: Start des Ratifizierungsprozesses. Ceta kann erst dann vollständig in Kraft treten, wenn zuvor die nationalen Parlamente ihre Zustimmung gegeben haben. Das Verfahren dürfte sich mindestens über ein Jahr hinziehen.

Anfang 2017: Abstimmung im EU-Parlament. Wenn die Europaabgeordneten zustimmen, kann das Abkommen danach in großen Teilen vorläufig angewendet werden. Nur diejenigen Teile, die nicht in alleiniger EU-Kompetenz liegen, sind ausgenommen. Ein Beispiel sind Regelungen zu Streitigkeiten zwischen Staaten und Unternehmen.