Druckartikel: "Syrien in Coburg": Einmal Hölle und zurück

"Syrien in Coburg": Einmal Hölle und zurück


Autor: Jochen Berger

Coburg, Mittwoch, 10. April 2013

Syrien ist weit weg von Coburg - scheinbar. Zugleich aber ganz nahe - zumindest literarisch. Was haben jene vier syrischen Autoren zu erzählen, die für den Coburger Rückert-Preis nominiert sind? Hier im Blick: Fawwaz Haddad und sein Roman "Gottes blutiger Himmel".
Mit seinem Roman "Gottes blutiger Himmel" ist Fawwaz Haddad für den Coburger Rückert-Preis nominiert. Foto: Verlag


Granaten explodieren, Raketen zerfetzen fliehende Menschen, Panzer walzen Zivilisten und al-Qaida-Terroristen gleichermaßen nieder, der Gestank des Todes hängt in der Luft. Szenen eines Krieges, der längst keinen Unterschied mehr macht zwischen Soldaten und Zivilisten, marodierenden Banden und vermeintlichen Befreiern. Szenen eines Romans, der in den Irak des Sommers 2006 führt.

"Gottes blutiger Himmel" lautet der Titel in deutscher Übersetzung: Sein Verfasser: Fawwaz Haddad. Der syrische Autor, 1947 in Damaskus geboren, ist einer von insgesamt vier Kandidaten, die sich auf der Shortlist für den diesjährigen Coburger Rückert-Preis befinden. Die Geschichte Haddads führt in ein Land, in dem blutiger Terror regiert.

Was tut ein Vater, wenn sein Sohn zum Terroristen wird? Einen solchen Vater macht Haddad zum Ich-Erzähler dieses Romans, der erst vor wenigen Wochen in deutscher Übersetzung erschienen ist.

Beklemmend anschaulich schildert dieser Ich-Erzähler, wie er sich von Syrien aus aufmacht, um - gegen jede Vernunft, gegen jeder Wahrscheinlichkeit - seinen Sohn zu finden, der sich vermeintlich als potenzieller Selbstmordattentäter al-Qaida angeschlossen haben soll.


Blut, Tod und Rache

Wer dieses 352 Seiten dicke Buch liest, begibt sich auf eine Reise des Schreckens. Er begleitet den Ich-Erzähler auf seinen abenteuerlichen Wegen von Damaskus nach Bagdad. Geschildert werden dessen Erlebnisse in einer mehrfach gebrochenen Erzähldramaturgie. "Es ist ein mittelalterliches Gemälde von Hölle und Strafe", sagt der Ich-Erzähler, der inmitten dieser Welt aus Blut, Tod und Rache sein Gedächtnis verloren hat und sich lange dagegen wehrt, sich wieder erinnern zu können oder besser: erinnern zu müssen.

Der Leser begleitet ihn auf dieser Reise zurück zu den verdrängten Erinnerungen: "Der schwarze Fleck war durchstoßen, und ich lebte nicht mehr im Schutz meiner Unwissenheit." Stück für Stück lässt er diese Erinnerungen wieder auftauchen. Erinnernd taucht er immer tiefer ein in ein Land, in dem ein Menschenleben nicht viel wert ist - nur so viel, wie sich mit einer Geisel als Lösegeld erpressen lässt. Der Irak im Jahr 2006 - drei Jahre nach dem Einmarsch der von den USA angeführten alliierten Truppen ist das Land weiter vom Frieden entfernt als je zuvor. Täglich sprengen sich Selbstmordattentäter in die Luft, reißen Zivilisten oder Polizisten, Soldaten oder Kinder wahllos mit in den Tod.

Fawwaz Haddad schildert ein Land im Ausnahmezustand, heillos zerrissen zwischen religiösen Konflikten und verzweifelter Suche nach Normalität, ein Land, in dem zwischen Tätern und Opfern oft schwer zu unterscheiden ist. Gut und Böse lassen sich dort oft kaum auseinander halten. Die Grenzen zwischen Recht und Unrecht zerfließen.


Menschliches Scheitern

Mit schonungsloser Deutlichkeit beschreibt der Autor die Bluttaten, die von Terroristen wie von den Soldaten und Söldnern der Besatzungstruppen verübt werden. Der Roman sei zu verstehen "als eine Erzählung menschlichen Scheiterns und als Abgesang auf jede Ideologie" schreibt der Übersetzer Günther Ort in seinem Nachwort. Orth ist Mitglied der dreiköpfigen Coburger Rückert-Preis-Jury in diesem Jahr.

Fawwaz Haddad zeigt den Krieg im Irak als eine mörderische Auseinandersetzung, die letztlich niemand gewinnen kann. "Schließlich überlebte ich doch, aber ich konnte meine Rückkehr ins Leben nur als eine Rückkehr in den Schrecken begreifen", schreibt denn auch der Ich-Erzähler. Wer die verwickelten Handlungsstränge dieses Romans streng nach den Gesetzmäßigkeiten von Logik und Wahrscheinlichkeit durchleuchten wollte, würde auf Schritt und Tritt Ungereimtheiten finden.


Zeitlos gültig

Aber letztlich geht es Haddad offenkundig nicht um psychologischen Realismus oder subtile Charakterstudien. Die Personen dieses Romans sind um Grunde Stellvertreter - Archetypen, die dazu dienen, den Mechanismen dieses mörderischen Kampfes Gestalt zu geben. Dieser Roman ist - bei aller Drastik der Darsteller - kein dokumentarischer Roman. Denn Fawwaz Haddad geht es immer um die zeitlos gültigen Gesetzmäßigkeiten jenseits des konkreten Beispiels Irak-Krieg. Damit aber ist dieser Roman erhellender als die zahllosen TV-Beiträge, die über den Irak-Krieg gesendet wurden.

Der Coburger Rückert-Preis wird im Jahr 2013 zum dritten Mal verliehen. Er steht in der Tradition des Wahl-Coburgers Friedrich Rückert (1788 bis 1866). Der Preisträger wird zu Rückerts 225. Geburtstag am 16. Mai verkündet und am 21. Juni auf der Veste verliehen.

Shortlist In der engeren Auswahl für den Rückert-Preis stehen vier Autoren auf der sogenannten Shortlist: Samar Yazbek, Rosa Yassin Hassan, Nihad Siris und Fawwaz Haddad.

Fawwaz Haddad, geboren 1947 in Damaskus, studierte Rechtswissenschaft und arbeitete als Apotheker und Kaufmann, ehe er sich ganz dem Schreiben widmete. Von seinen bisher zehn Romanen wurden zwei für den arabischer Booker Preis nominiert. Fawwaz Haddad, der zuvor in Damaskus lebte und arbeitete, flüchtete im Sommer 2012 nach Katar.

Günther Orth, geboren 1963, studierte Islamwissenschaft, Geografie und Soziologie. Nach weiteren Studien und teils langjährigen Aufenthalten in Kairo, Damaskus und dem Jemen promovierte er zur modernen Literatur des Jemen. Orth lebt als Dozent, Dolmetscher und Übersetzer für Arabisch in Berlin. Er ist Mitglied der Jury des Coburger Rückert-Preises.

Buch-Tipp Fawwaz Haddad "Gottes blutiger Himmel", übersetzt von Günther Orth. 352 Seiten, Aufbau Verlag 22,99 € .