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Strick-Guerilla von Gemünda hüllt Baum und Platz in Maschen ein


Autor: Bettina Knauth

Gemünda, Montag, 19. Mai 2014

Die Einhüllung der Dorflinde in Gemünda soll Spenden für die Innenrenovierung der Kirche im Seßlacher Stadtteil einbringen. Verpackungskünstler ist ein Frauenkreis.
Die schick in Strick gehüllte Dorflinde im Seßlacher Stadtteil Gemünda hat sich zu einer ganz besonderen Attraktion verwandelt. Fotos: Bettina Knauth


Die Dorflinde vor der Gemünner Johanneskirche ist allein bereits eine Schönheit. Mit ihrem bunten Gewand wird der Mittelpunkt des Seßlacher Stadtteils seit Sonntag erst richtig zum Hingucker: Die Frauen der Lichtstube haben dem Baum und dem gesamten Dorfplatz mit ihren Handarbeiten ein buntes Kleid verpasst.

Etwa 15 weibliche Mitglieder der Evangelischen Kirchengemeinde Gemünda treffen sich während der Wintermonate alle 14 Tage im Gemeindehaus, um gemeinsam zu handarbeiten. Bärbel Hämmelmann hatte die Idee, diesen alten Brauch wieder zu beleben. Normalerweise werden die Erzeugnisse der Lichtstube in der Adventszeit oder auf Basaren verkauft. Nun griffen die Frauen die Idee des "Urban Knitting" (auch "Guerilla Knitting" genannt, s. Kasten) auf. "Dinge einstricken, das gefiel uns sehr, wir wollten uns darin ausprobieren, um unseren Dorfplatz zu verzieren", reimte Hämmerlein bei der Präsentation der Arbeiten am Sonntag.



Keine Socken, keine Schals

Statt Socken oder Schals entstand Quadratmeter um Quadratmeter an Strick- und Häkelwaren. Nicht nur der Stamm der Linde wurde dick mit Strickwaren eingepackt. Wer genauer hinschaut, findet oben im Baum eine lange Schlange, auf dem Boden einen Korb mit Äpfeln. Lediglich Adam und Eva fehlen bei dieser Anspielung auf die Vertreibung aus dem Paradies. Dafür wurde die Stele hinter dem Baum, die an die Verleihung der Goldmedaille im Wettbewerb "Unser Dorf soll schöner werden" im Jahre 2007 erinnert, als Strickmännchen inklusive Mütze verkleidet.

Gemünner Verpackungskünstler

Pfarrerin Kathrin Neeb verriet, dass die Frauen ursprünglich eine noch spektakulärere Aktion planten: "Wir hatten die Schnapsidee, unsere Kirche einzustricken", berichtete Neeb. "Das Stricken wäre nicht das Problem gewesen, dafür die Statik: Wir wussten nicht, wie wir den Haufen Wolle mit seinem Gewicht am Kirchturm befestigen sollten." Obwohl dieser Plan nicht umzusetzen war, seien die an der Lichtstube Beteiligten bereits "infiziert" gewesen und hätten viel Fantasie und Kreativität entwickelt. "Kunst kommt von Können", fuhr die Pfarrerin fort, "das ist heute nicht zu übersehen". Statt allein zuhause zu sitzen, realisierten die Frauen gemeinschaftlich ihre Ideen.

Aktion kommt der Kirche zugute

Die aufsehenerregende Aktion kommt der Johanneskirche zugute: Weil auch diese innen "dringend ein neues Outfit" braucht, eines aus Farbe, Putz und Kitt, boten die Frauen der Lichtstube den rund 100 Besuchern am Sonntag nicht nur ihre Kunst, sondern auch Kuchen und Kaffee gegen Spenden an.
Glaubt man der Initiatorin, war der Dorfplatz erst der Anfang: "Wir haben auf unseren Aufruf im Amtsblatt hin so viel Wolle bekommen, dass wir noch ein halbes Zimmer voll haben", sagte Bärbel Hämmelmann. Dass es auch kritische Stimmen gab, verhehlte sie nicht: "Manche haben gesagt, dafür hätte ich meine Wolle lieber nicht hergegeben."

Wenn die Aktion mehrheitlich gut ankommt, wollen die Frauen weitermachen. "Auch die Idee mit dem Kirchturm ist ,für mich noch nicht gestorben", fuhr die Gemünnerin fort.

Bänke, Brunnen,Schild: alles steckt in einer Verpackung aus Wolle

Viele Ideen konnten schon jetzt umgesetzt werden: Die Bänke, die rund um die Linde zum Verweilen einladen, wurden bestrickt. Zwischen Baum und Gemeindehaus erstreckt sich ein großes Spinnennetz. Besonders gelungen ist der Dorfbrunnen: Schwengel und Zylinder bekamen eine Woll-Verpackung, den Wassereinlauf zieren zwei Strickfrösche. Zum Schmunzeln regt ein Firmenschild an, dessen Pfosten liebevoll mit Socken gewärmt werden. Und in den Fenstern des Gemeindehauses sind Strickblumen und eine gestrickte Katze auf Mäusejagd der Hingucker. Martin Berwind, der gerade mit seiner Frau Stefanie den Brunnen begutachtete, meinte: "Die Pfarrersleut‘ sind immer für eine Überraschung gut."

Die Lichtstube bringe auch neue Leute zur Gemeinde, berichtete Kathrin Neeb, die sich mit ihrem Mann Andreas die Pfarrstelle teilt. Theoretisch steht der Handarbeits-Treff auch Männern offen: "Auch wer nicht stricken kann, darf gern dazu kommen und sich mit seinen Talenten einbringen", so Neeb.
Die Handarbeiten sollen an Ort und Stelle verbleiben, bis sie unansehnlich werden. Mehr Kunst wird im kommenden Herbst in Gemünda geboten werden: Am 31. Oktober wird der Untermerzbacher Bildhauer Gerd Kanz sein für den Ort geschaffenes Kunstwerk zum Thema "Schöpfung" präsentieren, das er im Rahmen der Kirchenkreis-Aktion "12 W(O)rte" zur Erinnerung an 500 Jahre Reformation gestaltet. Auch Kanz war am Sonntag nach Gemünda gekommen und konnte sich schon mal von der Begeisterungsfähigkeit der Gemünner, selbst für etwas andere Kunstformen, überzeugen.

Urban Knitting Das "GuerillaKnitting" bezeichnet eine Form der Straßenkunst, die 2005 in den USA ihren Ursprung nahm. Die Texanerin Magda Sayeg begann als Erste damit, unfertige Strickereien über Parkuhren, Straßenschilder und Wegpfosten zu stülpen.

Mittlerweile sind diese handwerklichen Verzierungen von Gegenständen im öffentlichen Raum weltweit zu finden, bevorzugt an Bäumen, Wasserleitungen, Statuen und Telefonhäuschen.

In Deutschland tauchten die "gestrickten Graffiti" erstmals 2010 in Frankfurt auf.