Wir hatten nicht berichtet. Und haben etliche Anrufe bekommen. Die Frage lautet, wie lange ein Gedenktag lebendig erhalten werden kann – und in welcher Form. Am 23. Februar 1945 sind große Teile Kitzingens bei einem Luftangriff zerstört worden. Die Stadt gedenkt dem Tag und seinen Opfern seither mit einer Kranzniederlegung und Feierstunde am Neuen Friedhof. In all den Jahren haben wir am 23. Februar Zeitzeugen zu Wort kommen lassen, Bilder der Zerstörung abgedruckt. In diesem Jahr haben wir erst am 24. Februar ein Bild von der Feierstunde mit OB Stefan Güntner abgedruckt. Ein Fehler?
„So ein Tag ist eine Chance“, sagt Ralph Hartner. „Wir können uns bewusst werden, in welchem Land wir leben, in welchem politischen System und darüber, wie es uns geht.“ Der Hauptamtsleiter der Stadt Kitzingen ist seit 21 Jahren bei den Gedenktagen präsent. Am 23. Februar, aber auch am 9. November, dem Tag der Reichspogromnacht, an dem auch in Kitzingen 1938 die Synagoge brannte. „Ich bin jedes Mal ergriffen über die Worte, die bei diesen Gedenkveranstaltungen gesprochen werden“, sagt Hartner und ist sich ganz sicher: Diese Tage wirken gegen die Geschichtsvergessenheit.
Zwischen 50 und 100 Bürger sind in normalen Zeiten vor Ort, alle haben sie irgendeinen Bezug zu den Gedenktagen. „Auch wenn die Zeitzeugen einmal gestorben sind, wirkt das Geschehen in die Familien hinein“, ist Hartner überzeugt. An solchen Tagen merke man, dass die Geschichte nicht irgendwo gespielt hat, sondern mitten drin im Leben der Kitzinger. Magda und Richard Düll waren mittendrin im Bombenhagel. Acht und neun Jahre jung waren sie damals, als sie im Keller Schutz gesucht haben, als sie mit Todesangst auf Bergen von Kartoffeln gelegen waren und ihnen die Lunge bei jedem Einschlag fast zerrissen wäre. „Wir denken immer an dieses Erlebnis“, sagt Richard Düll und wünscht sich: „Das Gedenken darf niemals verloren gehen.“
So sieht es auch Kitzingens Stadtheimatpfleger Dr. Harald Knobling. „Das Erinnern ist nicht zeitlich begrenzt“, meint er. Das ganze Leben bestehe aus Erinnern und mache letztendlich unsere Identität aus. Von 11 bis 11.15 Uhr läuten am 23. Februar alljährlich die Kirchenglocken in Kitzingen. Das „Kriegsläuten“ ist für Dr. Knobling ein wichtiges Symbol, eines, dass ihn immer wieder zum Nachdenken anregt. „Wir leben nun seit 76 Jahren ohne Krieg in Deutschland“, sagt er. Das sei keinesfalls selbstverständlich. Innerhalb von 70 Minuten haben an diesem Tag vor 76 Jahren 700 Menschen ihr Leben verloren. Zudem wurden bei dem Luftangriff 800 Häuser und über 2000 Wohnungen zerstört. In fünf Angriffswellen warfen 174 Bomber rund 2100 Sprengbomben über der Stadt ab.
Es schade nicht, sich dem bewusst zu werden, um nicht wieder die Fehler zu begehen, die vorangegangene Generationen gemacht haben. Das Gedenken an das Leiden sei wichtig. „Wir sollten aber auch das Leid miteinbeziehen, das andere Menschen durch uns Deutsche erfahren haben“, mahnt der ehemalige Kunstlehrer am AKG, der mit seinen Schülern vor drei Jahren einen Koffer als Symbol für die Deportation der Kitzinger Juden gestaltete.
Das Kunstwerk steht im Rosengarten, wo die Juden einst zusammengetrieben wurden, um in Richtung Bahnhof und von dort ins Konzentrationslager verbracht wurden.
Emilia Plomitzer und David Göllner machen in diesem Jahr Abitur am AKG. Sie sind im 21. Jahrhundert geboren worden, der Zweite Weltkrieg ist für sie im wahrsten Sinn des Wortes Geschichte. Trotzdem sagen beide, dass die Erinnerung an den 23. Februar sehr wichtig sei.
„Wir dürfen nicht vergessen, was damals passiert ist“, meint Emilia Plomitzer. In der Regel sei der 23. Februar in der Schule aber ein Tag wie jeder andere. Nur einmal habe ihr Geschichtslehrer vor zwei Jahren Bilder von der Zerstörung in Kitzingen gezeigt, eine ältere Dame habe einen Vortrag gehalten. Das sei ihr in Erinnerung geblieben. Der regionale Aspekt fehlt auch David Göllner. Die Zeit des Nationalsozalismus werde in der Schule sehr ausführlich behandelt. Aber hängen geblieben ist bei ihm vor allem der Besuch des Konzentrationslagers in Dachau in der achten Klasse. „Seither beschäftige ich mich mit dem Thema“, sagt der 17-Jährige, dessen Großeltern noch leben und ihm von der Zeit berichten. „So lange es Zeitzeugen gibt, sollten wir Videoaufzeichnungen von ihren Erzählungen machen“, wünscht er sich. So könne das Gedenken auch ins digitale Zeitalter überführt werden. Anhand von Animationen könnten auch künftige Generationen eine Vorstellung erhalten, was während des Zweiten Weltkrieges und am 23. Februar in Kitzingen passiert ist. „Wir müssen dieses Wissen weitergeben,“, fordert auch Emilia Plomitzer. „Auch unsere Kinder müssen mal aus der Geschichte lernen.“