Heinz Karschunke und seine Familie zogen 1945 mit einem Treck von Schlesien nach Hirschfeld. Zurzeit denkt er häufiger an damals zurück.
Hirschfeld Heinz Karschunke verlor vor 70 Jahren seine Heimat. Obwohl er damals nur fünf Jahre alt war, kann er sich an manches in seinem Geburtsort erinnern. Und er gesteht, angesichts der aktuellen Flüchtlingsströme erinnere er sich an das Jahr 1945. Der 75-Jährige sitzt am Tisch. Er hat eine Landkarte ausgebreitet und zeigt den Fluchtweg nach Oberfranken. Dieser ging über Weisswasser, Richtung Westen. In Torgau an der Elbe, wo sich wenige Wochen später Amerikaner und Russen begegneten, wurde der Treck Richtung Süden dirigiert. 45 Tage war er zusammen mit seiner Familie im Treck unterwegs.
Geboren wurde Heinz Karschunke in Wiesau/Schlesien. Heute heißt die rund 600 Einwohner zählende Gemeinde Radwanice. Gut kann sich der Rentner noch an sein Elternhaus mit der kleinen Scheune, an die kleine Landwirtschaft mit den drei Kühen erinnern. Es gab ein Schloss, ein Rittergut, einen Schneider, Hausschlächter, Flachshändler, etc. Es war ein ruhiges, beschauliches Leben.
Räumungsbefehl
Noch Anfang Februar 1945, so Karschunke, sei die Meldung verbreitet worden, dass der Russe zurückgeschlagen worden sei. Die Menschen hatten Hoffnung. In diesen Tagen war Wiesau voll von Militär und Menschen gewesen, die auf der Flucht waren. Aber es war ein Irrtum. In Wiesau selbst bekam die Bevölkerung schließlich am 9. Februar gegen 2.30 Uhr den Räumungsbefehl. Die folgenden Wochen sollten eine Odyssee werden, bis die Karschunkes in Steinbach ankamen. Gestartet waren sie mit ein paar Betten, ein paar Kleidungsstücken und das, was sie auf dem Leib trugen. Sie schlossen sich einen Treck an. Die Menschen waren per Fuß, vereinzelt mit dem Fahrrad, mit Pferdegespannen und mit der Bahn unterwegs. Der Hirschfelder berichtet von Chaos, von Menschen, die zusammenbrachen. Von Verstorbenen, die am Wegesrand lagen. Von der heranrückenden Front und der Angst von den Russen. Und eines ist ihm noch in guter Erinnerung, nämlich der Winter mit seiner bitteren Kälte.
Die Verpflegung von Mensch und Tier und die Unterbringung seien täglich neue Herausforderungen gewesen. "Wir wussten nie, was wir am Abend essen oder wo wir schlafen!". An Dinge, die heute selbstverständlich sind, wie warme Duschen, fließend Wasser, regelmäßige Mahlzeiten - das sei alles weit weg gewesen.
Beschreibt er die Stimmung, so ist von Verzweiflung, Angst aber auch von Hoffnung die Rede, nämlich dahingehend, dass sie in ein paar Wochen wieder in ihre Heimat zurückgehen könnten. "Meine Mutter hat Marmelade eingegraben, damit wir bei der Rückkehr wieder etwas zu essen haben!"
Auf dem Weg in den Westen wurden auch Kinder geboren, erzählt er. Die Karschunkes zogen über Sachsen und das Vogtland weiter nach Bayern und erreichten am 26. März Hof. Von dort aus wurde ein Teil auf den Landkreis Kronach verteilt. Seine Familie kam nach Hirschfeld. "In diesem Ort waren 90 Flüchtlinge untergebracht!"
"Es gab kein Zurück mehr!"
Die Zwangseinweisungen von Heimatvertriebenen sei für die Bevölkerung schon eine große Belastung gewesen, zumal diese ja selbst wenig Wohnraum hatten und Entbehrungen haben hinnehmen müssen. Die Menschen mussten eng zusammenrücken, nach den heutigen Verhältnissen ist dies nicht mehr vorstellbar.
Seine Familie war bei verschiedenen Bauern und in der alten Schule untergebracht, ehe sie mit dem Neubau ihres eigenen Wohnhauses Anfang der 60er-Jahre endgültig ihr altes Leben hinter sich gelassen hatte. "Es gab kein Zurück mehr!"
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in der Bundesrepublik begann dann der Wegzug vieler Heimatvertriebener aus Hirschfeld, aus Oberfranken. Viele gingen nach Nordrhein-Westfalen, um dort eine neue Existenz zu gründen. Integration sei für ihn nie ein Thema gewesen. Als Kind wurde er schnell akzeptiert, ebenso auch seine Eltern. Heinz Karschunke gefiel es so gut in seiner neuen Heimat, dass er im Steinbacher Ortsteil seine Familie gründete. Ein Erlebnis sei für ihn gewesen, als er im Jahre 1976 zusammen mit seiner Frau und Mutter an die Wurzeln seiner Kindheit zurückging. Er denkt dabei an das stundenlange Warten an der Grenze DDR/Polen. In Wiesau angekommen, machte er sich auf die Spuren seiner Herkunft. "Für meine Mutter waren das Momente voller Emotionen". Nichts Wesentliches hatte sich im Haus verändert, das damals von polnischen Bürgern bewohnt wurde.
"Auch eine Chance"
Obwohl Heinz Karschunke angesichts der aktuellen Meldungen mehr an als die Jahre zuvor an die Vertreibung denkt, meint er, dass die Situation der Heimatvertrieben von damals nicht mit der heutigen vergleichbar sei. Diese kamen damals vom gleichen Kulturkreis. Die heutigen Flüchtlinge haben andere Kulturen, teilweise fremde Wertvorstellungen. Das stelle die Gesellschaft vor ganz andere Integrations anforderungen. Aber es bestehe auch die Chance, dass diese Menschen eine Bereicherung für Deutschland sein könnten.