Der "Reichsbürger" von Georgensgmünd: Im Mai fing es mit der Kfz-Steuer an

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Ein Polizist geht am 19.10.2016 in Georgensgmünd (Bayern) vor einem Haus entlang, in dem ein 49-Jähriger Angehöriger der Reichsbürger-Bewegung am Morgen bei einer Razzia vier Polizisten durch Schüsse zum Teil schwer verletzt hatte. Er hatte laut dem bayerischen Innenminister Hermann 30 Waffen. Foto: Nicolas Armer/dpa
Ein Polizist geht am 19.10.2016 in Georgensgmünd (Bayern) vor einem Haus entlang, in dem ein 49-Jähriger Angehöriger der Reichsbürger-Bewegung am Morgen bei einer Razzia vier Polizisten durch Schüsse zum Teil schwer verletzt hatte. Er hatte laut dem bayerischen Innenminister Hermann 30 Waffen. Foto: Nicolas Armer/dpa

Ein "Reichsbürger" schießt in Franken auf Polizisten. Es ist der blutige Höhepunkt eines seit Monaten andauernden Katz-und-Maus-Spiels mit den Behörden.

Die zwei verschnörkelten Löwen auf weißem Grund zieren den Briefkopf und die Haustür des Schützen. Dasselbe seltsame Wappen weht im Garten vor dem Haus am Fahnenmast im Wind. Es sind die einzigen sichtbaren Zeichen des selbsternannten Reichsbürgers Wolfgang P., der am Mittwoch in der frühen Morgenstunden in seinem Haus das Feuer auf vier Polizisten eröffnet hat.

Vorher sei der Mann nicht sonderlich aufgefallen, so erzählt man sich rund um den Tatort, vor dem jetzt unzählige Einsatzfahrzeuge der Polizei parken. Ein Polizist wurde durch drei Schüsse schwer verletzt und schwebte noch am Mittwochabend nach einer Notoperation in Lebensgefahr. Ein weiteres Mitglied der Spezialkräfte erlitt einen Durchschuss am Oberarm.

Link: "Reichsbürger" schießt auf Polizisten und verletzt sie schwer
Mit Blaulicht und Sirenen war das Sondereinsatzkommando vor dem Haus mit dem seltsamen Wappen in der Früh vorgefahren. Die Beamten wollten durch die Sirenen sicherstellen, dass Wolfgang P. weiß, was ihm blüht. Aufgemacht hat er trotzdem nicht. Mit Helm und Schutzweste sind die Spezialkräfte in den ersten Stock vorgedrungen, nachdem sie die Haustüre gewaltsam geöffnet haben.

Durch eine verschlossene Tür hindurch eröffnete Wolfgang P. plötzlich das Feuer. Die Beamten schossen zurück. Zwei Polizisten wurden bei dem Schusswechsel getroffen - einer davon schwer. Der andere erleidet einen Durchschuss am Oberarm. Der Schütze bleibt unverletzt und wird nach der Festnahme zur Vernehmung nach Schwabach gebracht.

Am Donnerstag soll ein Richter über den vorläufigen Haftbefehl entscheiden. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann versuchten Mord vor.


Fantasie der Reichsbürger

Fünf Stunden später hält Landrat Herbert Eckstein (SPD) in Roth ein seltsames Schreiben in den Händen. Darauf sind stolz zwei Raubkatzen auf weißem Grund zu sehen. Der Landrat erzählt, dass er sich gleich gewundert habe, dass ein Bürger ihm höchstpersönlich in einer Verwaltungssache schreibt. Der Inhalt habe ihn nicht weniger überrascht.

Hintergrund: Wie gefährlich sind "Reichsbürger"?
In holprigen Zeilen distanziert sich der selbsternannte Reichsbürger vom Bundesbürger. Im Abfalleimer, so schreibt er, habe er einen Brief des Landratsamtes an einen gewissen Wolfgang P. entdeckt. Nach dieser Einleitung versucht er darzulegen, dass er der "autorisierte Repräsentant, nicht aber die Person" Wolfgang P. sei.
Faktisch sei die Argumentation der Reichsbürger reiner Humbug, sagt dazu Markus Schäfer vom Bayerischen Verfassungsschutz. Zwar werde versucht, die kruden Thesen teilweise historisch oder juristisch zu belegen. Wie die selbstgebastelten Wappen dürften die meisten Argumente bei Licht betrachtet der reinen Fantasie entspringen.

Was den Mann so radikalisiert und ideologisch verblendet hat, ist noch unklar. Haben den ehemaligen Betreiber einer Kampfsportschule finanzielle Sorgen oder private Nöte geplagt? Von der Fantasie bis zur Realität ist es bei Wolfgang P. jedenfalls nur ein kurzer Weg gewesen. Nur fünf Monate liegen zwischen den fatalen Schüssen und dem Beginn der zunehmenden Entfremdung zwischen Bürger und Staat.


Im Mai fing es an: Er wollte die Kfz-Steuer nicht zahlen

Im Mai hat das Katz-und-Maus-Spiel mit den Behörden angefangen. Am Anfang ging es um die Kfz-Steuer. Die will der "Reichsbürger" nicht bezahlen und schickt die Vertreter des - aus seiner Sicht - illegitimen Rechtsnachfolgers "des niemals untergegangenen Deutschen Reiches" mit ihren Behördenschreiben und Mahnbriefen regelmäßig nach Hause.

Durch sein Verhalten werden die Behörden hellhörig. Das Landratsamt schickt seine Mitarbeiter nun auch zu ihm, um die 30 Lang- und Kurzwaffen zu kontrollieren, die sich rechtmäßig in seinem Besitz befinden. Wieder verweigert der "Reichsbürger" den Behörden den Zutritt. Im Landratsamt Roth schwant den Mitarbeitern Böses. Das Landratsamt bittet die Polizei um Amtshilfe. Sofort werden Spezialkräfte geschickt. Offensichtlich will der Staat sich nicht länger an der Nase herumführen lassen. Mit einem Schlag soll der Bürger die offenen Rechnungen an den Staat, den er selbst nicht anerkennt, begleichen - ob er will oder nicht.

Fünf Stunden nach den Schüssen, die eine Diskussion über die Gefahr der selbsternannten Reichsbürger ausgelöst haben, kündigt Innenminister Joachim Herrmann (CSU) eine härtere Gangart bei einer eilig anberaumten Pressekonferenz im Landratsamt Roth an.


Herrmann kündigt Kontrollen an

Der Verfassungsschutz werde "alles, was an Reichsbürgern unterwegs ist in Bayern, noch schärfer in den Blick nehmen" müssen, sagt Herrmann. Die "Umtriebe der Reichsbürger" werde man noch stärker ins Visier nehmen. Gleichzeitig wollte Herrmann nicht alle Reichsbürger über einen Kamm scheren. Nicht alle würden keine Steuern zahlen. Manche würden sich sogar rechtskonform verhalten. Die Bewegung sei "heterogen". Alle "Reichsbürger", die Waffen besitzen, dürfen sich nach den Worten des Innenministers nicht wundern, wenn demnächst die Behörden an der Tür klingen.

Wie am Abend bekannt wurde, will Herrmann sogar allen Anhängern der Gruppierung den Waffenbesitz untersagen. "Wer die deutsche Rechtsordnung ablehnt, der bietet keine Gewähr, ordnungsgemäß mit Waffen umzugehen", erklärte der Innenminister.

In Georgensgmünd fragen sich derweil die Menschen, warum der Mann die Schüsse auf die Beamten abgeben konnte. Der mittelfränkische Polizeipräsident, Johann Rast, bezeichnet das Vorgehen der Spezialkräfte als "professionell und zweckmäßig". Dass der Reichsbürger durch die verschlossene Tür auf die Beamten feuert, damit hätten die Beamten wohl nicht rechnen können. Beim Bäcker und beim Metzger diskutieren die Leute, warum sich ausgerechnet in ihrer idyllischen Ortschaft jemand für die Reichsbürger interessiert.

Bei den meisten weht im Vorgarten der fränkische Rechen im Wind. Manche hissen auch die Fahne ihres Lieblingsvereins. An neuen Wappen im Wind sind sie bislang achtlos vorbeigegangen. Das wird sich mit den Schüssen ändern.