Das "Fäkaliendrama" des Werner Schwab, "Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos" provoziert noch immer. Die erbarmungslose Weltsicht fasziniert, irritiert - und ist saukomisch. In Nürnberg ist das viel gespielte Stück wieder einmal zu sehen.
Da kriechen sie aus der Schaumgummimauer wie Homunculi oder besser Frankenstein'sche Monster in der Schreckenswelt des Werner Schwab: grelle Karikaturen, abstoßend, ekelhaft, kaum einmal Mitleid erregend, eine Horrorshow.
Und ungemein komisch. Wenn man den Humor in der Radikalkomödie des am Neujahrstag 1994 mit über vier Promille im Blut tot aufgefundenen Autors erträgt. Man liebt diesen einstigen Popstar des deutschen Theaterbetriebs entweder oder kann nichts mit ihm anfangen. Wer die Sprache des viel gespielten Fäkaldramas "Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos" aushält, wird den schrillen Wahnwitz des Stücks goutieren und sich, ja, prächtig amüsieren.
Denn die Schwab'sche Weltsicht ist eine Weltsicht, die man haben kann. Von nichts kommt in den Künsten nichts, und klar hat der Punk-Autor Vorbilder: Antonin Artaud, Alfred Jarry, ein vom Kopf auf die Füße gestellter Kroetz, die Blut- und Fäkalienkünstler des bösen Wien der Sechziger. Was diesen früh verstorbenen Brachialschriftsteller einzigartig macht, ist das "Schwabisch", eine substantivreiche, verdrehte Sprache mit Formulierungen wie "Man trinkt sich hinein in ein Verständnis" oder "Am liebsten habe ich schon immer gehasst".
Klar ist in die "Volksvernichtung" viel Autobiografisches geflossen. Regisseurin Schirin Khodadadian setzt auch klare Signale, denn Herrmann, der "Krüppelwurm", der sich zu Beginn keuchend betrinkt und besabbert, sieht dem Schwab ähnlich, sehr ähnlich. Oder auch dem Henry Spencer aus David Lynchs "Eraserhead", des Avantgarde-Horror-Kultfilms aus den Siebzigern. Das Leben - ein Alptraum könnte als Motto beider gelten, des Films wie des Dramas.
Ein prächtig aufspielendes Ensemble lockt den Zuschauer in die Kleinbürgerhöllen der "Volksvernichtung". Da ist Herrmann (Daniel Scholz), mit seiner frömmelnden Mutter (Elke Wollmann) in einer Hass-Liebe-Beziehung symbiotisch verbunden. Da ist die Familie Kovacic. Vater (Thomas Nummer), Mutter (Julia Bartolome) und die Töchter Desiree (Josephine Köhler) und Bianca (Louisa von Spies) nur scheinbar harmonierend, in Wirklichkeit geil, grausam, habgierig. Und da ist Frau Grollfeuer (ganz großartig Karin Nennemann), die Oberschichtsdame, die den Pöbel hasst und schließlich vernichtet. Der trotzdem wiederaufersteht, auf dass das Leid von vorn beginne.
Günter Hellweg hat mit seinen Schaumgummigebirgen eine kluge Lösung fürs Mehrfamilienhaus gefunden. Am Ende liegen alle über- und aufeinander: "Visionen ... Utopien ... nichts als Vorformen von Alkoholismus." Starker Beifall für eine dem Stück angemessene krachende Inszenierung und ein tolles Ensemble.
Weitere Aufführungen 18., 21. April, 7., 18., 23. Mai, 19., 29. Juni, 3. Juli. Karten unter
www.staatstheater-nuernberg.de.