Umbruch, Freiheit, Reformation
Autor: Simone Bastian
Coburg, Samstag, 08. Juni 2013
Die Lutherdekade bietet 2017 den Anlass für die zweite Landesausstellung in Coburg. Doch es geht um mehr als Religion, sagt Richard Loibl, Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte.
Nach der Landesausstellung ist vor der Landesausstellung: In Schweinfurt ist gerade "Main & Meer" eröffnet worden, 2014 ist Regensburg mit Kaiser Ludwig der Bayer an der Reihe. 2017 wird das Haus der Bayerischen Geschichte (HdBG) wieder eine Landesausstellung in Coburg ausrichten. "Ritter, Bauern, Lutheraner" lautet der Arbeitstitel; Anlass ist die Tatsache, dass sich Martin Luthers Thesenanschlag das 500. Mal jährt. Im Gespräch mit dem Tageblatt gibt Richard Loibl, Direktor des HdBG, einen kleinen Einblick in die Vorbereitung einer solchen Ausstellung.
Herr Loibl, was verbinden Sie mit Coburg?
Richard Loibl: Coburg hat in Franken eine totale Sonderstellung: Coburger sind keine Franken. Außerdem sind sie 1920 in überwältigender Mehrheit zum Freistaat Bayern gekommen. Das war für Bayern eine gute Entscheidung, denn es steigert die bayerische Vielfalt.
Coburg wird auch mit Luther assoziiert, und wir werden 2017 die Landesausstellung zur Luther-Dekade hier haben. Die derzeit laufende Ausstellung "Main & Meer" in Schweinfurt zeigt, dass es in den Landesausstellungen um mehr geht als Geschichte.
Das Historische wird bei der Ausstellung in Coburg schon stark im Vordergrund stehen. Wir wollen aber nicht das gleiche machen, was in Wittenberg oder Berlin ablaufen wird. Die Aktivitäten, die es zum Jahr 1517 in Deutschland geben wird, werden sich stark der Person Luthers zuwenden. Wir wollen die Zeit Luthers betrachten: Wie war es möglich, dass in dieser Zeit eine neue Religion Fuß fassen konnte? Süddeutschland ist dafür eine sehr bedeutsame Region. Ganz wichtig dabei ist der Freiheitsbegriff. Der spielt bei den Reformatoren eine große Rolle, und daneben gibt es die weltliche Freiheit. Beide Begriffe meinen etwas sehr unterschiedliches. Der süddeutsche Freiheitsbegriff interessiert uns bei den nächsten Landesausstellungen immer wieder. Wir haben 2018/19 ein für ganz Bayern wichtiges Jubiläum, nämlich den Freistaat, der seine 100 Jahre feiert und seine erste demokratische Verfassung von 1919. Freistaat - Freiheit - da spielt das ganze eine große Rolle.
Aber da sind 400 Jahre Unterschied!
Ja, aber dieser Freiheitsbegriff wird erstmals manifest in der Reformation. Da gibt es eben die zwei Wurzeln. Die theologische Seite, die berühmten Luther-Schriften, und auf der anderen die weltliche. Die erste Festlegung der weltlichen Freiheit, die Forderung nach Freiheit, passiert in Memmingen. Das gehört ja heute auch zu Bayern. Da stellten die Bauern ihre Artikel auf, die sich auch auf Luther berufen. Was die Bauern nicht wussten und nicht wissen konnten, war, dass Luther die Freiheit ganz anders meint als sie, nämlich als theologische. Die Bauen haben das natürlich praktisch, staatlich, politisch aufgefasst. Beides sind Dinge, die die bayerische Geschichte zutiefst prägen. Auf beide Vorstellungen wird zurückgegriffen, als es darum geht, in Bayern eine Demokratie zu entwickeln. Wir werden natürlich mit der Person Luther starten. Da haben wir in Coburg ja auch diese Ikonen in diesen Lutherzimmern. Aber dann werden wir in die Zeit hineinschauen um 1500 und fragen, wie konnte das sein. Die Zeit um 1500 ist eine Krisenzeit, allenthalben geht durch die Lande der Ruf nach einer Reform an "Leib und Gliedern", damit meint man das Heilige römische Reich deutscher Nation", aber auch die religiöse Situation. Da passiert unheimlich viel, ausgehend von der Person Luther. Dazu kommt der weltliche Bereich, mit Memmingen, aber auch in Franken fasst ja dieser Bauernaufstand Fuß. Das verbindet sich mit der Freiheitsbewegung der Bürger. Man versucht, aus verschiedenen Ansätzen heraus, diese Zeit zu reformieren.
Das schlägt sich auch im Motto nieder?
Ritter, Bauern Lutheraner, das ist jetzt der Arbeitstitel. Meistens bleiben diese Arbeitstitel, manchmal ändern wir sie auch.
Gab es eigentlich eine Konkurrenz für Coburg als Austragungsort? Memmingen hätte ja auch ein Ort für eine solche Landesausstellung sein können.
Ja. Mit der Reformationsgeschichte gab es schon eine Konkurrenz - wichtige Orte in Bayern sind auch Augsburg und Nürnberg. Coburg hat sich durchgesetzt. Oberfranken ist einfach wieder mal dran. Wir haben natürlich auch eine wirtschaftliche Argumentationslinie, weil wir einen Teil der Investitionen wieder erwirtschaften müssen. Die Veste ist ein eingefahrener Ort, und schon bei der Ausstellung 1997 in Coburg haben wir gesehen, dass man hier schön über die 100 000-Besucher-Grenze kommen kann. Das andere ist, dass es passt, wenn man die Zeit darstellen will: Coburg mit den Luther-Aufenthalten, aber auch die Stadt mit ihrer Vermittlerfunktion zwischen Franken, Thüringen, Altbayern, Österreich und Schwaben aufgrund ihrer Lage an einer wichtigen Verkehrsachse. Wir haben in Coburg außerdem tolle Sammlungen, wo man das eine oder andere Stück wieder aufgreifen kann. All das zusammen gibt ein Paket, und das hat dann auch der Minister so gesehen, dass wir zu der Thematik in Coburg eine tolle Ausstellung hinkriegen können.
Wie viel von der Ausstellungskonzeption steht jetzt schon fest?
Wir machen jedes Jahr eine Landesausstellung. Bei uns arbeiten parallel immer drei Teams an einer Ausstellung. Die erste Phase ist, dass man Themen sondiert. Das hat sich für 2017 wegen Luther schnell ergeben. Luther ist als Person interessant, dagegen steht das Klischee des katholischen Bayern, das man bei einer solchen Gelegenheit gut hinterfragen kann. Heraus kommt dann das, was für Bayern typisch ist, nämlich diese Vielfalt. Fünf, sechs Jahre vorher sucht man also die Themen. Manchmal auch früher, wenn man einen Ort hat, den man erst sanieren muss. Das ist hier anders: Kollege Weschenfelder muss die Glassammlung ausräumen, damit wir ausreichend Platz haben. Das haben wir recht gut koordinieren können: Nach der Landesausstellung wird die Glassammlung neu konzipiert, und Klaus Weschenfelder kann dann auch Ausstellungstechnik von uns verwenden.
Wie finden Sie Ihre Ausstellungsorte?
Wir erhalten auch viele Bewerbungen für Landesausstellungen. Man prüft das - mögliche Besucherzahlen, Ausstellungsfläche, Kosten. Das wird vorher geklärt, denn auch die regionalen Partner müssen Geld in die Hand nehmen. Da müssen mehrere 100 000 Euro von Seiten der Partner fließen. Dann erst erfolgt der Entscheid. Dann wird der Vertrag unterschreiben, und dann herrscht erst mal Ruhe. Das Ausstellungsteam, das Coburg machen wird, ist 2014 erst noch mit Ludwig der Bayer in Regensburg an der Reihe. Wenn diese Ausstellung dann steht, greift das Team das nächste Thema. Dann geht es an die Exponatsrecherche, die Konzeptentwicklung. Das Konzept steht dann Mitte 2015.
Welche Partner sind hier dabei?
Coburg, die Landesstiftung, die evangelische Landeskirche, der Freistaat Bayern. Zwischen denen wird der Vertrag geschlossen. Wir werden aber auch am Bundesprogramm zu Luther partizipieren. Dann sucht man wissenschaftliche Partner, Leihgeber, Sponsoren.
Ist auch an eine Zusammenarbeit mit Thüringen und Sachsen-Anhalt gedacht?
Die Aktivitäten der Lutherdekade werden vom Bund gefördert. Da gibt es auch ein touristisches Programm, und da werden wir uns eng verzahnen. Deshalb war es uns wichtig, nicht nur die Person Luthers zu betrachten.
Wissen denn die katholischen Bayern, welche Bedeutung Luther weltweit hat?
Die führenden Leute wissen das. Mir war das auch nicht so klar, was das moderne Bayern ausmacht, und dass die reformatorischen Traditionen stark auf die Verfassung wirken. Das beginnt 1818 mit der Magna Carta des Königreiches, bis zur demokratischen Verfassung 1919. An der Liberalitas Bavariae, der Freizügigkeit, Toleranz, an der hatten die Protestanten einen ganz großen Anteil.
Modernes Bayern - die protestantischen Landstriche waren den katholischen auch bei der Industrialisierung voraus.
Ja, das stimmt. Der altbayerische Bereich war stark agrarisch geprägt, genauso wie weite Teile Unterfrankens. Dass die Evangelischen tüchtiger waren mit ihrem Bürgersinn, ist auch so ein Klischee. Aber Wirtschaft hängt nicht vom Glauben ab, sondern von den Ressourcen. Die führende Industrieregion war der Ruhrpott wegen der Kohlevorkommen und der Schwerindustrie. In Augsburg und Nürnberg gibt es sehr alte Gewerbetraditionen, die da fortgeführt werden. Deshalb sind das die ersten Industriestädte. Ob die Protestanten die Naturwissenschaften intensiver gepflegt haben, muss man genauer anschauen. Die Naturwissenschaften sind auch in den altbayerischen Klöstern gepflegt worden. Insgesamt ist es ein guter Anlass, solche Dinge zu hinterfragen. Außerdem wollen wir schauen, wie der Freiheitsbegriff entsteht und sich weiterentwickelt hat. Wir werden die Klischees hinterfragen - auch die protestantische Fortschrittlichkeit gegenüber der katholischen Beharrung.
Das Gespräch führte
Simone Bastian.