Nicole Julien-Mann Kronach — Wer hätte gedacht, dass das Publikum im Kulturcafé des Kronacher Struwwelpeter modisch vor Karl Lagerfeld bestehen kann? Der leidet unter himmlischem Modefrust und unter Jesus' nachlässiger Langhaarfrisur. Erst als von oben Mode-Alarmstufe rot ausgerufen wird - Petrus trägt wieder Jogginghosen - ist die Stilikone zum Rückflug bereit. "Furchtbar", blafft Karl der Große gewohnt herablassend.

2019 ist zwar noch nicht lange Vergangenheit, aber schon jetzt sei es das "rumste" Jahr seit langem. Ein Grund für die drei Komödianten vom Totalen Bamberger Cabaret, die Scheinwerfer auf die letzten zwölf Monate zu richten: "Augen zu und nochmal durch" heißt ihr Programm, mit dem sie zeigen, dass sie auch mit heißer Nadel stricken können.

Während die drei auf der Bühne sich ihr Mütchen am Zeitgeschehen kühlen, heizen sie ihrem ausgelassenen Publikum im überfüllten Saal kräftig ein. Für hohe Temperaturen sorgt sonst eher die Erderwärmung. "Da hilft kein Abgashandel, unser Klima ist im Wandel!", schnurren die Kabarettisten zur Melodie des Sommerhits "Senorita". So manches Lachen bleibt im Halse stecken, wenn Georg Koeninger, Michael A. Tomis und Florian Hoffmann Wahnsinn auf Hintersinn treffen lassen, ihren Klamauk mit einer kräftigen Prise Wortwitz würzen, in wechselnde Rollen schlüpfen und ikonische Hits respektlos zu ihren Zwecken umwidmen. Famos auch das Schlagzeugsolo an den Luft-Drums: "Z'dumm, z'dumm, z'dumm dumm, der Trrrottel Trrrrump."

So weit braucht man indes nicht zu blicken um kräftig zu spotten. Der Brexit, eine Daily Soap über den Schlamassel gesprochener Verbrechen beziehungsweise gebrochener Versprechen, mit dem Soundtrack der Beatles und Stones. Bei der Einordnung geschichtsträchtiger Ereignisse leistet TBC bereitwillig Hilfe und stellt Zusammenhänge her, wo keine sind. Etwa zwischen den drei großen Armstrongs Louis, Neil und Lance auf dem Mond. Wer an die Landung der Amerikaner vor 50 Jahren glaubte, der lässt sich vielleicht auch davon überzeugen: Louis Armstrong fuhr dort mit dem Fahrrad hin.

Ribéry und das Goldsteak

Einige Vorfälle aus dem letzten Jahr hätte man beinahe schon vergessen, etwa das "völlig überzogene" Goldsteak von Franck Ribéry. Wie derartige Boulevardmeldungen mit medialem Großaufgebot hochstilisiert werden, exerzieren die drei im Fall des umgefallenen Sackes Reis. Alle kommen zu Wort, der Moderator mit augenklimpernder Betroffenheitsmine und Schweinchen-Schlau-Fragen, die Experten vor Ort mit Hand am Ohr, die profilneurotischen Studiogäste. "Der Sack war kein Unbekannter und ein terroristischer Hintergrund ist nicht ausgeschlossen."

Auf den Punkt bringen es dagegen die Lach- und Sachgeschichten der "Sendung mit der Maut". Die Finten von Verkehrsminister Andy Scheuer dürften nicht nur im Kinderzimmer für ungläubige Heiterkeit sorgen.

Mit mehr Lebensrealität hätte sich auch der Aufreger um die letztjährigen Abi-Mathe-Aufgaben vermeiden lassen. Fallbeispiele bietet das tägliche Leben zuhauf: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Parallelwelten der Bahn, nämlich Anspruch und Wirklichkeit, irgendwann im Unendlichen treffen? Beim öffentlichen Verkehr darf der Berliner Großflughafen nicht fehlen. Das Publikum durfte Bekanntschaft machen mit dem per Preisausschreiben ermittelten ersten Fluggast, Herrn Schmittke, der seit Jahren auf der Baustelle kampiert und auf seinen Moment wartet. Dumm nur, dass er bei Thomas Cook gebucht hat.

Hätten die Frauen das Kommando, wäre so etwas vielleicht nicht passiert, denn "sie berechnen stets, was sie tun!" Dieses Lied singen Merkel, von der Leyen und Kramp-Karrenbauer gemeinsam. Die positive Aussicht: Mit Armeen von Lippenstiften kann man sich Kriege abschminken.

Per Volksbegehren gerettet wurde im letzten Jahr Familie Biene. Mutter Arbeiterin steht kurz vor dem Brumm-out und sehnt sich nach einem Urlaub im Insektenhotel, vor dem hoffentlich keine sechsspurige Ameisenstraße verläuft. Nach dem Abend sind keine Fragen mehr offen. Bis auf eine: "Wenn Hasen ins Gras beißen, müssen sie dann die Löffel abgeben?"