- Die Benachteiligung in Zahlen
- Vorbilder gibt es in der Familie keine
- Jetzt gibt es 80 Ortsgruppen an Hochschulorten
- Arbeiterkinder sind erfolgreiche Studierende
Wer aus einer Arbeiterfamilie kommt, schafft es seltener in ein Studium an einer Hochschule durchzustarten. Noch seltener als Arbeiterkinder schaffen es nur noch körperlich Behinderte an die Uni. Ein niedriger ökonomischer Status der Eltern ist ein erheblicher Nachteil. Mehr Anstrengungen für Chancengleichheit fordern unisono Forscher und Bildungspolitiker. Mit bescheidenem Erfolg. 6.000 Ehrenamtliche, die sich bei der Initiative ArbeiterKind.de engagieren, haben einen anderen, eher praktischen Zugang zum Problem gewählt.
Die Benachteiligung in Zahlen
Kinder aus Familien mit fehlender akademischer Tradition haben mit vielen Nachteilen im Bildungssystem zu kämpfen. Das belegen die Zahlen, die das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) zusammengetragen hat: Demnach nehmen von 100 Kindern, deren Eltern studiert haben, 79 ein Studium auf. Von 100 Kindern, deren Eltern nicht studiert haben, sind es lediglich 27, die den Sprung an eine Hochschule schaffen. Die Chancen von Akademikerkindern für ein Studium stehen dreimal so gut wie die von Arbeiterkindern.
Warum ist das so? Ein wichtiger Grund ist der finanzielle Hintergrund der Familie. Haben Vater oder Mutter eine Hochschule besucht, dann gehen die Kinder mit einer "beträchtlich besseren Grundlage" ins Studium, so Holger Bargel und Tino Bargel in ihrer Studie "Arbeiterkinder an der Uni: Hürdenlauf zum Akademiker." Zwei Drittel der Studierenden aus Akademikerfamilien können sich bei der Finanzierung des Studiums auf die Eltern verlassen.
Anders sieht das bei den Studierenden aus Arbeiterfamilien aus: Unter den Kindern ungelernter Arbeiter*innen sind gerade mal 15 Prozent in dieser Situation. Hinzu kommt: Die Hilfe der Eltern lässt oft im Zeitverlauf des Studiums nach, deshalb tauchen Geldprobleme verstärkt in der Spätphase auf. "Familien mit geringerem Bildungshintergrund tendieren häufig dazu, die Kosten für höhere Bildung zu überschätzen und Bildungserträge zu unterschätzen, ungeachtet des vielleicht hohen Bildungspotentials ihres Kindes", erläutert Dr. Nancy Kracke, eine der Autorinnen der DZHW-Untersuchung, eine der Ursachen für die Chancenungleichheit.
Vorbilder gibt es in der Familie keine
Ein zweiter Punkt, der Arbeiterkinder vom Studium abhält, sind Ängste und Unsicherheiten, die sich aus der Herkunft ergeben. Und spätestens an diesem Punkt kommt Katja Urbatsch, Gründerin der Organisation ArbeiterKind.de, ins Spiel. "Wenn in der eigenen Familie noch niemand studiert hat, muss man erst einmal auf die Idee kommen, an die Uni zu gehen. Es gibt ja zu Hause niemanden, der ein Vorbild wäre und den man fragen könnte. Im Gegenteil: Manche Eltern reagieren auf einen Studienwunsch mit Unverständnis oder sogar Ablehnung", erläutert Urbatsch gegenüber inFranken.de.
Die Vision von ArbeiterKind.de ist, dass in Deutschland jedes Kind aus einer nichtakademischen Familie mit geeigneter Qualifikation die Chance auf einen Bildungsaufstieg erhält. Deshalb ermutigt die Organisation Schüler*innen aus nichtakademischen Elternhäusern zum Studium und unterstützen sie auf dem Weg bis zum Studienabschluss und in ihren Berufseinstieg.
Die eigene Bildungsgeschichte erzählen und durch das persönliche Beispiel ermutigen – das ist das Erfolgsrezept von ArbeiterKind.de. Tausende ehrenamtliche Mentor*innen engagieren sich bei ArbeiterKind.de in 80 lokalen Gruppen. Infoveranstaltungen in Schulen, offene Treffen, Sprechstunden, ein Infotelefon, ein persönliches Mentoringangebot, die Webseite und ein eigenes soziales Netzwerk bieten leicht zugängliche Anlaufstellen für Ratsuchende. In Franken ist ArbeiterKind.de mit lokalen Gruppen in Bamberg, Bayreuth, Nürnberg-Erlangen, Würzburg und Coburg vertreten. Kontaktmöglichkeiten finden sich auf der Website.
Jetzt gibt es 80 Ortsgruppen an Hochschulorten
Die Gründerin, Katja Urbatsch, ist in ihrer Familie die erste, die einen Hochschulabschluss erworben hat. Sie hatte während ihrer Studienzeit kein akademisches Netzwerk, auf das sie sich hätte stützen können. Trotzdem studierte sie mit Erfolg. Aber die Erfahrung als Arbeiterkind an der Uni, die ließ sie nicht los. Anfänglich wollte Urbatsch nur auf einer Website Tipps für einen erfolgreichen Studienstart für Kinder "der ersten Generation" veröffentlichen.
Die Resonanz war jedoch so überwältigend, dass sie gemeinsam mit ihrem Partner und ihrem Bruder ein Netzwerk aus der Taufe hob, das Unterstützung für Studierwillige aus bildungsfernen Schichten anbietet. Jetzt ist sie Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation ArbeiterKind.de. Aus einer kleinen Idee entstand also ein großes Projekt.
Die Ehrenamtlichen bei ArbeiterKind.de sind zum größten Teil selbst Studierende der ersten Generation und können daher authentisch, verständlich und konkret ihre Erfahrungen an andere weitergeben. Das macht sie als Mentor*innen attraktiv.
Arbeiterkinder sind erfolgreiche Studierende
Trotz vieler Nachteile: Die Leistungen an der Hochschule von Arbeiterkindern sind nicht schlechter als die ihrer Kommilitonen. Auch beim Abbruch des Studiums sind sie nicht häufiger vertreten. Beim Auslandssemester hängen die Chancen aber schon wieder von der Herkunft ab: "Für Akademikerkinder ist ein Auslandsaufenthalt zum Spracherwerb oder zum Studieren nahezu zur Selbstverständlichkeit geworden", für Arbeiterkinder gelte das nicht, sagen die Autoren in ihrer HBS-Studie.
Bis zum Schluss der Ausbildung macht sich also die soziale Herkunft bemerkbar – zudem ebenfalls beim Übergang in den Beruf. Arbeiterkinder machen unsichere Berufsaussichten stärker zu schaffen. Sie können auf weniger Unterstützung aus ihrem sozialen Milieu beim Übergang auf den Arbeitsmarkt hoffen.
Unsicherheit bremst die Studienmotivation und erschwert die Identifikation mit dem Fach. Darum sind Hilfen der Hochschulen (besondere Beratung) beim Übergang in den Beruf nötig. Angesichts der Probleme halten die Autoren der HBS-Studie mehr Anstrengungen für Chancengleichheit an den Hochschulen für nötig. Sie regen analog zum Gender-Mainstreaming ein Social-Mainstreaming an den Unis und Fachhochschulen an.
Fazit - Duales Studium als guter Mittelweg
Ja, ArbeiterKind.de macht eine tolle Arbeit. Schlechte Bildungschancen wegen der Herkunft glaubten wir als überwunden. Dem ist aber nicht so. Für Arbeiterkinder ist es immer noch schwer an Hochschulen. Gut ist, dass die Wirtschaft und Hochschulen einen neuen Weg aufgemacht hat: Mit dem dualen Studium, haben Jugendliche eine Chance, praxisnah erfolgreich im Betrieb zu starten. Berufsausbildung und Studium zu verbinden, das kommt bei Arbeiterkindern gut an. Inzwischen gibt es 122.000 dual Studierende in 2.000 Bildungsgängen.