Für Firmenpleiten kommt jetzt die Stunde der Wahrheit

Der Oktober könnte für viele Unternehmer der Monat der Wahrheit werden. Um Firmen in Zeiten der Corona-Pandemie zu helfen, hatte die Bundesregierung die Insolvenzantragspflicht von März bis Ende September ausgesetzt. Wer zahlungsunfähig war, bekam damit eine Gnadenfrist. Die Idee dahinter: Sollte die Zahlungsunfähigkeit nur durch die Corona-Delle ausgelöst worden sein, würde sie nach Anziehen der Konjunktur wieder ausgeglichen. Für Mainfranken erwarten Experten noch monatelang keinen Anstieg der Firmenpleiten. Wie sieht es in der Region um Kitzingen aus?
Steuer- und Insolvenzanwalt Hans Müller (Wiesentheid) hat tatsächlich festgestellt, dass die Zahl der Insolvenzen deutlich nach unten gegangen ist. Müller ist zugleich Gründer und Vorsitzender des Netzwerks Insolvenzanwalt24 e.V. und daher mit anderen Kollegen zu diesem Thema im Austausch.
Wem der Staat helfen konnte und wem nicht
Zum einen hätten die finanziellen Soforthilfen des Staates vielen Selbstständigen geholfen. Zum anderen habe das Kurzarbeitergeld verhindert, dass Arbeitnehmer wegen der wirtschaftlich schlechten Lage in Corona-Zeiten entlassen wurden. Das werde helfen, wenn die Konjunktur wieder anspringe, ist der Anwalt im Gespräch überzeugt, denn dann stünden die eingearbeiteten Fachkräfte zur Verfügung und müssten nicht erst auf dem Arbeitsmarkt gesucht werden.
Allerdings macht Müller auch klar, wer von der Corona-Pandemie besonders betroffen ist. Am schlimmsten habe es Messe-Organisatoren und Event-Veranstalter getroffen, sagt er. Deren Geschäft sei völlig zum Erliegen gekommen. An zweiter Stelle lägen Hotellerie und Gastronomie. Wo es weniger Veranstaltungen gebe, würden auch die Hotelgäste und Restaurantbesucher ausbleiben. Dazu kämen die Hygieneauflagen, die die Auslastung der Betriebe reduzierten. Die Abstandsflächen in der Gastronomie machten nach Müllers Erfahrungen manches Geschäft unrentabel. Am besten seien die Betriebe dran, die im Sommer Freiflächen nutzen oder Essen zum Mitnehmen liefern konnten, oder solche, die von den Touristen profitieren, die Urlaub daheim machen.
In diesem Zusammenhang kritisiert der Steuerfachmann auch die bis Jahresende befristete Mehrwertsteuer-Reduzierung. Diese Hilfe mit der Gießkanne bringe weder den Kunden noch den Betrieben viel. Im Gegenteil: Die Firmen hätten mit der Umstellung für ein halbes Jahr oft einen hohen Verwaltungsmehraufwand.
"Stattdessen hätte man besser die Branchen unterstützen sollen, in denen es zappenduster ist", spricht sich Müller für eine zielgerichtete und gebündelte Hilfe für die am schlimmsten betroffenen Betriebe aus.
Zu den Branchen, die seiner Erfahrung nach inzwischen ebenfalls unter den Corona-Folgen leiden, zählt Müller das Handwerk und den Bau. Beide Gewerbezweige haben viele Jahre geboomt und kamen den Anfragen oft nicht hinterher. Doch mittlerweile ziehe die öffentliche Hand Aufträge zurück. Wegen fehlender Steuereinnahmen seien immer mehr Kommunen zum Sparen gezwungen und würden daher Bauprojekte aufschieben. Handwerker und Bauunternehmen, die bisher viele Aufträge von Städten und Gemeinden erhielten, spürten diesen Tritt auf die Bremse.
Die aufschiebende Wirkung bei den Insolvenzen sieht Müller ebenfalls skeptisch: "Corona sortiert die aus, die vorher schon Probleme hatten", sagt der Anwalt. Insofern habe die Pandemie manche Entwicklungen beschleunigt, aber nicht immer hervorgerufen. Müllers Überzeugung: "Ein gesunder Betrieb steckt das weg."
Einzelhandel hat auch strukturelle Probleme
An die Existenz geht es durch die Corona-Folgen für manche Einzelhandelsgeschäfte, ist der Anwalt überzeugt. "Den kleinen Einzelhändler trifft es auch, wenn nur wenige Prozent am Umsatz fehlen." Viele hätten sowieso schon durch die wachsende Konkurrenz im Internet zu kämpfen - ein strukturelles Problem. Wenn dann noch die Kunden auf den Einkaufsbummel verzichteten, werde es eng. Aber Müller hat auch für die Verbraucher Verständnis: "Es geht nicht jeder gern mit einer Maske einkaufen."
Manchen Händlern und Gastronomen würde es daher helfen, wenn sie weniger Pacht zahlen müssten. Müller hat auch auf diesem Feld unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Manche Vermieter würden von sich aus eine Pachtminderung anbieten; andere bestünden auf der uneingeschränkten Einhaltung der Verträge und Laufzeiten, auch wenn es das Aus eines Pächters bedeuten könnte. Eine reine Stundung helfe in den wenigsten Fällen weiter.
Mit Blick auf die Insolvenzen sagt Müller aber auch: Nicht jeder gehe sehenden Auges in die Pleite. "Manche Unternehmer melden vorher ihr Gewerbe ab und hören auf, bevor sie zahlungsunfähig werden." Diese Zahl der Geschäftsaufgaben spiegele sich nicht in den Insolvenzen wider. Das gelte auch für verhinderte Neugründungen: Viele Existenzgründer wagten den Schritt in die Selbstständigkeit zurzeit nicht. Sie wollen lieber das Ende der Pandemie abwarten.