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Arbeitsmarkt

Zeitarbeit als Sprungbrett oder Sackgasse?

Seit es für die Zeitarbeit Tarifverträge gibt, meinen viele, die Welt sei in Ordnung. Das stimmt aber nicht. Der Ruf ist auch nach 50 Jahren immer noch unverändert schlecht. Berechtigt?
Zeitarbeit ist auf Baustellen weit verbreitet.
Zeitarbeit ist auf Baustellen weit verbreitet. Foto: CC0 / Pixabay / danisampa
  • Eine nicht immer störungsfreie Dreiecksbeziehung
  • Zeitarbeit: Sprungbrett oder Sackgasse?
  • Die Nachteile liegen auf der Hand

Zeitarbeit loben die einen als exzellentes und flexibles Instrument für den Arbeitsmarkt. Andere sehen darin nichts anderes als eine moderne Variante von Sklavenarbeit. Wie auch immer, es lohnt sich einen genauen Blick auf die 816.000 Beschäftigten (2021) zu werfen, die aktuell so ihr Geld verdienen. Die Fakten sind allerdings ziemlich ernüchternd.

Eine nicht immer störungsfreie Dreiecksbeziehung

Egal, wie es benannt ist, ob es unter dem Begriff Leiharbeit, Zeitarbeit, Mitarbeiterüberlassung, Personalleasing oder Temporärarbeit läuft - es handelt sich im immer um Arbeitnehmerüberlassung. Ein Arbeitgeber (in diesem Fall üblicherweise die Firmen der Personaldienstleistung, die als Verleiher handeln) überlässt seine Arbeitnehmer*innen einem anderen Unternehmen für einen begrenzten Zeitraum und natürlich gegen Entgelt.

In dieser Dreiecksbeziehung ist die Zeitarbeitsfirma diejenige, die als Arbeitgeber auftritt. Sie übernimmt die Auszahlung des Gehalts, die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge, ist Ansprechpartner für den Urlaub und für eine Kündigung ist der Personaldienstleister zuständig. Der Verleiher kassiert vom Entleiher einen sog. Verrechnungssatz. Das ist in der Regel etwa das Doppelte des Bruttostundenlohns, den der Leiharbeiter von seinem Verleihunternehmen erhält. Viele Betriebe erkaufen sich damit im Gegenzug ein hohes Maß an Flexibilität. Ist die Entleihfirma mit der Arbeitsleistung unzufrieden, ist der Arbeitseinsatz sofort beendet.

Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), das in diesem Jahr den 50. Geburtstag feiert, regelt in 20 Paragrafen die Überlassung von Arbeitnehmer*innen durch ihren Arbeitgeber (Verleiher) zur Arbeitsleistung an Dritte (Entleiher). Vor 1972 war kommerzielle Leiharbeit verboten. Überwacht wird die professionelle Überlassung durch die Bundesagentur für Arbeit. Sie entscheidet, ob ein Unternehmen diese Art der Tätigkeit ausüben darf. Der Zoll überprüft die Einhaltung der Arbeitsbedingungen vor Ort. Die ursprüngliche Idee war: Fachkräfte sollten Auftragsspitzen in den Betrieben abfangen, Personalengpässe schließen, eine Krankheitsvertretung übernehmen und in der Elternzeit aushelfen. Aus der guten Idee entwickelte sich aber im Laufe der Zeit die Leiharbeit als Teil von immer stärker wachsender prekärer Beschäftigung. Diese ungesicherte Arbeit ist heute fester Bestandteil der Arbeitspolitik, gerade von Industriebetrieben. Sie setzen auf einen dauerhaften Flexibilitäts-Puffer.

Zeitarbeit: Sprungbrett oder Sackgasse?

In den Betrieben übernehmen Leiharbeiter*innen in vielen Fällen nur die einfachen und belastenden Tätigkeiten. Oftmals sind es Arbeiten, die Stammbeschäftigte nicht übernehmen wollen. Die Bundesagentur für Arbeit schreibt in ihrem Bericht zur Entwicklung des Zeitarbeitsmarkts, dass es häufig Tätigkeiten mit einem niedrigen Anforderungsniveau sind, in denen sie beschäftigt werden. Mehr als jede*r Zweite übt eine Helfertätigkeit aus. Das spiegelt sich bei der Entlohnung wider: Der Anteil, der im Niedriglohnbereich steckt, ist bei Leiharbeiter*innen dreimal so hoch wie bei Stammkräften.

Lange Zeit pflegten die Protagonisten der Zeitarbeit das Märchen vom sogenannten Klebeffekt. Bekommt der oder die Arbeitslose erst einmal einen Job durch die Zeitarbeitsfirma, dann lernt der Betrieb die arbeitende Person genauer kennen und schätzen. Schließlich klappt dann die Übernahme in das Normalarbeitsverhältnis. So die Theorie, die sich in der Praxis aber nur selten bestätigt: Die Untersuchung des Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung hat ermittelt, dass nur etwa sieben Prozent diesen Sprung schaffen. Die Übernahme kommt in Kleinbetrieben etwas häufiger vor als in großen. Die Zahlen des RWI bestätigt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer jüngeren Untersuchung. Frauen zeigen deutlich weniger Interesse an Zeitarbeitsfirmen. Von den 816.000 Zeitarbeitnehmer*innen waren 71 Prozent männlich. Ganz offensichtlich: Frauen meiden diesen Teil des Arbeitsmarktes.

Üblicherweise sind die Arbeitseinsätze in den Betrieben von kurzer Dauer. Im Durchschnitt bestehen sie drei Monate. Bei Leiharbeiter*innen mit Hochschulabschluss ist dieser Wert mit fünf Monaten etwas länger. Angesichts dieser kurzen Zeiten ist klar, Leiharbeitende kommen für die begehrten Jobs im Betrieb oder den betriebsinternen Aufstieg nicht infrage. In der Tendenz haben Leiharbeiter*innen längere Arbeitswege (wechselnde Einsatzorte) und das Verhältnis zwischen Leiharbeitenden und Festangestellten ist oft nicht gut, besonders dann, wenn das Unternehmen beide Gruppen auch noch gegeneinander ausspielt. Viele der Standards von Normalarbeit gelten eben nicht für Leiharbeitende. 

Die Nachteile liegen auf der Hand

Alle drei Monate eine neue Firma - ist das erstrebenswert? Für viele nicht. Als Leiharbeiter*in kommst du nicht so richtig an im Berufsleben. Klar, Ferienjobs kann jede*r aushalten. Aber auf Dauer? Die mit der Zeitarbeit verbundene Ungewissheit nagt am Nervenkostüm. Sicherheit gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen, insbesondere der Generation Z. Und das Gefühl, "ich gehöre nicht dazu", halten viele nicht aus.

Positiv zu bewerten ist, dass sich die Arbeitsbedingungen von Stammkräften und Zeitarbeitnehmer*innen angenähert haben. Inzwischen gelten für sie die gleichen Rechte beim Arbeitsschutz, Urlaubsanspruch sowie Kündigungsschutz wie für Festangestellte und zumindest ab dem 9. Monat der gleiche Lohn (Equal Pay). Seit 2004 sind Leiharbeiter*innen in einen branchenüblichen Tarifvertrag eingebunden, seit 2019 gilt in jedem Fall der Mindestlohn auch bei nicht tarifgebundenen Personaldienstleistern und Leiharbeitende sind inzwischen in Zeiten ohne Arbeitsplatz vom Verleiher weiterzubezahlen.

Im neuen Tarifvertrag für die Branche, der seit 1. Oktober 2022 gilt und zwischen den DGB-Gewerkschaften und der Zeitarbeitgeberverbände BAP und iGZ abgeschlossen ist, ist der tarifliche Mindestlohn auf 12,43 Euro in der Entgeltgruppe 1 festgeschrieben. In der Entgeltgruppe 2a steigt der Lohn auf 12,63 Euro, die Entgeltgruppe 2b ist auf 12,93  Euro angewachsen. Die Branche reagiert damit auf die Erhöhung des allgemeinen Mindestlohns auf 12 Euro; einen Tick besser wollte sie immer sein. In der Entgeltgruppe 1 steigt der Lohn zum 1. April 2023 auf 13 Euro und zum 1. Januar 2024 dann auf 13,50 Euro. In der Lohngruppe 2a erhöht sich die Entlohnung auf 13,20 Euro (1. April 2023) und dann auf 13,80 Euro (1. Januar 2024). Die Entgeltgruppe 2b steigt zum 1. April 2023 auf 13,50 Euro und am 1. Januar 2024 auf 14,15 Euro. 

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Fazit

Die Frage, ob Zeitarbeit ein Sprungbrett oder eine Sackgasse ist, machte eine differenzierte Antwort notwendig. Wenn es ausschließlich darum geht, eine Arbeit zu finden, egal welche, selbst wenn sie mit dem häufigen Wechsel des Beschäftigungsbetriebs verbunden ist und wenn es beim Entgelt nicht darauf ankommt, kaum mehr als den Mindestlohn zu erhalten - dann ist man bei Zeitarbeitsfirmen an der richtigen Adresse. Geht es dagegen um anspruchsvolle Jobs, um die vollwertige Integration in den Betrieb und um eine vernünftige Bezahlung, dann ist die Zeitarbeit eher eine Sackgasse.