Hochwasserschutz: Eine Herausforderung für die Kommunen
Autor: Marco Meißner
LKR Kronach, Freitag, 08. August 2014
Die Kommunen müssen bei ihren Planungen die möglichen Folgen eines hundertjährlichen Hochwassers berücksichtigen. Das schränkt die Bautätigkeiten ein.
So mancher heimischen Kommune steht das Wasser finanziell bis zum Hals. Eine neue gesetzliche Vorgabe - oft nur mit dem Stichwort "HQ 100" benannt - soll nach den Erfahrungen an der Elbe dafür sorgen, dass den Städten und Gemeinden bei einem hundertjährlichen Hochwasser nicht auch noch das wirkliche Nass bis über beide Ohren steigt. Doch aus Sicht der Kommunen klingt diese Vorgabe nach Land unter, was die gemeindliche Weiterentwicklung betrifft.
Georg Köstner von der Kronacher Stadtverwaltung erinnert sich, im Frühjahr 2013 erstmals von der Neuerung gehört zu haben. Für die Drei-Flüsse-Stadt Kronach heißt HQ 100 aus seiner Sicht: Aller schlechten Dinge sind drei, denn sowohl die Kronach als auch die Haßlach und die Rodach sind als Flüsse zweiter Kategorie davon betroffen.
Von diesen Auswirkungen sind nicht nur die Städte und Gemeinden, sondern auch Firmen und Privatleute betroffen. Alleine schon deshalb rechnet Köstner mit Widerständen, wenn bis 2018 das Verfahren für die festgesetzten Überschwemmungsgebiete mitsamt Bürgerbeteiligung durchgeführt wird. Die Krux ist nämlich, dass Köstner zufolge weder eine Bagatellgrenze bei den Bauvorhaben noch ein Regressanspruch für die betroffenen Grundstückseigner vorgesehen ist. Einzig die Lage des Grundstücks ist also maßgeblich dafür, ob man auf der Verliererseite landet.
Ein Haken an der Pool-Lösung
"Gerade Private können auf ihren Grundstücken kaum Ausgleich schaffen", zeigt er Verständnis für die Sorgen der Bürger. Und dass die Gemeinden bei Bedarf Flächen, zum Beispiel aus einem eigenen Pool, zur Verfügung stellen, hält er für wenig praktikabel. Dann müsste nämlich die Kommune in Vorleistung gehen, ohne zu wissen, ob in absehbarer Zeit überhaupt eine entsprechende Nachfrage besteht - ganz abzusehen von möglichen großflächigen Eingriffen in die Natur.
Sinnvoll wäre seiner Ansicht nach eher die Schaffung von Rückhaltebecken. Doch die benötigen viele Jahre Planungszeit und wären für alle betroffenen Flüsse erforderlich. Ob sich das alles für ein (vielleicht) einmal in 100 Jahren auftretendes Ereignis rechnet? Köstner hat zumindest Zweifel.
Eine Kommune, die mit ihrer engen Tallage im Einzugsbereich der Wilden Rodach in der Zwickmühle steckt, ist Wallenfels. Bürgermeister Jens Korn (CSU) betont, den Hochwasserschutz durchaus für sinnvoll zu halten, doch dürfe er nicht die Entwicklung einer ganzen Kommune zum Erliegen bringen.
Es gibt kaum Optionen
Baulich gebe es in Wallenfels kaum Optionen. Eine der wenigen Flächen mit Baulücken liege im Fallenholz. Korns Blick wandert über eine Übersichtskarte der Stadt. Dann zeigt sein Finger auf die besagte Stelle, die dunkelblau eingefärbt ist. "Dort haben wir ein wenig Luft, aber das liegt ja komplett im Überschwemmungsgebiet."
Korn erinnert an die letzten beiden großen Eingriffe an der Wilden Rodach bei Wallenfels in den Jahren 1912 und 1933. In der Stadt lebten die Menschen seit jeher mit dem Thema "Hochwasser", stellt der Bürgermeister fest. Seit diesen Schutzmaßnahmen sei den Einheimischen als größtes Hochwasserereignis eine Überschwemmung aus dem Jahr 1967 im Gedächtnis. "Damals gab es Schäden von 250 000 Mark." Selbst wenn man diese Summe auf heutige Verhältnisse umrechnen würden, wäre man seiner Ansicht nach noch weit von zehn Millionen Euro entfernt. Das würden aber die vom Wasserwirtschaftsamt angeregten Schutzmaßnahmen kosten. Hier müsse man auch einmal nach der Verhältnismäßigkeit fragen.
"Das allergrößte Problem ist aus meiner Sicht aber das massive Entwicklungshindernis", unterstreicht Korn mit einem Blick auf den beinahe komplett mit Hochwasser überzeichneten Stadtbereich auf der Karte. "Wenn man sich das vor Augen führt - das ist purer Wahnsinn!"
Darum drängt auch Korn darauf, dass Erleichterungen kommen müssen: "Das Problem Hochwasser ist ein massives Problem. Trotzdem muss alles in einem realistischen, durchführbaren Rahmen ablaufen, der auch noch eine Entwicklung für Wallenfels ermöglicht."
Ein Rechenexempel
Georg Köstner erklärt, wie ein Retentionsraum, also ein Ausgleich für eine Baumaßnahme, berechnet wird. Würde zum Beispiel ein leeres Grundstück im Gefahrenbereich auf 1000 Quadratmetern Fläche bebaut werden, dann würde die so genannte Kubatur nach dem vermutlichen Wasserstand bei einem Hochwasser an dieser Stelle berechnet werden. Sollte dieser zum Beispiel 0,5 Meter betragen, wären 500 Kubikmeter Retentionsraum (ein Kubikmeter fasst 1000 Liter Wasser) erforderlich. Dieser müsste gegebenenfalls abgegraben werden.
Der Landtagsabgeordnete Jürgen Baumgärtner (CSU) hat einen Antrag vorbereitet, um den Kommunen und Betroffenen bessere Gegebenheiten bei der Umsetzung der HQ 100-Vorgaben zu verschaffen. Wie uns sein Abgeordnetenbüro auf Anfrage mitteilte, wurde bereits ein Schreiben an den Landtag vorformuliert, das gegebenenfalls weiter an den Bund gehen soll. In dem Schreiben fahre der Abgeordnete das Thema auf verschiedenen Ebenen, da es sehr komplex sei, viele Bereiche miteinander verzahnt seien und auch Lösungsansätze benötigt würden, die nicht vor Landkreisgrenzen Halt machten.
Bagatellgrenze angeregt
Der Antrag sieht vor, dass eine Bagatellgrenze eingeführt werden soll. Dadurch könnte beispielsweise verhindert werden, dass ein Privater für den Anbau eines Wintergartens Ausgleichsflächen und unter Umständen sogar noch ein teueres Gutachten vorweisen muss. Die Bagatellgrenze soll sich am prozentualen Anteil des Neubaus am Gesamtgrundstück orientieren. Weiter geht es in dem Schriftstück darum, Förderquellen zu finden, die den Kommunen den Ankauf von Ausgleichsflächen für Pool-Lösungen erleichtert. Auch über Möglichkeiten des Aufstauens, was den Einflussbereich eines Hochwassers verändert, wird nachgedacht. Generell hält es der Abgeordnete für sinnvoll, die zuständigen Behörden in die Lage zu versetzen, kreisübergreifend nach Lösungen zu suchen. Wie uns MdL Jürgen Baumgärtner weiter mitteilt, ist das Thema eigentlich auf Bundesebene angesiedelt. Dort will sich speziell MdB Emmi Zeulner (CSU) dafür einsetzen, die Situation für die Betroffenen zu verbessern.
David Müller vom Landratsamt kennt die schwierige Situation, die durch das Wasserhaushaltsgesetz Bürger, Firmen und Kommunen trifft. "Es tut mir leid für die Leute, die irgendwo ein Grundstück im Überflutungsbereich haben", räumt er ein, dass diese Personen zunächst einmal vor einem Problem stehen. Doch er gibt auch zu bedenken, dass es sich hier keineswegs um ein Gesetz für den Selbstzweck handele. "Das Wasser muss halt irgendwo hin, sonst bedanken sich spätestens die Leute in Köln, wenn wir hier alles zubauen."
Der Paragraf 78 des Wasserhaushaltsgesetzes, der die Ausweisung neuer Baugebiete und das Errichten neuer Bauwerke im Überflutungsbereich eines 100-jährlichen Hochwassers verbietet, sei kein Grund, gleich den Kopf in den Sand zu stecken. Zum einen habe die Politik erkannt, dass Nachbesserungen gefordert werden, und mache mobil. Zum anderen gebe es auch Ausnahmeregelungen.
24 Ausnahmen wurden bisher beim Landratsamt beantragt, 16 davon bearbeitet - und alle genehmigt. Dabei gibt es laut Müller kein Hintertürchen, sondern in allen Fällen wurde der erforderliche Retentionsraum (Ausgleichsraum) nachgewiesen. Dieser stelle in der Regel das größere der beiden Hindernisse auf dem Weg zu einer Ausnahmegenehmigung dar. Die zweite Vorgabe sei, dass ein Bauvorhaben im Hochwasserbereich keinen negativen Einfluss auf den Hochwasserschutz haben dürfe. "Es darf zum Beispiel nicht den Abfluss stauen oder den Rückfluss verhindern", erklärt der Fachmann. Beim Schaffen von Retentionsraum gelten seiner Aussage nach folgende Vorgaben: ortsnah, zeitgleich, wirkungsgleich und oberhalb des Bauvorhabens. Auch für die durch das Bayerische Wassergesetz ermöglichten Pool-Lösungen für Kommunen gelten diese Ansprüche. Deshalb sei hierfür auch nicht mit einem wildem Kahlschlag in der Natur zu rechnen. Damit Pool-Lösungen greifen, müsse man aber erst einmal entsprechende Grundstücke haben oder kaufen. Bebaut werden dürften diese logischerweise auch nicht - Probleme für die Kommunen, vor denen Müller seine Augen nicht verschließt.
Momentan sind die Überschwemmungsgebiete im Kreis Kronach für Rodach, Kronach, Haßlach, Wilde Rodach, Leßbach, Taugwitz und Loquitz "vorläufig gesichert". Ein amtliches Verfahren mit Beteiligung der Öffentlichkeit soll spätestens nach fünf Jahren zur "amtlichen Festsetzung in Form einer Verordnung" führen. Doch bereits bis dahin wollen Landratsamt und Wasserwirtschaftsamt "als gute Partner" den Betroffenen zur Seite stehen - auch schon im Vorfeld eines Bauantrags. Die Bauanträge werden im Landratsamt zudem automatisch auf den Hochwasserschutz hin überprüft. Bei möglichen Problemen sucht die Behörde dann Kontakt zum Antragsteller.