Druckartikel: Knellendorfer war 73 Tage lang auf dem Jakobsweg

Knellendorfer war 73 Tage lang auf dem Jakobsweg


Autor: Sonny Adam

Knellendorf, Sonntag, 09. Februar 2014

Genau 73 Tage lang war der Knellendorfer Helmut Böhnlein (56) unterwegs - immer auf dem Jakobsweg. Von Knellendorf aus lief er bis nach Santiago de Compostela und schwärmt von diesem anstrengenden Erlebnis.
In lateinischer Sprache bekundet die Urkunde, dass Helmut Böhnlein den Jakobsweg komplett erwandert hat - von Knellendorf bis Santiago de Compostela in Galizien in Spanien. Fotos: Sonja Adam (1), Helmut Böhnlein (2)


Helmut Böhnlein ist nicht "super-christlich", er hat keine Krise und er möchte auch kein neues Leben anfangen - und doch hat es ihn gereizt, sich auf den Jakobsweg zu begeben. Einfach so, aus Neugier, aus Abenteuerlust. Doch während andere den Weg in Etappen zurücklegen (manche brauchen ihr ganzes Leben dafür), wollte Helmut Böhnlein den Weg nach Santiago de Compostela von Knellendorf aus in einem Zuge machen. "Ich bin kein Wanderer, ich spiele halt Fußball. Aber ich bin auch schon Marathon gelaufen", erzählt Böhnlein.

Mit einem acht Kilo schweren Rucksack auf dem Rücken marschierte er los. "Ich habe vom Schwager meiner Schwester vor zwei Jahren auf einem Fest vom Jakobsweg erfahren und schon damals habe ich gesagt, dass ich mir das auch vorstellen könnte", erzählt Helmut Böhnlein.

Doch er hat Familie, eine Frau, einen Job, zwei Kinder.

Und immerhin sind es bis Santiago de Compostela 2800 Kilometer. Dann ergab sich eine glückliche Fügung: Als Beamter im mittleren Dienst bei der Telekom konnte er frühzeitig in den Ruhestand gehen. Und mit 56 Jahren fühlte sich Böhnlein jung und fit genug, um sich diesem Abenteuer zu stellen.

Ohne besonderes Training machte er sich auf den Weg. "Ich bin auf dem fränkischen Jakobsweg gestartet Richtung Lichtenfels und Bamberg, dann weiter über Nürnberg Richtung Bodensee", erzählt Böhnlein. Seine Frau Sigrid (54) wollte zu Hause die Stellung halten und die kleine Landwirtschaft versorgen. Sie bewies in der Zeit, dass sie auch alleine mit allem fertig werden kann. Und die Kinder Johannes (29) und Julia (26) sind auch aus dem Gröbsten raus - und gaben den Papa frei.

"Nein, ich wollte ihm das nicht ausreden. Ich finde es gut, dass er sich das getraut hat", sagt seine Frau Sigrid lachend, ist aber dennoch froh, dass ihr Mann wieder wohlbehalten zurückgekehrt ist. "Es war klar, dass ich von zu Hause starte und dass ich diesen Weg alleine gehe", erzählt Böhnlein. Und seine Frau wollte auch von Anfang an nicht mitgehen.

Am Schlimmsten waren die ersten Tage. Denn Helmut Böhnlein wanderte wirklich von früh bis abends. Schon nach dem ersten Tag hatte er Blasen und versuchte sich zu helfen, doch er tat genau das Falsche. Alle Wundauflagen nützten nichts. Dann kam er in einer Unterkunft unter, in der es kein Abendessen gab. Alles kleine Rückschläge, die existenziell für einen Pilger sind.

"An Tag vier war ich fast soweit, dass ich alles abgebrochen hätte", erzählt Böhnlein. Er hatte sich verlaufen, die Füße taten weh, er hatte Blasen. Doch dann traf er andere Pilger und schließlich wurde alles gut - und je weiter sich Helmut Böhnlein von zu Hause entfernte, desto leichter ging alles. Bei der Herbergssuche stellte sich eine gewisse Routine ein. "Schon in Konstanz am Bodensee habe ich dann zwei Kilo Gepäck zurückgeschickt", erzählt der Pilger. Er hat wirklich nur noch das Nötigste mitgenommen. Hemden, Unterhemden, Unterhosen, Trekkinghosen, Socken. "Ich habe jeden Tag gewaschen, alles über Nacht getrocknet und habe dann alles wieder eingepackt", schildert Böhnlein seine Reise.


Zwei Paar Schuhe verschlissen

Und die weiteren Wochen konzentrierte sich Helmut Böhnlein nur auf sich und auf seine Füße. Er pflegte und cremte, er legte Verbände und Kompressen an. Nach den ersten Tagen verwendete er auch Sonnenschutz. All diese Kleinigkeiten wurden auf seiner weiten Wanderreise Richtung Süden lebenswichtig. Zwei Paar Turnschuhe hat er auf der 2800 Kilometer langen Strecke verschlissen. Ein echtes Abenteuer.

Auf dem Weg nach Santiago kam Helmut Böhnlein durch die Schweiz und durch Frankreich und Spanien. "Ich habe unterwegs mehr Frauen als Männer getroffen. Die meisten laufen alleine", erzählt Böhnlein. Abends in der Unterkunft hat man Kontakt, aber am nächsten Morgen geht man wieder getrennte Wege. Jeder bleibt für sich. "Wichtig für mich war es, dass ich telefonieren konnte" erzählt Böhnlein. Denn jeden Morgen, jeden Mittag und abends auch mal länger hat er sich zu Hause gemeldet und hat sich auf dem Laufenden gehalten.

Besonders viel los auf dem Jakobsweg ist in Spanien. "Die Pilger sind ein besonderer Menschenschlag", sagt Böhnlein. Da er sich selbst nicht aus religiösen Gründen aufgemacht hatte, sondern aus Abenteuerlust und Interesse an der Landschaft und am Weg, scheute sich Böhnlein davor, die Pilgermuschel um den Hals zu tragen. Er betrieb Understatement - und heftete sich einen kleinen Jakobsmuschelpin an den Hut. "In Deutschland bin ich kaum in privaten Unterkünften untergekommen, in der Schweiz musste man auch vorher buchen. Aber in Frankreich und in Spanien ist alles ganz anders. Dort ist es auch günstiger", erzählt Helmut Böhnlein. "Anfangs habe ich gedacht, mit fünfzig Euro am Tag komme ich hin, aber in Deutschland und in der Schweiz wäre das unmöglich gewesen", sagt Böhnlein.


Täglich mehr als 50 Kilometer

"Was mich am Jakobsweg so fasziniert hat, ist die Tatsache, dass sich hinter jedem Hügel eine andere Landschaft aufgetan hat", berichtet der Pilger. Zielstrebig verfolgte er sein Ziel. Unterwegs hat er vom kleinen Sohn seines Cousins eine Nachricht bekommen, der auch in Santiago war.

Und schließlich kam Helmut Böhnlein in Santiago an - nach nur 73 Tagen. Jeden Tag hat er mehr als fünfzig Kilometer zu Fuß zurück gelegt, das ist jeden Tag mehr als ein Marathon - und das über zweieinhalb Monate. Eine Höchstleistung. "Ich bin einfach bis abends gelaufen. Ich habe manchmal länger gebraucht als die anderen", erzählt Böhnlein.

Doch als er dann am Ende seines Ziels angekommen war, war erst einmal alle Kraft aufgebraucht. "In Santiago, muss ich sagen, fühlte ich mich sehr einsam", gibt der Pilger zu. Er hatte auch nicht mehr die Kraft, noch weiter zu gehen. Er schloss sich dem Pilgerteam an. "Jeden Tag um 12 Uhr ist dort eine Pilgermesse. Das war irgendwie wichtig für mich", erzählt Böhnlein - und natürlich hat er auch die Jakobsstatue in der Kathedrale umarmt wie alle anderen Pilger auch. Überhaupt habe Santiago de Compostela einen besonderen Reiz.

Auf dem Weg hat Böhnlein mehr als 2000 Fotos gemacht und heute zeigt er stolz seinen Pilgerausweis mit all den Jakobswegstempeln, die beweisen, dass Helmut Böhnlein wirklich jeden Kilometer zu Fuß gelaufen ist.
"Was ich von der Reise mitgenommen habe ist, dass dieser Zeitgeist, alles immer größer zu machen und zu zentralisieren, Gift für die Bevölkerung ist. Ich habe unterwegs so kleine Ortschaften gesehen, wo sich jeder engagiert hat. Das geht nur im Kleinen", sagt Böhnlein.


Fußballer empfangen ihn

Nie vergessen wird der Knellendorfer auch seine Rückkehr nach Hause. Denn dort empfing ihn der ganze Ort und vor allem seine Fußballer. Helmut Böhnlein kam acht Kilo leichter, aber innerlich reicher an. Und nie wird er den 3. Juli vergessen. Um 15.45 Uhr hat er die Jakobsstatue umarmt und war am Ziel seines Weges. Auch innerlich fühlt sich Helmut Böhnlein bereichert.

Und eins ist sicher: Noch einmal möchte Böhnlein, obwohl alles herrlich war, den Jakobsweg nicht absolvieren. Aber seien Frau Sigrid hat Lust auf einige Landstriche bekommen. Und vielleicht findet ja der nächste Urlaub irgendwo zwischen Knellendorf und Santiago de Compostela statt.