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Stenografie, die fast verdrängte Schrift


Autor: Simone Bastian

Coburg, Donnerstag, 18. April 2013

Ohne die schnelle Kurzschrift ging früher nichts. Doch inzwischen muss und will kaum jemand mehr stenografieren lernen.
Korrespondenz per Stenografie: Dieter Burkert, Philologe, Theologe und in Fachkreisen bekannter Kurzschrift-Theoretiker, wuchs in Coburg auf und lebt heute in Dortmund. Seine Briefe verfasst er in Kurzschrift.


Das war früher anders. "Coburg war eine der Pflanzstätten, wo die Stenografie in Deutschland Fuß gefasst hat!", sagt Walter Dorn. "Unseren Verein gibt es seit 1859." Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha (1818 - 1893) schuf eine für damalige Verhältnisse sehr moderne Verfassung. Für zwei Parlamente und die Verwaltung wurden Stenografen gebraucht. Nicht nur dort: "Das war früher Pflicht für Lehrer und Beamte", sagt Walter Dorn.

Wer die Kurzschrift nicht in der Schule lernte, konnte das beim Stenografenverein tun. Drei von diesen Vereinen gibt es noch im Coburger Land, in Coburg, Rödental und Neustadt. Der in Coburg freilich hat seine Kurstätigkeit längst eingestellt, und zu den Kurzschriftwettbewerben fährt niemand mehr. Das war in den 50er Jahren noch anders. "Wir stellten sogar einmal den Vizeweltmeister."

Damals war Walter Dorn zweiter Jugendleiter.

"Wir waren so aktiv, dass sogar in der Stenografenzeitung über uns berichtet wurde." 1953 reiste eine große Gruppe der Coburger Stenografenjugend zum Stenografentag nach Mainz. Einer von ihnen gewann sogar das Deutschlandquiz, Teil des Unterhaltungsprogramms. "Damals gab es kein Fernsehen. Wir haben selbst etwas auf die Beine gestellt", erinnert sich Dorn wehmütig. Er selbst spielte beim Bunten Abend Akkordeon - der Musik gilt nach wie vor die Leidenschaft des 85-Jährigen.

Seit über zehn Jahren ist er der Schriftführer im Stenografenverein, "eigentlich nur kommissarisch", wie er betont. Gelernt hat er die Kurzschrift als 15-Jähriger, weil er wissen wollte, was sich die Lehrer über einzelne Schüler in Steno an die Tafel notierten. Dank seiner Kurzschriftkenntnisse fand Walter Dorn nach dem Zweiten Weltkrieg seine erste Stelle im Büro der Einkaufsgemeinschaft der Spielwarenhändler (Vedes).


Die schnellste und abstrakteste Schrift

Heute ist die Stenografie längst keine Einstellungsvoraussetzung für Kaufleute oder Verwaltungsangestellte mehr. Margot Czapliniski, im Büro des Landrats in Coburg tätig, hat als junge Verwaltungsangestellte extra noch den Sekretärinnenkurs besucht, um sich in Stenografie weiterzubilden. "In den 70er Jahren mussten die Beamtenanwärter noch den Nachweis erbringen", erinnert sie sich. "Aber das war kein hoher Anspruch. Die mussten 80 Silben in der Minute schaffen. Ich hatte 180 bei meiner Sekretärinnen-Prüfung. Dafür muss man die Redeschrift beherrschen."

Stenografie unterteilt sich in die Verkehrs-, Eil- und Redeschrift. Die Redeschrift ist die schnellste und abstrakteste, die sehr viele Kürzel verwendet. Spitzenstenografen schaffen hier über 480 Silben in der Minute, sagt Walter Dorn. Er selbst brachte es auf um die 200. Doch wer heute Stenografie erlernen will, tut sich schwer.

Weder Stenografenverein noch VHS noch IHK bieten Kurse an. Die Realschulen haben die Kurzschrift in den 90er Jahren aus der Fächerliste gestrichen, vor gut zehn Jahren tat das auch die Wirtschaftsschule, wie sich die Fachlehrerin Regina Pscheidl-Horn erinnert. Es werde ja auch kaum mehr diktiert. Und wenn doch: "Jedes Handy ist doch heute ein Diktiergerät!" Geschrieben wird meist mit dem Computer - auch die Texte vom Diktiergerät. Auch bei der HUK-Coburg wird bei Einstellungen nicht mehr nach Kenntnissen in Kurzschrift gefragt, sagt Pressesprecher Thomas von Mallinckrodt: "Stenografie ist ein kleiner Dinosaurier der Arbeitswelt."

Dabei werden Stenografen durchaus gebraucht: Im Bundestag und in den Landesparlamenten wird noch per Hand mitprotokolliert. Doch dafür müsste die Kurzschrift an den Gymnasien angeboten werden, sagt Regina Gscheidl-Horn. Parlamentsstenografen brauchen das Abitur.