Wenn Fußball die Justiz beschäftigt
Autor: Daniel Ruppert
, Freitag, 16. Oktober 2015
Nach einer Roten Karte oder einem Spielabbruch entscheidet das Sportgericht über die Strafen. Weil ihnen diese zu gering waren, haben zwei Schiedsrichter Strafanzeige erstattet.
Ein Spiel dauert 90 Minuten, wusste der ehemalige Fußball-Bundestrainer Sepp Herberger. Ab und zu gibt es nach der Nachspielzeit und der dritten Halbzeit im Sportheim aber auch eine Verlängerung vor Gericht. Eine Partie aus der Kreisliga 1 ER/PEG beschäftigt - bereits länger als üblich - das Sportgericht in Nürnberg, je ein Spiel aus der A-Klasse 1 und der Kreisklasse 1 könnten sogar ein Fall fürs Strafgericht werden.
Der Fall FC Niederlindach
Schiedsrichter Albin Bauer, der am 6. September in der Begegnung der A-Klasse 1 zwischen dem SC Oberreichenbach und dem FC Niederlindach (4:3) drei Gästespieler mit Rot und zwei mit der Ampelkarte vom Platz geschickt hatte, erstattete bei der Polizei Höchstadt Anzeige gegen fünf Beteiligte.
"Normalerweise interessieren mich die Urteile nicht, aber als ich auf den Spielberichtsbogen im Internet gesehen habe, dass die Akteure nur für eine Partie gesperrt waren, habe ich mich zu diesem Schritt entschlossen", erklärt Bauer, der seit 34 Jahren pfeift.
Obwohl Niederlindach an Oberreichenbachs Kerwa 3:0 vorne lag, wurde die Begegnung hitzig. "Ich habe in der ersten Halbzeit acht Gelbe Karten verteilt, aber da war im Prinzip noch alles in Ordnung", erinnert sich Bauer. Mit seinem Elfmeter-Pfiff in der 68. Minute beim Stand von 1:3 änderte sich das. Der bereits verwarnte FCler bekam für das Foul Gelb-Rot. "Auf dem Weg zum Spieler gab es hinter mir Tumulte. Als ich mich umdrehte, stieß ein Niederlindacher einem Gegenspieler gegen den Oberkörper", erzählt der 60-Jährige, der deshalb erneut den roten Karton zückte.
Dann habe sich FCN-Kapitän Nexhat Zekiri eingeschaltet. "In Richtung SCO-Bank hat er geschrien ,Wie viel habt ihr dem denn bezahlt?'", sagt Bauer, der keine andere Wahl gehabt habe, als den dritten Niederlindacher innerhalb weniger Minuten zum Duschen zu schicken. Ein weiterer Elfer brachte den Ausgleich und als der Referee in der Nachspielzeit zum dritten Mal auf den Punkt im Gästestrafraum zeigte, seien die Sicherungen eines weiteren Spielers durchgebrannt. Sein "Jetzt hast du es endlich geschafft, du arroganter Arsch" brachten den fünften und letzten Platzverweis gegen den FC - für das vorangegangene Foul hatte ein FCler Gelb-Rot gesehen.
In der Tabelle stehen Oberreichenbach und Niederlindach vor dem zehnten Spieltag mit je 23:12 Toren und 19 Punkten friedlich nebeneinander, auf dem Platz ging es vor sechs Wochen aber zur Sache, wie auch Zekiri einräumt. Die Karten habe Bauer aber ungerecht verteilt. "Wir haben für jede Kleinigkeit Gelb bekommen, der SCO hatte Narrenfreiheit", meint der Spielführer. "Beide Teams waren gleich fair oder unfair."
"Nach dem Schlusspfiff wurde ich von einem Niederlindacher obszön beleidigt, habe ihm mit Rücksicht auf meine Sicherheit aber keine Rote Karte gezeigt", meint Bauer. Auch gegen ihn und eine Zuschauerin, die während des Spiels mit Beleidigungen aufgefallen sei, hat Bauer Anzeige erstattet. "Die lachen über solche Strafen und machen es wieder", begründet der Höchstadter seinen Schritt.
Die Beschuldigungen des Referees träfen zu, die Platzverweise - auch seiner - seien gerechtfertigt gewesen, allerdings hätte sich Zekiri mehr Fingerspitzengefühl erwartet. Was nach Schlusspfiff geschehen sei, habe er aber nicht mitbekommen. "Ich habe mich mit Akteuren vom SCO unterhalten, die uns teilweise Recht gegeben haben", sagt der 25-Jährige. "Sie konnten sich trotz Kerwa nicht mal über den Sieg freuen."
Der Fall FSV Erlangen-Bruck II
Auch für Sebastian Diesel, der bei der Partie in der Kreisklasse 1 am 18. September je zwei Platzverweise gegen den ASV Möhrendorf und den FSV Erlangen-Bruck II ausgesprochen hatte, war das Spiel nach 90 Minuten noch nicht vorbei. "Die erste Rote Karte war eine unstrittige Notbremse", erinnert sich der Unparteiische. Später habe es aber Beleidigungen von Betreuern, Beschimpfungen von Zuschauern und nach Abpfiff sogar Bedrohungen von einem Spieler gegeben, gegen den Diesel die Anzeige erstattet hat."Die Sportgerichte urteilen zu milde", findet der 27-Jährige. "Wir müssen uns irgendwie schützen, so kann das nicht weitergehen." Bei einem Kreisliga-Spiel im vergangenen Jahr habe er auf zwei Rote Karten verzichtet, weil es ihm zu heikel war. Schon die Kinder würden bei Spielen von den Eltern zu Fouls angeheizt, kritisiert Diesel.
Der Fall SC Adelsdorf
Keine Anzeige zog der Abbruch des Kreisliga-1-Duells 1. FC Burk gegen SC Adelsdorf nach sich, die Verhandlung zieht sich aber in die Länge. Obwohl der Gäste-Kapitän "nur " Gelb-Rot bekommen hatte und ein anderer Spieler gar nicht verwarnt wurde, sind die SC-Akteure, die laut Schiedsrichter Sedat Özdemir für den Abbruch verantwortlich waren, nach wie vor gesperrt. "Normalerweise wird am zweiten Dienstag nach dem Spiel verhandelt", erklärt Spielleiter Helmut Wölfel. Grund könnten als rassistisch ausgelegte Beschimpfungen gegen Özdemir sein, was Wölfel von sich weist: "Das waren keine rassistischen Beleidigungen, sondern Äußerungen, die unabhängig von der Herkunft des Schiedsrichters gefallen sind. Außerdem war er zu diesem Zeitpunkt bereits in der Kabine."
Die Konsequenzen
Sowohl die Anzeige von Albin Bauer als auch die von Sebastian Diesel sind noch nicht zu den Akten gelegt. Dieses Schicksal dürfte sie in Form einer Einstellung des Verfahrens allerdings bald ereilen, wie ein Polizist vermutet. "Die Erfolgschancen gehen gegen Null. Die Staatsanwaltschaft hat einen Berg voll Arbeit", sagt der Beamte, der nicht namentlich genannt werden will. Selbst wenn die Fälle vor Gericht gingen, drohten den "Übeltätern" nach Paragraf 185 des Strafgesetzbuches - obwohl dieser bei Beleidigungen Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr vorsieht - nur geringfügige Geldstrafen. Walter Moritz ist skeptisch, ob eine private Anzeige die richtige Vorgehensweise ist. "Die Schiedsrichter sollten versuchen, so etwas im Gespräch zu klären", findet der Verbands-Schiedsrichter-Obmann, der das Ganze für ein gesellschaftliches Problem hält. "So wie Polizisten werden auch Schiedsrichter immer häufiger nicht als Respektperson geachtet. Die Hemmschwelle für verbale und körperliche Gewalt sinkt", erklärt der 50-jährige Haßfurter. Ob die Sportgerichte zu milde urteilen, müsse der bayerische Fußball-Verband intern klären.