Das Lernentwicklungsgespräch tritt an manchen Grundschulen im Landkreis Kronach an die Stelle des Zwischenzeugnisses. Wir sprechen mit Schulleitern und Schulamt, was sie von der vieldiskutierten Neuerung halten.
Du findest Dich im Schulalltag gut zurecht? Du bist freundlich und höflich? Du passt im Unterricht auf? Das sind nur drei Punkte aus einem üppigen Fragenkatalog. Den gehen die Lehrer der Grundschule Teuschnitz mit ihren Schülern bis zur dritten Klasse durch. Eine halbe Stunde ist pro Kind geplant. Und bei diesen Gesprächen sind die Eltern dabei. So bleiben sie auf dem Laufenden, denn das klassische Zwischenzeugnis als Wegweiser auf der schulischen Reise ihrer Kinder werden sie heuer nicht mehr bekommen.
Keine Noten mehr, nur noch Worte? Das soll funktionieren? Rektorin Kerstin Zapf von der Grundschule Teuschnitz glaubt fest daran. "Das ist für uns eine Chance", ist sie überzeugt. Da an ihrer Einrichtung die Inklusion und die "flexible Grundschule" Schwerpunkte bilden, ist sie dankbar für eine individuellere Beurteilungsmöglichkeit als die sechs Notenstufen. Und dass sich die Kinder im Gespräch selbst einschätzen sollen, komme den Zielsetzungen des Lehrplans sogar entgegen.
Zahlreiche Fragen zu verschiedenen Themen wie Sozial-, Lern- und Arbeitsverhalten werden die Lehrer mit den Schülern und Eltern durchgehen. Dann wird das jeweilige Verhalten mit den neuen Kriterien "fast immer", "oft", "teilweise" oder "zu wenig" festgehalten. Stopp! Diese Vorgabe aus einem Musterschreiben stimmt so für Teuschnitz nicht ganz. Da in diesen Gesprächen die Würdigung der Lernentwicklung und des Leistungsstandes aufgezeigt werden soll, hielten die Teuschnitzer Lehrer die Bezeichnung "zu wenig" für unangebracht. "Die Würdigung muss sich auch in den Formulierungen widerspiegeln", betont die Schulleiterin. Darum stehe in Teuschnitz auf dem Fragebogen "mit Hilfe". Das verdeutliche dem Kind, dass es diese Leistung irgendwann auch selbstständig schaffen werde.
Dem Schulprofil angepasst Solche Details zeigten zum einen, dass die Teuschnitzer Lehrer mit Herzblut an die Aufgabe herangegangen sind, den Fragebogen auszuarbeiten. Zum anderen bewiesen sie, dass das Lernentwicklungsgespräch keine starre Vorgabe sei, sondern die Inhalte an das Schulprofil angepasst werden könnten. Die Fragen selbst begännen jeweils mit einem "Du" und seien durchwegs positiv und für die Kinder verständlich formuliert. Am Ende stehe dann eine gemeinsame Zielvereinbarung. Darin gehe es darum, wie sich das Kind weiterentwickeln will, und was Lehrer und Eltern dazu beitragen können.
Doch nicht nur für den Nachwuchs, sondern auch für die Eltern soll das neue Konzept transparent und flexibel sein. Den Fragebogen haben sie vorab schon zum Durchlesen bekommen, für das Gespräch konnten sie aus mehreren Zeitfenstern zwischen 23. Januar und 10. Februar wählen - früh, nachmittags und am frühen Abend. "Diese flexiblen Möglichkeiten haben sicher dazu beigetragen, dass die Eltern so aufgeschlossen sind", freut sich Kerstin Zapf über die positive Resonanz.
Für das neue Angebot und die Vorarbeiten musste die Lehrerschaft natürlich auch Freizeit opfern. Doch da haben alle an einem Strang gezogen und die Chance gesehen, wie Zapf betont. An einer kleineren Schule sei das vielleicht leichter zu koordinieren als an einer großen, spekuliert sie.
Am Samstag in die Schule Eine These, die an Anita Neder weitergereicht wird. Die Rektorin der Kronacher Lucas-Cranach-Grundschule winkt aber ab. Sie spricht von einer guten Teamarbeit ihrer Lehrer und davon, dass diese selbst die Terminvorschläge reibungslos mit den Eltern abgeklärt haben. Von daher sorge höchstens eine größere Schülerzahl in einer Klasse für einen etwas höheren Planungsaufwand, so Neder.
Zum Teil kämen die Lehrer für die Gespräche sogar am Samstag in die Schule. "Da hat man den Kopf vielleicht freier als direkt nach dem Unterricht", kann sie ihre Kollegen verstehen, die diese Mehrbelastung am Wochenende in Kauf nehmen.
Arbeitsintensiv sei auch an der Kronacher Schule das Erstellen des Fragebogens gewesen, der in mehreren Besprechungen von den Lehrern überarbeitet und auf die Lucas-Cranach-Schule zugeschnitten worden sei. "Das war eine Heidenaufgabe", lobt sie das Lehrerteam für sein Engagement.
Die gute Vorbereitung sei auch ein Grund dafür, warum die Eltern dem Thema aufgeschlossen gegenüberstehen. Bis auf wenige Ausnahmen, die ein Zwischenzeugnis haben möchten, hätten sich die Eltern der Erst- und Zweitklässler für das neue Beurteilungsmodell ausgesprochen. Lediglich eine Ausweitung auf die dritten Klassen sei abgelehnt worden.
Ein guter Ansatz Auch Neder selbst sieht das Lernentwicklungsgespräch als einen guten Ansatz. "In diesen Gesprächen steht das Kind im Mittelpunkt. Es wird richtig mit ins Boot geholt - das finde ich sehr gut", sagt sie. Die gemeinsame Zielvorgabe für Lehrer, Eltern und Schüler zum Schluss hält sie ebenfalls für richtig. Die Unterschrift darunter gebe dem Ganzen zudem "einen gewissen Stellenwert". Dabei verweist sie auf die im Zuge der Pisa-Studie gelobten Schulen in Skandinavien. Dort gebe es solche Zielsetzungen schon länger. Bei späteren Gesprächen würden die Unterlagen wieder auf den Tisch gebracht und die Abmachungen überprüft.
In Kronach wird im Sommer das Lernentwicklungsgespräch selbst auf den Prüfstand kommen. Dann soll reflektiert werden, wie das Konzept greift und ob es 2015/16 erneut zum Tragen kommt.
Schulamtsdirektor sieht zeitgemäßeres Konzept Sieben flexible Grundschulen für 2015/2016, schon jetzt drei mit Ganztagsangebot, zwei Inklusionsschulen, zwei Mottoschulen, sieben Umweltschulen. "Das ist enorm. Wir haben gute Grundschulen im Landkreis. Die sind innovativ", freut sich Schulamtsdirektor Uwe Dörfer über die Aufgeschlossenheit der heimischen Bildungseinrichtungen und ihrer Lehrer. Mit zwölf von 16 Grundschulen, die das Lernentwicklungsgespräch heuer anbieten, sei nun ein weiteres Zeichen gesetzt worden.
Diese Form der Zwischenbewertung hält Dörfer für zeitgemäßer als das Zwischenzeugnis. "Der Schüler ist bemüht", zitiert der Schulamtsdirektor einen altbekannten Zeugnissatz. "Was heißt das eigentlich? Da lässt sich viel reininterpretieren." In einem Gespräch und an den ganz konkreten Aussagen im Fragebogen lasse sich so etwas viel verständlicher aufschlüsseln. Dadurch würden der Unterricht und die Leistungen des Schülers transparenter.
Noten sind kein Tabuthema Gleichzeitig lasse man jedoch den Eltern die Möglichkeiten, auch die Noten anzusprechen oder gar ein Zwischenzeugnis zu verlangen, wenn sie partout kein Gespräch wünschten. Und in der dritten Klasse seien die "Zahlennoten" ohnehin auf dem Bewertungsbogen vorhanden. Mit Blick auf den neuen Lehrplan profitieren nach Dörfers Meinung alle Seiten vom Lernentwicklungsgespräch. Die Schüler und Lehrer, weil darin festgehalten ist, dass die Kinder wichtige Kompetenzen wie Selbsteinschätzung, Argumentation oder Eigenverantwortung ausprägen sollen; die Eltern und Schulen, weil ihr Zusammenwirken vertieft werden soll.
Dass Ziele beschlossen werden sollen, sieht Dörfer nicht als zusätzlichen Druck auf die Schüler. Dabei geht es nämlich um einfache Vorgaben, die aber überprüft werden sollen. Als Beispiele nennt er: Mehr Kopfrechnen üben oder Wörter besser kontrollieren. "Meistens gibt es ein Ziel aus dem Verhaltensbereich und ein fachliches Ziel", stellt er fest. Doch das sei eine individuelle Sache.
Die Jahreszeugnisse und das Übertrittszeugnis werden durch das neue Konzept nicht tangiert. "Das Zwischenzeugnis ist in dem Sinne kein Dokument. Die Jahreszeugnisse aber bleiben, wie sie sind", erklärt Dörfer. In einer leistungsorientierten Gesellschaft brauche es Noten. Andernfalls müsste man das Schulsystem insgesamt ändern.